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Straumanns Fokus am Wochenende - Ein Nachruf

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

«De mortuis nihil nisi bene» verlangt ein lateinisches Sprichwort: Über Verstorbene sage nichts ausser Gutes. Würde der vorliegende «Fokus» diesem Prinzip folgen, wäre er hier zu Ende, denn über den Verstorbenen, dem dieser Nachruf gilt, gibt es beim besten Willen nichts Gutes zu sagen. Und trotzdem geht an der Notwendigkeit dieser Zeilen kein Weg vorbei. Denn Aufklärung tut Not, wenn die offizielle Geschichtsschreibung und historische Wahrheiten krass auseinanderdriften (obwohl wir von allem nur die Spitze des Eisbergs kennen und das Allermeiste nie erfahren werden). Das Bewusstsein davon wach zu halten – oder es zu wecken, wo es nötig sein sollte – ist der Sinn dieses Nachrufs der besonderen Art. Denn keine schlimmere Bande von Schurken hat in der Nachkriegszeit die Geschicke der Welt bestimmt als die Regierung der USA in den Jahren 2001 bis 2009, die Regierung von George W. Bush, seines Vizepräsidenten Dick Cheney und seines Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. Letzterer ist vergangenen Freitag gestorben, wenige Tage vor seinem 89. Geburtstag. Gott hab ihn unselig.

 

Allerdings trifft der Begriff «Verteidigungsminister» den Kern der Sache nicht richtig, zutreffender wäre «Angriffsminister». Donald Rumsfeld war zweimal der Vorsteher des Pentagon. Zunächst unter Präsident Gerald Ford (1975 bis 1977) und dann unter Bush-Sohn (2001 bis 2006), der sich selbst damit brüstete, er sei ein «Kriegs-Präsident». Rumsfelds Mitschuld an den Kriegen in Afghanistan und Irak hat weit über eine Million Menschen das Leben gekostet. In einem Anflug von Panik beim Ausscheiden aus seinem Amt befürchtete er, er könnte möglicherweise vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Die Sorge war unbegründet. Es gehört zu den Absurditäten der internationalen Rechtsordnung, dass den Regierungen von Staaten, die im UNO-Sicherheitsrat das Vetorecht haben, gar nichts passieren kann. Das Völkerrecht hat nicht vorgesehen, dass dort Kriegsverbrecher sitzen. Welch ein Irrtum.

 

Die amerikanische Geschichte ist nicht arm an Aussenministern, die Blut an ihren Händen haben – nicht nur Blut aus kriegerischen Konflikten, sondern Blut aus kriminellen Handlungen (man denke an Henry Kissinger und die Vorbereitung des Militärputschs in Chile). Aber auch innerhalb dieser sehr besonderen Gruppe von Kriminellen nimmt Rumsfeld eine Sonderstellung ein. Er war ein Schüler und Bewunderer von Milton Friedman an der School of Economics der Universität Chicago und sog dessen neoliberale Lehre – Deregulierung, Privatisierung und Steuersenkungen bis zum Exzess – in sich auf. Friedmans Konzept verlangte, der Staat solle sämtliche Aufgaben, mit denen sich Geld verdienen lässt, privaten Anbietern überlassen, von der Bildung über die Gesundheit, Post, Bahn und Infrastruktur bis hin zu den Nationalparks und dem Strafvollzug. Damit ist für die Unternehmungen, die für eine jeweilige Thematik den Zuschlag erhalten, die Auftragslage garantiert und die Steuergelder fliessen unaufhaltsam. Dem Staat bleibt nur die innere und die äussere Sicherheit.

 

Sollte man meinen. Aber Rumsfeld, der Verteidigungsminister, sagte seinem eigenen Departement den Kampf an und begann, auch die öffentliche Sicherheit zu privatisieren, durch private Sicherheitsfirmen (wie Blackwater) oder durch Infrastruktur-Anbieter im Bereich von Armeeeinsätzen (wie Halliburton). Ein halbes Jahr nach Amtsantritt, am 10. September 2001, rief er sein Kader zum entsprechenden Briefing zusammen. Die Generäle kochten vor Wut. Aber am Tag darauf – 9/11 – redete kein Mensch mehr davon. Die Welt stand dermassen unter Schock, dass niemand über Konzepte stritt. Rumsfeld hatte freie Hand.

 

Seine Innovation war die systematische Bewirtschaftung von Katastrophen. In keiner anderen Branche lässt sich auf perversere Weise Geld verdienen als mit dem Katastrophen-Kapitalismus, mit dem Elend anderer Menschen. Am besten gelingt es, wenn man – wie das die Regierung Bush systematisch tat – die Submissionsgesetze unterläuft und Verträge macht mit Firmen, mit welchen die Regierungsmitglieder privat verbandelt sind. Rumsfeld war es u.v.a. mit Gilead Sciences (Patente für das Grippemedikament Tamiflu, womit die Streitkräfte mittels Milliardenverträgen ausgerüstet werden) oder mit ABB (exportierte Know-how zur Uran-Anreicherung nach Nordkorea, als Rumsfeld Verwaltungsrat war). Cheney war CEO und Verwaltungsratspräsident von Halliburton (Exklusivvertrag mit dem Pentagon über die Bereitstellung von Infrastruktur überall dort, wo amerikanisches Militär im Einsatz steht). Unnötig zu sagen, dass Typen wie Rumsfeld und Cheney an den genannten Firmen namhafte Aktienpakete hielten und halten, somit an jeder Krise persönlich Millionen verdienten und sich standhaft weigerten, diese Beteiligungen abzustossen, wie es das Gesetz vorschreiben würde.

 

Rumsfeld, der stets den schlanken, ja geradezu den ausgehungerten Staat befürwortete, beanspruchte als Verteidigungsminister nicht etwa weniger, sondern von Budget zu Budget mehr Geld – und zwar für immer weniger Soldaten. Das hat zahlreiche Vorteile: Es lässt sich zunehmend mehr Geld in die Kassen von privaten Anbietern lenken, die Kriegstoten der Privaten fallen nicht unter die offiziellen Opferzahlen der USA und sorgen deshalb nicht für eine miese Stimmung in der Öffentlichkeit und die Mitarbeiter der Privaten sind nicht an das geltende Kriegsrecht gebunden. Das heisst: Sie dürfen foltern… und das tun sie dann auch, mit Freude an der Pflicht und mit dem ausdrücklichen Segen des Verteidigungsministers, in Guantanamo oder in den Folter-Dépendancen in Polen oder in Rumänien. Denn die Privaten wollen ja ihre lukrativen Aufträge behalten und müssen dafür Erfolge vorweisen, also foltern sie, bis sich die Erfolge einstellen. Die Aktienkurse dieser Firmen schiessen in die Höhe und bescheren den Shareholdern reiche Dividende und Kursgewinne. Und da der Verteidigungsminister selbst Shareholder ist, arbeitet er durch die von ihm selbst mit hergestellten Krisen bequem in seine eigene Tasche. Rumsfeld persönlich verantwortet die Bewilligung der «besonderen Verhörmethoden» (Waterboarding etc.) und aller möglichen Erniedrigungen von Gefangenen im Abu-Ghraib-Gefängnis im Irak.

 

Was sich hier liest wie das Skript zu einem Polit-Thriller der billigeren Art, ist nichts anderes als authentische das Konzept der Regierungsmannschaft von George W. Bush. Der Gedanke, die ultimative Gewinnmaximierung liege letztendlich darin, nicht auf die Katastrophe zu warten, um sie dann zu bewirtschaften, sondern die Katastrophe eigenhändig herzustellen, liegt auf der Hand. Der Krieg im Irak von 2003 wurde exakt aus diesen Gründen (und um generell den amerikanischen Konzernen den Weg in den mittleren Osten frei zu machen) bereits 1997 von einem Think-Tank namens «Project of a New American Century» geplant. Führende Mitglieder: Donald Rumsfeld, Dick Cheney…

 

Muss man noch mehr wissen? Richard Nixons Zeugnis über Donald Rumsfeld lautet: «Er ist ein skrupelloser kleiner Bastard. Davon können Sie überzeugt sein.» (Zitat aus der Times, London, vom 18. April 2006). Wenn sich einer auskannte mit den Polit-Schurken seines Zeitalters, dann Nixon. Wir dürfen ihm vertrauen, für einmal.  

 

 

 

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Seit einem Jahr finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in der «Mittelländischen» Woche für Woche einen Kommentar von Dr. Reinhard Straumann. Mal betrifft es Corona, mal die amerikanische Aussen-, mal die schweizerische Innenpolitik, mal die Welt der Medien… Immer bemüht sich Straumann, zu den aktuellen Geschehnissen Hintergründe zu liefern, die in den kommerziellen Medien des Mainstream nicht genannt werden, oder mit Querverweisen in die Literatur und Philosophie neue Einblicke zu schaffen. Als ausgebildeter Historiker ist Dr. Reinhard Straumann dafür bestens kompetent, und als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen eingesetzt. Wir freuen uns jetzt, jeweils zum Wochenende Reinhard Straumann an dieser Stelle künftig unter dem Titel «Straumanns Fokus am Wochenende» in der DMZ Mittelländischen Zeitung einen festen Platz einzuräumen.  


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