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Straumanns Fokus am Wochenende - Die Phalanx der Kardinäle

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

Diese Woche machte die Meldung die Runde, dass, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, die katholische Kirche ihr Strafrecht erneuert und, nach zwölfjähriger Vorarbeit, die Neuerungen präsentiert hat. Sie sollen am 8. Dezember in Kraft treten. Denn ja, das gibt es: Die Kurie in Rom pflegt ihr eigenes Strafrecht, einen kanonischen Kodex, den «CIC» (Canon Iuris Canonici). Die weltliche Strafverfolgung kann zwar Täter in Gefängnis sperren, beispielsweise Priester, die sich pädophile Delikte zuschulden kommen liessen, nicht aber entscheiden, was innerkirchlich mit ihnen passieren soll. Dürfen sie in der Kirche bleiben, werden sie ausgeschlossen oder mit Berufsverbot belegt? Das Strafrecht der katholischen Kirche regelt Fragen dieser Art.

 

Nicht ohne Stolz gibt man in Rom dabei zu verstehen, man gehe mit der Zeit und habe die Lehren aus den zahllosen Missbrauchsfällen gezogen. So sind neuerdings Delikte im Bereich der Pädophilie nicht einfach Verstösse gegen das Zölibat wie bis anhin, sondern Taten «gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen». Damit droht die Höchststrafe: Exkommunikation.

 

Gut so. Aber das ist nicht alles. Nicht ganz so lauthals wird kommuniziert, man habe auch in anderen Bereichen die Schraube angezogen, etwa dort, wo es um Delikte gegen die Lehre von den Sakramenten geht. Auch hier droht die Exkommunikationskeule denjenigen, die sich Verstösse zuschulden kommen lassen. Beispielsweise einem Priester, der eine Frau zur Priesterin weihen würde. Er hätte sein Bleiberecht in der katholischen Kirche ebenso verwirkt wie derjenige, der sich an Ministranten vergeht. Die identische Höchststrafe signalisiert: Beides ist gleich schlimm.

 

Man kommt um die Frage nicht herum: Ist dieser Papst noch bei Trost? Seit seinem Amtsantritt lässt sich der Argentinier Jorge Bergoglio «Franziskus I.» nennen, ein Name, der Programm ist: das Programm nämlich, wie ein Franziskaner so nahe bei den Gläubigen zu sein wie keiner seiner Vorgänger. Oder hat er einfach das Kleingedruckte nicht gelesen? Es ist zu befürchten, dass eine dritte Erklärung viel plausibler ist: Dieser Papst ist ein Versager, wenn es darum geht, sich gegen mächtige Strukturen zu behaupten. Er schaffte es nicht gegen die grausame Militärjunta in Argentinien, und er schafft es jetzt nicht gegen die Macht seiner Glaubenskongregation.

 

Denn seine Haltung, dass es vorbei sein soll mit der Barmherzigkeit gegenüber den Kinderschändern, war ihm offenbar den Kniefall wert vor der reaktionären Fraktion der Frauenfeinde in der Kurie. Er beugt sich der Nomenklatur seiner Prälaten ebenso wie seine Vorgänger vor 500 Jahren. Die Renaissancepäpste standen angesichts der heraufziehenden Reformation vor der Alternative, entweder in ihrer Tradition der Simonie, des Ämterschachers, der Pfründenbewirtschaftung und der Machtpolitik weiterzufahren, oder sehenden Auges zu gewärtigen, dass die Hälfte aller Gläubigen abspringen würde. Man entschied sich für die Tradition, und die Hälfte aller Katholikinnen und Katholiken war weg. Kein Zweifel, dass sich dies in der Gegenwart wiederholen wird. Nicht schlagartig wie im 16. Jahrhundert, sondern sukzessive im Laufe der nächsten Generationen.

 

Was lehrt uns das? Es lehrt uns, dass es sowohl in der Kirche wie in anderen Machtapparaten keineswegs um die Schafe geht, sondern um die Hirten. Nicht um die Menschen, sondern um die Pfründen. Der Katholizismus ist hier in prominenter Gesellschaft. Dazu zählt etwa die Europäische Union, die zusieht, wie die Herren Orban (in Ungarn) und Kaszinsky (in Polen) nach Lust und Laune auf der einstmals stolzen Idee von der Werteunion herumtrampeln. Oder wie Barack Obama, der als erster farbiger Präsident der USA vor Idealismus strotzte («Yes, we can!»), in der Folge aus purer Machtpolitik Syrien bombardieren liess und dafür noch den Friedensnobelpreis abholte.

 

Wenn die Institutionen eine bestimmte Stufe von Macht und innerer Komplexität erreicht haben, dann lassen sie sich nicht mehr von irgendeinem Leader führen, dann führen die Institutionen ihre Chefs. Jeglicher Idealismus zerschellt an der Bürokratie der Systeme, und allzu oft beobachten wir, wie sich der Chef nicht nur dem Machtapparat seiner Institution beugt, sondern wie er dabei von zunehmender Lust getrieben wird. Angesichts der Vorteile, die es hat, sich mit den Führungsspitzen seiner Stäbe zu vertragen, schmilzt der Enthusiasmus der Weltverbesserung wie Schnee an der Sonne. Das ist in der katholischen Kirche nicht anders als in der FIFA, bei Franziskus gleich wie beim Blatter Sepp («the world will be a bötter place!»). Die Politik der Nationalstaaten und der supranationalen Institutionen ist sich hierin ebenso ähnlich wie jene der globalisierten Konzerne. Überall pfeift die Phalanx der Kardinäle die Päpste zurück. Wer Ideale hat, der verfolge sie im Privaten. Wer Visionen hat, der gehe zum Arzt. Franziskus betet im stillen Kämmerlein. Mal sehen, ob es etwas nützt. 

 

 

 

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Seit einem Jahr finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in der «Mittelländischen» Woche für Woche einen Kommentar von Dr. Reinhard Straumann. Mal betrifft es Corona, mal die amerikanische Aussen-, mal die schweizerische Innenpolitik, mal die Welt der Medien… Immer bemüht sich Straumann, zu den aktuellen Geschehnissen Hintergründe zu liefern, die in den kommerziellen Medien des Mainstream nicht genannt werden, oder mit Querverweisen in die Literatur und Philosophie neue Einblicke zu schaffen. Als ausgebildeter Historiker ist Dr. Reinhard Straumann dafür bestens kompetent, und als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen eingesetzt. Wir freuen uns jetzt, jeweils zum Wochenende Reinhard Straumann an dieser Stelle künftig unter dem Titel «Straumanns Fokus am Wochenende» in der DMZ Mittelländischen Zeitung einen festen Platz einzuräumen.  


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