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DE: Mittelstand hakt Corona ab

DMZ –  WIRTSCHAFT ¦ Andreas Kempf ¦

 

Im deutschen Mittelstand ist die Pandemie offenbar abgehakt und die Stimmung hellt sich merklich auf. Angesichts voller Auftragsbücher wollen die meisten Unternehmen jetzt mit Vollgas wieder wachsen. Als Bremsklötze erweisen sich allerdings fehlende Rohstoffe, der Mangel an Mikrochips und explodierende Transportkosten.

 

Die Landesbank-Baden-Württemberg (LBBW) geht auf Basis einer Befragung von unter 319 Betrieben zudem davon aus, dass die befürchtete Pleitewelle ausbleiben wird. Erwartet wird vielmehr ein kräftiges Wachstum das 2022 sogar 5,5 Prozent erreichen soll. Das wäre der höchste Wert seit 1990. Viel Schub wird durch den privaten Konsum erwartet. Denn während der Pandemie haben die Deutschen jeden vierten Euro gespart und verfügen jetzt über ungewöhnlich hohe Barreserven.

 

„Die kleinen und mittleren Unternehmen sind selbst ein bisschen überrascht, wie gut sie durch die Krise kommen“, urteilt Analyst Andreas Heinemann, der den „Mittelstandsradar“ der LBBW zusammengestellt hat. Für dieses Jahr erwartet die Bank für Deutschland ein Wachstum von 3,2 Prozent. Das wäre der höchste Wert seit 2011. Die Eurozone soll sogar um 4,5 Prozent zulegen. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt hatte durch Corona im vergangenen Jahr allerdings auch einen herben Rückschlag von knapp fünf Prozent hinnehmen müssen. Die LBBW rechnet damit, dass spätestens im kommenden Jahr das Vorkrisenniveau wieder erreicht und sogar übertroffen wird. „Das hängt natürlich maßgeblich vom weiteren Verlauf der Pandemie und dem Erfolg der Impfkampagnen ab“, schränkt Heinemann ein. Doch in Europa, wohin die Hälfte der deutschen Exporte gehen, sei hier gut unterwegs, das festige die Prognose.

 

Gut jedes zweite Unternehmen beschreibt die eigene Lage inzwischen wieder mit „gut“ oder sogar „sehr gut“. Insgesamt blicken zwei Drittel der kleinen und mittelständischen Unternehmen sehr zuversichtlich auf die kommenden sechs Monate. Im Produzierenden Gewerbe sind es sogar 70 Prozent. Die LBBW-Experten gehen aber davon aus, dass auch der Dienstleistungssektor, das Schlimmste überstanden hat und wieder den Wachstumskurs eingeschlagen hat. Diese Zuversicht stützt sich auch darauf, dass mit Ende der Einschränkungen die Menschen das angesparte Geld jetzt wieder ausgeben. Während der Pandemie haben die Deutschen im Schnitt fast jeden vierten Euro gespart. In den Jahren davor war es nur jeder Zehnte. So bezifferte das Statistische Bundesamt schon zum Jahreswechsel die Reserven der Deutschen auf 331 Milliarden Euro.

 

Untermauert wird die positive Konjunkturerwartung durch den Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts, das regelmäßig die Erwartungen der deutschen Unternehmen abruft. Seit April 2020 hat sich der Gesamtindex von 75,6 auf 101,8 Punkte im vergangenen Juni verbessert und damit den Stand von April 2019 wieder erreicht. Für die Marktbeobachter ist damit erwiesen: In den Unternehmen ist Corona abgehakt. Zwar nennt noch jeder zweite Betrieb die Pandemie als Belastungsfaktor. Doch für 60 Prozent der Unternehmen bereiten die stark gestiegenen Rohstoff- und Transportkosten sowie fehlende Zulieferteile deutlich mehr Kopfzerbrechen.

 

„Aufgrund der positiven Konjunkturerwartungen fahren viele Unternehmen derzeit ihre Lagerbestände wieder hoch“, berichtet Heinemann aus der Umfrage unter mehr als 300 Betrieben. Viele ziehen offenbar auch die Konsequenz aus den Lockdowns, durch die viele Lieferketten gerissen sind. Dem will man mit größeren Lagerreserven begegnen. Dieser hohen Nachfrage kommen die Hersteller von Stahl, Kupfer oder Mikrochips nicht nach, so dass beispielsweise die Produktion in der Autoindustrie ins Stocken geraten ist. Kummer bereitet den Unternehmen derzeit auch die Reisebeschränkungen in den USA, wo deutsche Manager keine Kunden besuchen dürfen. Der Verband des deutschen Anlage- und Maschinenbaus (VDMA) macht inzwischen in Berlin Druck. Jetzt hoffen die Unternehmen, dass der Besuch der Kanzlerin heute (Donnerstag) in Washington eine Lockerung der restriktiven Einreiseregeln bringen wird.

 

„Man muss der Bundesregierung bescheinigen, dass sie während der Pandemie insgesamt einen guten Job gemacht hat“, stellt Heinemann fest. Die befürchtete Insolvenzwelle falle deshalb dank der staatlichen Hilfszahlungen aus. Ohne die ‚Liquiditätshilfen hätte sich die Summe ausgefallener Forderungen auf 120 Milliarden Euro verdoppelt. Das hat dafür gesorgt, dass wesentlich weniger Unternehmen während der Pandemie in Schwierigkeiten geraten sind als befürchtet.  Die Zahl der Pleiten lag im ersten Quartal 2021 sogar um sechs Prozent unter dem Vorjahreswert, ein Trend, der durch das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht begünstigt wurde. Als Grund für die ausgefallene Pleitewelle führen die Beobachter von LBBW-Research auch auf den Umstand zurück, dass die traditionell schwach finanzierten Unternehmen angesichts der Negativzinsen speziell das Jahr 2019 genutzt haben, die eigene Kapitalausstattung zu verbessern. Viele sind also mit einem guten finanziellen Polster von der Pandemie erwischt worden.

Die deutschen Banken rechnen insgesamt aufgrund des Aufschwungs mit einem anhaltend hohen Kreditbedarf der Unternehmen. Allerdings wollen die Geldhäuser an ihrem Kurs der vorsichtigen Kreditvergabe festhalten, den sie bereits 2018 eingeschlagen haben. Das gilt allerdings nicht für alle. So erwarten die Experten der LBBW eine strengere Kreditvergabe bei den Großen Unternehmen währen für kleine und mittelständische Betriebe eher mit einer Lockerung gerechnet wird. „Wir gehen davon aus, dass die Unternehmen ihren Kreditbedarf umschichten“, erklärt Heinemann. Von den kurzfristigen Krediten, um Engpässe während der Pandemie zu decken, gehe man nun dazu über, Geld für neue Investitionen aufzunehmen. Der Mittelstand will unter anderem mehr in den Ausbau der Digitalisierung investieren. Dieses Ziel gibt jedes fünfte Unternehmen aus. „Hier hat die Pandemie deutlich die Defizite in vielen Firme offengelegt“, stellt Heinemann fest.

 

Rund 18 Monate nach dem Auftauchen des Corona-Virus‘ in Europa gibt sich der Mittelstand in punkto Krisenfestigkeit gute Noten. Gut 14 Prozent halten sich aufgrund der gewonnenen Erfahrungen für künftige Krisen sogar „sehr gut“ gewappnet. Rund zwei Drittel sieht sich für zukünftige Herausforderungen „gut“ vorbereitet. Allerdings schätzt trotz der Erfahrung mit der Pandemie immer noch jedes fünfte Unternehmen die eigene Krisenfestigkeit als „mittelmäßig“ oder „schlecht“ ein.

 

Für Heinemann zeigt die Unternehmensbefragung, wie sich mittelständische Unternehmen in Deutschland schnell, flexibel, entschieden und konsequent an neue Situationen anpassen können: „Sicher ist, dass es auch in der Zeit nach Corona etliche Krisen geben wird. Beispielsweise steht die nächste Bedrohung in Form des Klimawandels bereits vor der Tür. Hier sind die Agilität und der Ideenreichtum des Mittelstands wieder gefordert.“

 

 

 

Quelle / Herausgeber: Wirtschaftskurier - Mittelstand hakt Corona ab: WirtschaftsKurier - Nachrichten und Kommentare aus Politik und Wirtschaft


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