«Diese Frau, lässt sich nicht unterkriegen»

DMZ –  KULTUR 1 Urs Heinz Aerni ¦

 

Cornelia Gantner porträtiert in ihrem Kinofilm «That Girl» eine junge Afrikanerin die zusammen mit ihrem Schweizer Ehemann eine Farm und eine Schule bauen möchte. in Ihrem Erstlingswerk begleitet sie das Paar während fünf Jahren bei ihrem hürdenreichen Engagement im abgelegenen Norden Sambias. Dabei zeigt der Film schonungslos auf, wie mühselig Entwicklungsarbeit sein kann. Und warum es sich dennoch lohnt, dran zu bleiben – an schwierigen Projekten und auch in der Liebe. Der Film kommt im Herbst ins Kino.

 

Christine Maier stellte Cornelia Gantner Fragen dazu.

 

Christine Maier: «Kein Mädchen geht in die Stadt, um sich ihr Schulgeld selber zu verdienen», sagte Gladys’ Mutter einst zu ihrer Tochter. Gladys erwiderte trotzig: «Dann werde ich eben dieses Mädchen sein - I’m going to be that girl!» Frau Gantner, mit dieser Erinnerung der jungen Sambierin Gladys beginnt Ihr Erstlingswerk «That Girl». Wie ist es dazu gekommen?

 

Cornelia Gantner: Mit unserer Stiftung «Second Mile» sind mein Mann und ich seit über 20 Jahren in der humanitären Hilfe tätig. Unter anderem unterstützen wir die grossartige Arbeit des Schweizer Ärztepaars Matthias und Kathrin Furrer, die in Afrika Spitäler bauen und medizinisches Personal ausbilden. Als ihr Sohn Thomas Pläne schmiedete, dem Hilferuf eines lokalen Stammesfürsten zu folgen und zusammen mit seiner Frau Gladys im Norden von Sambia eine Farm aufzubauen, war ich begeistert.

 

Weshalb?

 

Als Stiftungsratspräsidentin von «Second Mile» und ausgebildeter Journalistin war es mir ein Bedürfnis, einmal ein Entwicklungshilfe-Projekt von A bis Z zu begleiten. Aufzuzeigen, wie hoch die Hürden sein können, wie gross das Frustrationspotential, aber auch das Glück ist, wenn – wie im Fall von Gladys und Thomas – die Farm nach Jahren endlich steht, die Schule gebaut ist. Darüber hinaus ist es aber auch ein Film über eine grosse Liebe geworden…

 

… die offenbar, wie viele Liebesgeschichten, sehr romantisch begonnen hatte, sich dann aber bald einmal harten Realitäten stellen musste. Hier steigt Ihr Film ein.

 

Stimmt. Man muss sich vorstellen, beide haben für ihren gemeinsamen Weg ihre Träume über den Haufen geworfen. Thomas hatte sich nach seiner Kindheit in Kamerun ein Leben als Umweltingenieur in der Schweiz aufgebaut. Gladys wollte unbedingt in der Stadt leben, als Lehrerin arbeiten und finanziell unabhängig sein. Und dann fanden sich die beiden im abgelegenen Norden Sambias wieder, in Chewe, einem kleinen, kargen Dorf, in dem es wirklich gar nichts gibt, auch keine Ablenkung, keine Möglichkeit, mal auf Distanz zu gehen.

 

Wovon leben die Menschen in Chewe?

 

Sie sind arm, leben von dem, was sie anpflanzen und ernten. Der Fussmarsch ins 20 km entfernte Städtchen ist beschwerlich, die wacklige Brücke über den Fluss wird regelmässig weggespült. Um Lebensmittel zu kaufen, waren Thomas und Gladys anfänglich acht Stunden mit dem Auto auf holperigen Pisten unterwegs. Gladys hat diese Abgeschiedenheit mehr gestresst als Thomas.

 

Wie hat sich das ausgewirkt?

 

Nach der Geburt ihrer Tochter Zoé wollte Gladys nicht mehr auf die Farm zurückkehren, ins unfertige Häuschen mit Dreckboden und ohne warmes Wasser. Sie sah auch nicht, wie sie Kind und Arbeit unter einen Hut bringen sollte. Gladys hatte ja damit begonnen, eine Sekundarschule im Dorf zu bauen, ihr eigenes, ambitiöses Projekt. Gladys und Thomas führten intensive, auch schwierige Diskussionen, Auseinandersetzungen, die Paare auch hierzulande wohl bestens kennen. Wir waren mit der Kamera dabei, konnten das Ringen um diese Ehe und Liebe mitverfolgen.

 

Was geschah dann?

 

Gladys entschloss sich, doch zurückzukehren, krempelte die Ärmel hoch, organisierte sich, konzentrierte sich auf ihr Ziel: Die Jugendlichen von Chewe sollten es besser haben als sie selber, die für ihre Ausbildung hart hatte kämpfen müssen. Nach jahrelangen Mühen, Zeiten von Hoffnungslosigkeit, einem Kampf gegen Korruption und unzuverlässige Behörden steht die Schule nun tatsächlich im Nirgendwo von Chewe. Und Gladys wurde zum ultimativen Rollenmodell für die Teenager im Dorf. Eine offline/real-life «Influencerin» erster Güte! Das habe ich filmisch begleitet.

 

Liegt deshalb der Fokus im Film auf der jungen Frau?

 

Ja, tatsächlich. Das hat sich im Laufe der fünfjährigen Dreharbeiten so herauskristallisiert. Diese Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, die immer wieder aufsteht, für ihre Träume kämpft, der keine Hürde zu hoch ist, und der egal ist, was andere von ihr denken. Die aber auch keine «perfekte» Heldin ist, sondern sehr menschlich auch ihre Schwächen zeigt. Gladys hat mich fasziniert und berührt.

 

Weil auch Sie «That Girl» sind?

 

(lacht) Sagen wir es so, ein bisschen davon steckt sicher auch in mir.

 

Könnte das damit zu tun haben, dass Sie als Tochter eines indischen Vaters und einer Schweizer Mutter aufgewachsen sind?

 

Das könnte sein. Ich war in den 70er Jahren in einer Aargauer Gemeinde das einzige Kind mit einem dunkleren Teint.

 

Wie hat Sie das geprägt?

 

Ich war nicht von Rassismus betroffen, wenn Sie das meinen. Aber: Ich habe nie ganz dazugehört, ich war immer irgendwie anders. Wohl deshalb habe ich gelernt, meinen eigenen Weg zu gehen, nicht zu sehr darauf zu achten, was andere von mir denken.

 

Ist «That Girl» demzufolge ein Frauenfilm?

 

Nein, im Gegenteil: Diejenigen Männer, die den Film schon gesehen haben, fühlen sich ebenfalls sehr angesprochen, sind emotional berührt. Sie identifizieren sich mit Thomas, der im Clinch steht zwischen der Leidenschaft für seine Arbeit und seiner Rolle als Vater und Ehemann. Das kennen viele Männer. Die Beziehungsdynamik, die ich im sambischen Busch beobachtet habe, ist identisch mit dem, was Paare in der Schweiz erleben! Und zeigt, dass wir Menschen tief drin alle die gleichen Herausforderungen haben, ob in Sambia oder in Zürich

 

Wie muss man sich die Dreharbeiten in Sambia vorstellen?

 

Während der ersten paar Jahre haben mein Kameramann und ich in Zelten campiert, es gab kein fliessendes Wasser, wir waren stundenlang unter der sengenden Sonne Afrikas unterwegs. Das war anstrengend und abenteuerlich. Aber wir wurden reich entschädigt durch die Schönheit dieses Landes, die Offenheit und Freundlichkeit der Menschen vor Ort und die Freundschaft mit Gladys und Thomas. Es war eine wunderbare Zeit.

 

Welche Rollen haben sie neben der als Produzentin des Films noch inne?

 

Ich bin Regisseurin, Drehbuchautorin, war die ganze Zeit im Schnitt dabei. Vor Ort war ich jeweils noch Mädchen für alles (lacht).

 

Wie sieht das Budget von «That Girl» aus? Sie haben fünf Jahre lang immer wieder in Sambia gedreht, über 130 Stunden Material nach Hause gebracht. Davon könnten andere Filmemacher nur träumen…

 

Ich weiss, ich bin in einer privilegierten Situation, da ich diesen Dokumentarfilm privat produzieren konnte. Privat heisst aber auch, dass ich keine detaillierten Fragen zu Budget und Finanzierung beantworten möchte. Nur soviel: dank kleinstmöglichem Team vor Ort mit qualifizierten lokalen Helfern und Filmern, strenger Kostenkontrolle und viel Eigeneinsatz über die Jahre konnte ich die gesamte Produktion im 6-stelligen Bereich abschliessen.

 

Dann sprechen wir doch über Entwicklungshilfe in Afrika. Sie zeichnen mit ihrem Film ein schonungsloses Bild: Das Engagement von Menschen, die sich engagieren, wird ausgebremst, durch Korruption verunmöglicht, torpediert. Viele Projekte sind nicht nachhaltig.

 

Zum Teil stimmt das leider. Selbst Gladys als Einheimische und Thomas mit seiner grossen Erfahrung der lokalen Verhältnisse liefen mehrmals Gefahr zu scheitern. Dies, obwohl sie eng mit den Menschen zusammenarbeiteten, sich für Dinge engagierten, welche die Bevölkerung ausdrücklich wollte und offensichtlich brauchtte. Es dauerte Jahre, bis die Farm stand, Lehrer in der Schule unterrichteten. Es war wirklich manchmal fast zum Verzweifeln. Und noch ist nicht alles so, wie die beiden es geplant hatten.

 

Die Frage stellt sich, ob Entwicklungshilfe generell Sinn macht. In den letzten 50 Jahren haben westliche Länder über 1000 Milliarden US-Dollar an afrikanische Regierungen bezahlt. Geblieben ist davon praktisch nichts.

 

Ich lehne mich bei dieser Frage gerne an die Autorin Dambisa Moyo an. In Sambia geboren, in Harvard studiert, gehört sie heute weltweit zu den gefragtesten Ökonomen. Sie hat das kontrovers diskutierte Buch «Dead Aid» geschrieben, das ich nur empfehlen kann. Moyo erklärt dort faktenbasiert, warum Entwicklungshilfe, mit Betonung auf «Hilfe», kontraproduktiv ist: Weil sie Abhängigkeiten schafft, die afrikanischen Staaten aus der Pflicht nimmt und Korruption fördert. Es ist ja viel einfacher, Geld auszugeben, welches man einfach so bekommt, als es selber zu erwirtschaften. Moyo zeigt schlüssig auf, wie Afrika es aus eigener Kraft schaffen kann.

 

Was ist der Lösungsansatz?

 

Ich erläutere es Ihnen gerne am Beispiel von «Second Mile». Wir geben nicht einfach Geld, sondern schieben ein Projekt an, wie zum Beispiel die Farm, die Schule in Chewe. Die Bevölkerung wird von Anfang an motiviert, sich zu engagieren, mitzuarbeiten, das Projekt mitzutragen. Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe und gestalten Projekte so, dass die Bevölkerung starke Anreize hat, diese mitzutragen. Die Familie Furrer arbeitet konsequent so. Die Regierung, lokale Behörden und die Bevölkerung werden in die Entwicklungsarbeit mit einbezogen, damit sich Furrers möglichst bald wieder zurückziehen können – um sich einem neuen Projekt zuzuwenden.

 

Die Menschen in Chewe zeigen sich nicht sonderlich begeistert darüber, dass sie mitarbeiten sollen - zum Beispiel, wenn es darum geht, die von Thomas gebaute, lebensnotwendige Brücke instand zu halten. Auch wenn Thomas ihnen das geduldig ans Herz zu legen versucht.

 

Ja, das ist in der Tat für uns sehr schwer zu verstehen und kann sehr frustrierend für alle Beteiligten sein.

 

Wie erklären Sie sich das?

 

Schauen Sie, die Menschen in der Region leben seit jeher von der Hand in den Mund. Pläne für die Zukunft zu schmieden, macht wenig Sinn. Erstens, weil man dafür praktisch keine Optionen hat, zweitens, weil morgen schon alles anders sein kann. Eine simple Erkrankung oder ein Schlangenbiss kann den Tod bedeuten. Eine schlechte Ernte führt zu Hunger.

 

Haben Sie mit den Menschen in Chewe darüber gesprochen, was Sie erwarten?

 

Selbstverständlich. Dabei habe ich erkannt, dass sie sehr wohl eine Vision von einem besseren Leben haben. Aber die mentale Kraft und Geduld aufzubringen, um die unzähligen kleinen Schritte bis zum Ziel gehen, ist schwierig. Wir von «Second Mile» und auch die Familie Furrer pochen dennoch auf Eigenleistung. Und es hat funktioniert: Die Farm steht, die Schule auch.

 

Nun wird Ihr Film an einem grossen Filmfestival uraufgeführt. Was bedeutet Ihnen das?

 

Ich fühle mich sehr geehrt und freue mich riesig! Und ich hoffe natürlich, dass daraus viele wertvolle Diskussionen entstehen. Darüber, dass man – wenn es die Situation erlaubt –, seinen Träumen folgen sollte. Dass man wieder aufsteht, wenn man mal hinfällt. Und dass es überall «That Girls» braucht und gibt, die den Mut haben, aus Konventionen und Traditionen ausbrechen, um ihren eigenen Weg zu gehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

 

Sie möchten diese Frauen künftig verstärkt unterstützen.

 

Ja, dafür habe ich im September 2020 zusätzlich zu «Second Mile» eine neue auf Frauen fokussierte Stiftung gegründet, die «Be That Girl Foundation». Sie soll den Film überdauern und mit viel Gutes bewirken im Leben von Frauen, ihren Familien und ihrem gesamten Umfeld. Begleitet von einem internationalen Stiftungsrat und in Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnern setzt die Stiftung innovative Programme um, welche junge Frauen in ihrem Streben nach einem selbstbestimmten Leben unterstützen. Das ist meine Vision.

 

 

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Infos:

 

Regisseurin und Produzentin Cornelia Gantner wurde 1972 in der Schweiz geboren und studierte in den USA Journalismus. Seit 1999 unterstützt sie gemeinsam mit ihrem Ehemann im Rahmen der eigenen Stiftung «Second Mile» humanitäre Arbeit im Bereich Bildung und Gesundheit. Ihr Regie-Debüt «That Girl» vereint ihr humanitäres Engagement mit ihrer Leidenschaft für Journalismus und Dokumentarfilm. Dafür hat sie Ihre eigene Produktionsfirma CG Productions GmbH gegründet. Cornelia Gantner ist Mutter von fünf erwachsenen Kindern.

 

 

Mehr Informationen unter www.bethatgirl.org
Informationen zum Kinofilm: www.thatgirl.ch


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