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Erfolgsmodell Esoterik: Narzisst sucht Zuneigung

Esoterik 2.0 Bild: (colourbox.de)
Esoterik 2.0 Bild: (colourbox.de)

DMZ –  GESELLSCHAFT / LEBEN ¦ Klaus Buttinger ¦

 

Esoterik-Angebote boomen. Anscheinend ist der Bedarf an Selbstoptimierung und Sinnsuche noch lange nicht gestillt. Während die Menschen die Kirchen fliehen, erfreuen sich die Marktplätze für Selbstdesign regen Zulaufs. Esoterikexperte Johannes Fischler im Gespräch mit Klaus Buttinger.

 

Esoterik in allen Ausprägungen ist das Fach des Tiroler Psychologen Johannes Fischler, der darüber das Buch „New Cage“ geschrieben hat (siehe unten).

 

Bevor wir uns mit Energiekristallen, Quantenheilung und Auraspray beschäftigen – wie definieren Sie Esoterik?

Fischler: „Esoterikos“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „auf das Innere verweisend“. Es wird oft so abgewandelt, dass ein okkultes Wissen nur einem inneren, elitären Kreis zugänglich sei, quasi die Lehre vom Geheimen.

 

Wo liegen die Wurzeln zum heutigen Verständnis der Esoterik?

Befruchtende Esoterik als Suche nach dem Weltzusammenhalt hat es immer gegeben und wird es immer geben. Aber die neue Esoterik, die ich kritisiere, taucht erst massiv mit der Abenteurerin und Geschichtenerzählerin Helena Blavatsky Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Sie hat Bestseller über Pseudo-Geheimlehren für die breite Masse geschrieben. Vieles, was wir heute in esoterischen Ecken von Apotheken finden, geht auf die Begrifflichkeiten von Blavatskys Weltenlehre zurück.

 

Zum Beispiel?

Blavatsky hat eine Wurzelrassenlehre aufgestellt, die Rudolf Steiner für seine Anthroposophie übernommen hat. Daraus haben SS-Zirkel der Nazis ihre Ariosophie gemacht. Blavatsky postulierte eine „Große Weiße Bruderschaft“, die den „Ariern“ helfen solle, sich weiter zu vervollkommnen. Heute findet man die Namen dieser so genannten „Aufgestiegenen Meister“ in Apothekenaufstellern mit Engeln und Auraessenzen. Da muss man sich fragen, was da in unseren Apotheken angekommen ist, wenn da quasi faschistoides Gedankengut auf Pumpzerstäubern verbreitet wird.

 

Beschäftigt man sich mit Esoterik-Angeboten, ist man ohnehin bloß wenige Klicks vom Braunen entfernt …

Ja, das geht oft sehr schnell. Wobei man gar nicht lang klicken muss, man braucht sich nur die Ästhetik in den diversen Fachmagazinen anzuschauen: immer sehr hellweiß, lichtvoll und rein, da ist keiner dunkelhäutig oder dick. Dahinter steht der Gedanke, dass es Menschen mit höherer Energie gebe, die sich reinigen müssen und sich fernhalten sollen von Menschen mit niedriger Energie. Bei Sekten nennt man das „disconnect policy“. Das ist nichts anderes als eine Entmenschlichung des Mitmenschen.

 

Haben Esoteriklehren die traditionellen Religionen bei uns bereits überwiegend zurückgedrängt?

Lassen Sie mich mit dem englischen Schriftsteller Chesterton antworten: „Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche. Das ist die Chance der Propheten – und sie kommen in Scharen.“ Anders gesagt: Wenn die Leute nicht mehr an den Teufel glauben, dann glauben sie oft an alle möglichen Teufel. Diese Dämonologien sieht man heute überall, von Wasseradern bis Energievampire, Flecken in der Aura oder Störzonen im Feng Shui.

 

Feng-Shui, Grander-Wasser und Homöopathie ist vielleicht teuer, aber immer noch harmlos im Gegensatz zur Hardcore-Esoterik, oder?

Es gibt tatsächlich Fälle, wo Menschen auf niederschwellige Esoterik-Angebote hereinfallen und später dann in Richtung Suizid marschieren. Ich habe Kontakte mit Aussteigern, die mir beschrieben haben, wie sie am Schluss ihrer Tournee von einem Heiler zum nächsten eine solche energetische Paranoia entwickelt haben, dass sie nicht mehr ein und aus wussten. Sie fühlten sich von allen möglichen Dämonen verfolgt. Bei Sektenberatungsstellen gibt es mittlerweile das Angebot der „Entfluchung“, einer hypnotischen Intervention, wo man versucht, das symbolisch aufzulösen.

 

Welche psychologischen Muster liegen dahinter?

Die fatale Geschichte dahinter ist immer das Reinheitsideal. Alles ist strahlend schön, Friede, Freude, Eierkuchen, innere Harmonie – das schaut schön aus, aber wenn ich nach diesem Ideal leben will, darf ich andere, normale menschliche Eigenschaften an mir nicht wahrnehmen: Wut, Ärger, Angst, Zweifel. Das heißt, ich muss diese Emotionen über meine eigenen Ich-Grenzen nach außen abspalten. Deshalb wird das Umfeld als immer feindlicher werdend wahrgenommen. Der Betroffene bucht immer mehr Reinigungsprogramme, er zahlt Schutzgeld für Schutzengel in Spray- oder Kristallform. Schließlich können Betroffene Angst vor allem Möglichen und Unmöglichen entwickeln, denn sie „spüren“ plötzlich überall schlechte Energien. Darum habe ich mein Buch „New Cage“ genannt. Das New Age wird zur Falle, zum Käfig.

 

Sind alle Menschen potenziell empfänglich für solche esoterischen Mechanismen?

Wir sind alle empfänglich, auch vermeintlich intelligentere Menschen. Ein Schutzschild dagegen liegt in der Information. Zu viele Menschen haben heute zu wenig Kompetenz ihren eigenen Bewusstseinszuständen gegenüber. Wenn zum Beispiel jemand eine außerkörperliche Erfahrung macht – die gibt es wirklich und ist nichts Außergewöhnliches –, dann sind die Leute oft irrsinnig beeindruckt davon. Das wird sofort spirituell interpretiert, statt dass man sich psychologischer und neurologischer Information bedient. Recherchieren statt interpretieren! In den Schulen sollte das Fach Medienkritik eingeführt werden, damit man Kritikfähigkeit und Reflexion lernt und vor allem, was eine wissenschaftliche Methodologie ist, ein Modell, ein Experiment, eine Studie. Und wann diese etwas wert ist oder ein Blödsinn.

 

Warum rutschen ausgerechnet heute so viele Menschen in die Esoterik?

Wir leben in einer hochnarzisstischen Gesellschaft. Diese Selbstverliebtheit breitet sich via Internet epidemisch aus. Politiker haben teilweise nur noch das eigene Facelifting im Kopf, während die Normalbevölkerung nur noch Selfies macht. Selbstdarstellung ohne Ende in Zeiten der Ich-AGs. Dieser Narzissmus ist der Humus, auf dem die Blüten der Esoterik gedeihen. Wir als Gesellschaft sind der Ausgangspunkt für den ganzen Wahnsinn.

 

Wer sind die Gewinner in dem System?

Ein Rechenbeispiel: Angenommen, Sie würrden ein mehrtägiges Spirituelles Stelldichein irgendwo im deutschsprachigen Raum veranstalten. 120 Euro Eintritt pro Tag bei 1600 Besuchern macht cirka 400.000 Euro an einem Wochenende. Jetzt treten da aber nicht die Rolling Stones auf, es werden göttliche Lichtenergien gechannelt. Ein Gros der Eintrittsgelder bliebe vermutlich beim Veranstalter, der womöglich noch über Messestände Engelsessenzen, spirituelle Reisen, Aurafotografie etc. vertreibt. Die raffinierten esoterischen Unternehmer unserer Tage sind keine klassischen Gurus mehr wie früher, sie verkaufen über ein Abonnement-System Erleuchtung auf Raten mittels Internet-Fernlehrgang. Wer genügend investiert, avanciert dann selbst zum Energieheiler, Engelpractitioner oder zum Matrixfrequenzprofi und kann dann seine Verwandten und Bekannten mit hineinziehen.

 

Das verbreitet sich wie eine Seuche?

Ja, eine Seuche, ein virales Netzwerk, ein Pyramidenspiel. Und der spirituelle Hunger wird so schnell nicht gestillt sein, da die Welt immer komplexer wird. Je mehr wir wissen, desto mehr fühlen wir uns ausgeliefert, und es ist schwer, damit umzugehen. Viele Leute behaupten, wir hätten einen Mangel an Sinn im Leben. Genauso gut könnte man sagen: Wir haben eine Sintflut des Sinns. Es gibt heute unzählige Methoden, sich selbst zu designen, von A wie Ayurveda bis Z wie Zen-Buddhismus.

 

Warum missbraucht die Eso-Szene bewusst Begriffe aus Wissenschaft und Technik zum Ködern?

Früher waren eher Frauen Zielgruppe esoterischer Unternehmer. Mit Quanten- und Matrixgeschichten, mit ein paar pseudotechnischen Begriffen will man nun den rationalisierungsbedürftigen Mann ansprechen. Dem Wachhund Verstand wirft man einen Knochen hin, damit er Ruhe gibt, während die Zielperson narzisstisch abgefüllt wird. Derartige Pseudo-Therapien können zu argen psychischen Problemen führen.

 

Wie geht es Ihnen, wenn eine Institution wie die Wirtschaftskammer esoterische Praktiken via Gewerbeschein und Wifi legitimiert?

Da bleibt mir das Lachen im Hals stecken! Was da unter Energetik schon so alles angeboten wurde – gerade vom Wifi  –, das ist schwer auszuhalten. Mich erstaunen immer wieder Kurse diverser Spiritueller Schulen . Oft muss man bloß ein bisschen im Internet suchen, um zu sehen, welches Weltbild selbstbewußt vertreten wird. Eine Anbieterin solcher Kurse behauptete sogar, sie komme vom Sternensystem Quadril 5. Eine Außerirdische, die Wifi-Kurse anbietet! Das Kurszertifikat kam übrigens aus Buenos Aires.

 

Konsequenzen daraus?

Die Szene gehört durchforstet und viele Sachen rausgeworfen. Ich bin generell dagegen, dass es ein Energetikergewerbe gibt, wo Schall und Rauch einen legitimen Anstrich erhalten.

 

Andererseits, Herr Fischler: Wer heilt, hat doch recht, oder?

Jetzt hören Sie mir aber auf! Erstens muss man fragen, was ist das für eine Heilung? Und dann: Wie stark waren die Leiden vorher? Ist es Heilung oder bloßer Placebo-Effekt? Wenn es einem nach einer esoterischen Behandlungsmethode wirklich besser geht, hat das ganz andere Gründe und hängt natürlich nicht mit „feinstofflichen Energiefeldern“ zusammen. Man kauft sich durch esoterische Behandlungen zuallererst Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen.

 

Esoterik 2.0 Bild: (colourbox.de)

Johannes Fischler      Bild: (Privat)

 

Johannes Fischler

Der Esoterik-Experte

Der Tiroler Johannes Fischler (44) studierte Psychologie und kam mit Sektenaussteigern in Kontakt. Dadurch und aufgrund umfangreicher Recherchen eignete er sich ein profundes Wissen über die Esoterik-Szene in Österreich und Deutschland an. Nachzulesen ist das in seinem Buch „New Cage – Esoterik 2.0, Wie sie die Köpfe leert und die Kassen füllt“, das im Alibri Verlag verlegt ist. 297 Seiten, 19,00 Euro

  • Massenphänomen
    Galt es früher als exotisch, sich esoterischen Vorstellungen zuzuwenden, bezeichnen Experten das Thema mittlerweile als Massenphänomen, als in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Nur ein augenscheinliches Zeichen: die Zunahme an Buchtiteln zum Thema Esoterik. Die deutsche Okkultismusforscherin Sabine Doering-Manteuffel beobachtet gar eine „stille spirituelle Revolution, die sich über Europa ausbreitet“. Eine Beobachtung, untermauert durch im Jahr 2013 veröffentlichte Ergebnisse der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus): Demnach zeigt sich jeder vierte Deutsche aufgeschlossen gegenüber Wunder- und Geistheilern, gut 40 Prozent der Bevölkerung halten etwas von Astrologie und New Age.
  • Oberösterreich
    Die Berufsgruppe der Energetiker umfasst in Oberösterreich 3300 Mitglieder und stellt, wie berichtet, die drittgrößte Fachgruppe in der Wirtschaftskammer. Die Berufsvertretung ist um eine Abgrenzung zur Esoterik bemüht, aber „leicht ist es nicht“, gibt Bernhard Eckmayr, Geschäftsführer der betreffenden Sparte in Oberösterreich, zu. So kann man sich etwa seit 2012 hierzulande an der Internationalen Akademie für Schamanismus zum Schamanen ausbilden lassen. Schamanismus zu lehren ist nichts Verbotenes, auch wenn dies vom Gewerbe ausgeschlossen ist. Doch so manch ein Schamane versucht es durch die Hintertür. So werden auf der Homepage besagter Akademie Interessierte darauf hingewiesen, dass die Akademie die zertifizierte Berechtigung für die Veranstaltung eines Lehrgangs für Lebens- und Sozialberatung besitze. „So können Sie sich zusätzlich zum Schamanismus auch als Diplomierter Lebensberater selbständig machen“, heißt es dort. Natürlich sei das problematisch, räumt Eckmayr ein: Der Lebensberater-Lehrgang sei der Akademie im Vorjahr bereits einmal entzogen und erst vor kurzem erneut genehmigt worden. „Die Gründe sind mir nicht bekannt. Vermutlich wurde der Inhalt des Lehrgangs geändert. Die Genehmigung erteilt eine Zertifizierungsstelle in Wien. Darauf haben wir keinen Einfluss“, sagt Eckmayr.
  • Die Sprache
    Was verbirgt sich hinter Prana- oder Matrix-Therapie, was ist Quantenheilung? Wer nach Definitionen sucht, findet vieles – vor allem schwammige Begriffe.

 

 

Esoterik 2.0 Bild: (colourbox.de)

Ulrich Berger  Bild: (Privat)

 

Ulrich Berger

„Die Esoterik verwendet viele Begriffe, die fremd klingen, auch technisch und nach Belieben eingesetzt werden“, sagt Ulrich Berger. Der gebürtige Oberösterreicher lehrt an der WU Wien, ist Mathematiker und Vorsitzender der Gesellschaft für kritisches Denken, die sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften beschäftigt. Der vielfach erwähnte „Energiefluss“ etwa sei derart vage und mit objektiven Mitteln auch nicht messbar. Vielmehr benutze die esoterische Szene ihre „eigenen Pseudogeräte“, um ihre „Pseudoprognosen“ zu erhärten. Weiteres sprachliches Merkmal: der Verweis auf alte Kulturen. „Das ist ein Muss, alles was alt ist, ist gut.“ Das gelte für die Homöopathie ebenso wie für den Mondkalender. Hier handle es sich nicht um Uralt-Wissen, sondern um Erfindungen, die noch keine 200 Jahre alt wären, so Berger: „In anderen Bereichen wie bei Yoga oder der Akupunktur gibt es höchstens Bestandteile, die sehr alt sind.“

 

 

Quelle / Herausgeber:

Ersterscheinung des Artikels und Interviews: Erfolgsmodell Esoterik: Narzisst sucht Zuneigung | Nachrichten.at


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