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Vierte Welle in Europa aufgrund Delta-Mutation nur eine Frage der Zeit

DMZ –  GESUNDHEIT / WISSENSCHAFT ¦ Dirk Specht ¦

KOMMENTAR

 

Nachdem mein Bericht über die Ausbreitung der Delta-Variante in UK und auch auf dem Kontinent eine Zahlendiskussion ("bei uns alles anders") auslöste, legt nun die CDC in den USA nach. Hier ist die exponentielle Durchdringung von Delta sehr gut erkennbar und bereits auf 20% fortgeschritten. Man sieht diese exponentiellen Prozesse im ersten Bild eindrucksvoll. Im zweiten erkennt man, dass anfangs die Infektionen weiter sinken und erst mit Latenz auf die noch unklaren 40% bis 80% höheren R-Werte reagieren. Es gibt jedoch bereits jetzt gegen die Impfungen und das bessere Wetter eine Stagnation auf hohem Niveau (Chart 2). Die Experten in den USA rechnen nun analog zu UK mit dem Einsetzen eines Wiederanstiegs. Die CDC fordert, was ich in den letzten Tagen auch geschrieben hatte: Hochdruck bei den Impfungen und zwar in der Gesamtbevölkerung.

 

In Europa ist exakt derselbe Prozess in Gang gesetzt und durch den Reiseverkehr auch nicht mehr aufzuhalten. Wo genau wir in den einzelnen Ländern stehen, ist aufgrund der immer noch nicht auf dem Niveau von UK stehenden (dort hat Delta >90%) Sequenzierungen unklar. Die jüngsten Rohdaten des RKI deuten auf einen Wert um 6% vor einer Woche hin. Die Neuinfektionen sind nun präzise zu beobachten. Deren Halbierungszeit hat sich bereits leicht abgeflacht, aber das ist ein zu frühes Signal.

 

Gleichwohl bleibe ich trotz der Diskussionen zu meinen vergangenen Beiträgen bei meiner Analyse: Eine vierte Delta-Welle haben wir bereits "gebucht". Die lässt sich gar nicht mehr vermeiden, allenfalls der Zeitpunkt ist offen. Wenn wir mit dem Reiseverkehr aber genauso verfahren, wie im letzten Jahr, sehen wir diese Welle eher noch im August als erst im September.

 

Wobei "sehen" dabei natürlich Definitionssache ist, denn im letzten Jahr hatte ich die zweite Welle auch bereits in der zweiten Augusthälfte als "sichtbar" bezeichnet, während in der Gesellschaft munter über akzeptable Grenzwerte im fünfstelligen Bereich von Neuinfektionen diskutiert wurde. Ich hoffe, jeder erinnert sich noch an die Schelte, die die Kanzlerin für ihre Warnung vor 20.000 Neuinfektionen pro Tag erhielt?

 

Das ist 2021 nun besonders sinnlos, denn jede Woche bringt uns mit den Impfungen weiter, die Zeit ist in diesem Sommer noch wertvoller als im letzten. Es ist nach den ersten Studien über die Wirkungsweise von Delta bei Geimpften gleichwohl weder mit der Höhe der dritten Welle und gewiss nicht mit deren Auswirkungen in den Krankenhäusern zu rechnen. Aber diese Welle wird sich auf die noch weitgehend ungeschützten Alterskohorten fokussieren und hier dürfte LongCovid das größere Problem sein!

 

Auch bei Kindern mit Quoten von 1:1000. Ob das nur bei den von der Stiko beschriebenen Vorerkrankungen der Fall ist, finde ich an dieser Stelle mutig in der Aussage, denn: Die Stiko moniert zwar (zurecht) einerseits, dass die für sie maßgeblichen Studien zu Nebenwirkungen bei Kindern quantitativ noch unzureichend sind, von quantitativ ausreichenden Studien zu Risikoindikationen weiß ich umgekehrt aber nichts. Die sind sogar bei Erwachsenen noch sehr indifferent. Wirklich klar weiß man nur die Abhängigkeit zwischen Risiko und Lebensalter, aber hier gilt für Kinder eben auch 1:1000, während Impfschäden bei Kindern bisher gar nicht bekannt sind.

 

In den USA, UK und Israel geht man daher anders vor, hier gelten die Empfehlungen für alle, auch für Schwangere. Leider sind die daraus anfallenden Daten für unsere Stiko nicht maßgeblich. Das ist bezogen auf die Vergangenheit vollkommen richtig gewesen, weil die Überwachung von Qualitätsstandards bei Studien nun mal unverzichtbar ist. Es wäre aber seitens des europäischen und insbesondere des Deutschen "Gesundheitsapparats" angemessen gewesen, sich frühzeitig mit den anderen Ländern zusammenzuschließen, um gemeinsam alle Erkenntnisse zu nutzen. Ich bin sicher, dass die Impfempfehlungen auch bei uns alle genauso kommen werden wie in den übrigen Ländern, für so manchen aber leider zu spät.

 

Ich werde nicht müde, zu betonen, dass immer noch NoCovid der richtige und gerade in diesem Sommer auch leicht erreichbare Weg wäre. Das wird aber nicht mehr passieren, Politik und Gesellschaft haben mehr oder weniger gewollt einen anderen Weg eingeschlagen. Die wesentliche Achillesferse sind übrigens keine Lockdowns, zu denen mir gerne eine tiefe Sehnsucht nachgesagt wird, sondern die Einschränkungen der Reisefreiheit.

 

Leider ist davon auszugehen, dass diese vermeidbare vierte Welle im Winter dann durchaus die Gesamtbevölkerung mal wieder herausfordert. Denn mit Ende der Sommersaison wird die schon spürbar werden, vor allem aber absorbiert sie weiter unsere Impfkapazitäten. Da wir uns als Europäer jedoch so munter an allen Mutationen des Planeten beteiligen, ist damit zu rechnen, dass der bestehende Impfschutz in der Bevölkerung beginnend mit Oktober/November bröckeln wird. Dadurch werden wir parallel gegen die vierte Welle und gegen eine noch höhere im geimpften Bevölkerungsanteil zu impfen haben.

Ob unsere aktuelle Impfinfrastruktur parallel und sehr schnell die verbliebenen Erstimpfungen und die große Menge der Auffrischungen zu leisten vermag, wird dann ein Stresstest, dessen Ergebnis offen ist, denn es gibt gar Stimmen in der Politik, die Kapazitäten abbauen wollen, weil sie zu teuer sind. Solche Leute in teilweise maßgeblicher Funktion machen mir tatsächlich Angst. Ich finde das nämlich gefährlicher als das Virus mit allen Mutationen.

 

Diese Bereitschaft, Fehler zu wiederholen und so einfach erkennbare Zusammenhänge wie hier beschrieben zu übersehen, ist geradezu faszinierend. Nun freue ich mich auf die Datenfüchse, die mir vorrechnen, dass Delta bei uns nicht durchdringen wird und mit den Impfungen in den nächsten vier Wochen der Deckel zu gemacht wird.


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