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Wenn Emotionen Politik machen

Der damalige Außenminister Sebastian Kurz und die ehemalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bei der Westbalkan-Konferenz im Februar 2016 in Wien. Sicherheit ist ein populäres Argument strikter Asylpolitik. Quelle: Georges Schneider/picturedesk.com
Der damalige Außenminister Sebastian Kurz und die ehemalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bei der Westbalkan-Konferenz im Februar 2016 in Wien. Sicherheit ist ein populäres Argument strikter Asylpolitik. Quelle: Georges Schneider/picturedesk.com

DMZ –  POLITIK ¦ Scilog ¦

 

Seit der „Flüchtlingskrise“ 2015 ist das Schüren von Angst ein Kernelement rechtspopulistischer Parteipolitik. Forschungsteams aus Österreich und Slowenien untersuchen, wie die Mobilisierung von Gefühlen durch die Politik die Medien und die Öffentlichkeit beeinflusst. Erste Ergebnisse zeigen die Relevanz öffentlich-rechtlicher Institutionen und wie die Boulevardpresse populistische Erzählmuster in den Mainstream bringt.

 

Der damalige Außenminister und heutige Bundeskanzler Sebastian Kurz verbuchte es als großen Erfolg für sich. Nachdem im Sommer 2015 immer mehr Flüchtende aus Krisen- und Kriegsgebieten nach Europa gekommen waren, verkündete Kurz im Frühjahr 2016 medienwirksam die Schließung der sogenannten Balkanroute. Tatsächlich war sie nicht alleine sein Verdienst, sondern erfolgte im Verbund mit den an der Route liegenden EU- und Balkanstaaten, trotz Kritik seitens der EU-Kommission und maßgeblich unterstützt von Slowenien. Initiiert hatte den Prozess der „Sicherung der Grenzen“ Ungarns Premier Viktor Orbán bereits im Herbst davor.

 

Populisten instrumentalisieren Flüchtlingskrise

Seitdem beherrscht das Thema Migration die politischen Debatten und ist besonders bei rechtspopulistischen Parteien ein beliebtes Vehikel dafür geworden, ihre Kernanliegen wie Nationalisierung und Autoritarisierung sowie die damit verbundene Spaltung in „Wir“ und „die Anderen“ voranzutreiben. Bereits bei der Europawahl 2014 hatten Konservative, EU-Skeptiker und Populisten deutlich zugelegt und wurden bei den Wahlen 2019 weiter gestärkt. Auch die EU-Mitgliedstaaten Österreich und Slowenien erlebten den Aufschwung rechtskonservativer Parteien seit 2015. „Die Geflüchteten befeuerten den Populismus in den beiden Ländern. Das führte zur öffentlichen Wahrnehmung von Geflüchteten als gefährlich, kulturell nicht integrationsfähig und bedrohlich für die nationale Sicherheit und die Wohlfahrtssysteme“, sagt die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer von der Universität Wien.

Gemeinsam mit Forschenden des interdisziplinären Friedensinstitut in Ljubljana geht Sauer nun den Zusammenhängen von Politik und Medien vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise von 2015 nach. Dabei bauen die Teams in Slowenien und Österreich auf vorangegangene Forschungen auf, die sich mit Populismus im Internet und den Medien beschäftigten. Gibt es eine Parallele zwischen politischen Strategien und medialer Aufbereitung? Und wie kommen die Narrative der Flüchtlingspolitik in der Öffentlichkeit an? – So lauten die zentralen Fragen des bilateralen Projekts, das vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt wird.

 

Gefühlspolitik rückt in die Mitte der Parteien

Schon seit Längerem beobachten die Forschenden die Erosion traditioneller Parteiendemokratien und den Aufschwung einer „rechtspopulistischen Demokratie“. Ermöglicht wurden die Erschütterungen am demokratischen Fundament durch politische Verantwortliche, die verstärkt die Emotionen der Menschen adressierten. Die Mobilisierung von Gefühlen ist ein Kernelement populistischer Bewegungen. „Dabei wird auf Angst und Unsicherheit gesetzt und die Furcht vor dem sozialen Abstieg in Wut gegen Flüchtlinge verwandelt“, erklärt Projektleiterin Sauer. Gemeinsam mit dem Soziologen Otto Penz und dem Doktoranden Daniel Thiele hat die Politikwissenschaftlerin unter anderem Parlamentsdebatten rund um die Verschärfung von Asylgesetzen analysiert, die in beiden untersuchten Ländern nach 2015 EU-Regelungen infrage stellten. Ihre ersten Ergebnisse zeigen, dass Argumente gegen die Schutzsuchenden in Österreich nicht nur von der Freiheitlichen Partei ausgingen, wie man vermuten könnte, sondern sich etwa auch beim damaligen BZÖ und in der ÖVP wiederfanden. Dabei stand das Thema Sicherheit – unter anderem der Schutz vor Gewalt an Frauen – an oberster Stelle der zentralen Erzählmuster. Gefolgt von Argumenten zu Identitätsfragen (westliche Werte vs. Islamismus) und wirtschaftlichen Aspekten wie der Ausbeutung des Wohlfahrtsstaates und die Bedrohung für den Arbeitsmarkt.

 

Boulevardpresse treibt Populismus voran

Die Argumentationsmuster der politischen Debatten und das vereinheitlichende Bild von „den Geflüchteten“ als Bedrohung für das Land lassen sich auch in den Medien wiederfinden. Doch die Stichproben der Forschenden zeigen zumindest für Österreich ein differenziertes Bild und spiegeln im Wesentlichen die heimische Medienlandschaft vom Boulevard über Qualitätszeitungen bis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ORF) wider. Dabei zeigt sich, dass der mächtige Boulevardsektor nicht nur politische Positionen unkritisch übernimmt, „sondern auch selbst Populismus erzeugt“, wie Otto Penz berichtet. Die These des Forschungsprojekts, dass es einen Parallelismus zwischen Politik und Medien gibt, hat sich jedoch für Österreich nicht bestätigt. „Die gute Nachricht ist“, erklärt Birgit Sauer, „dass die Gleichschaltung der Medien auch mit Message-Control, wie sie unter Sebastian Kurz üblich wurde, so nicht funktioniert. In Österreich gibt es noch die vierte Macht, wenngleich der mächtige Boulevardbereich rechtspopulistische ‚Framings‘ verbreitet und mit Blick auf Auflagenzahlen zum Mainstream macht.“

Die öffentlich-rechtlichen Medien sehen die Forschenden dementsprechend als wichtiges Gegengewicht im Sinne eines kontrollierenden Organs. Mehr Medien in privater Hand, wie das Beispiel Slowenien zeige, habe auch mehr unkritische Berichterstattung zur Folge, so die Forschenden. „In Slowenien ist auch im Qualitätssegment der Parallelismus zwischen politischem und medialem Populismus viel stärker ausgeprägt als in Österreich“, sagt Penz.

 

Die Mobilisierung von Emotionen

Wie eine Politik, die auf das Schüren von Angst und Unsicherheit setzt, in der Öffentlichkeit ankommt, wird aktuell im Projekt anhand von Umfragedaten noch ausgewertet. Andere Publikationen aus den laufenden Forschungen sind derzeit im Begutachtungsverfahren. Diese Art der neuen Gefühlspolitik ist bis jetzt noch nicht umfassend untersucht. Das Forschungsprojekt will empirische Grundlagen dafür liefern. „Rechtspopulistische Parteien haben schon vor der Flüchtlingskrise das Gefühlsvakuum in der Politik erkannt und die Angst vor dem Fremden in Verbindung mit der Fürsorge für das ‚Eigene‘ propagiert. Zu beobachten ist bis heute, dass rechtspopulistische Erzählmuster zunehmend im Mainstream ankommen und die Öffentlichkeit spalten“, fasst Sauer zusammen.

 

Inzwischen bereitet man sich an den Außengrenzen Europas auf ein neues Anwachsen der Anzahl Flüchtender vor. Lärmende Schallkanonen, Drohnen und gepanzerte Fahrzeuge sind die Antworten der europäischen Migrationspolitik sechs Jahre nach der großen „Flüchtlingskrise“. Die Schließung der Balkanroute hat jedenfalls ihr Ziel verfehlt und eine solidarische Flüchtlingspolitik, die die Grundrechte der Migrantinnen und Migranten wahrt, ist weiterhin nicht in Sicht.

 

 

 

Zur Person

Birgit Sauer ist Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Universität Wien. Ein Schwerpunkt ihrer Forschungstätigkeit ist die Geschlechterforschung in der Politikwissenschaft, weiters forscht sie zu Politik und Emotionen, Rechtspopulismus sowie Staats- und Institutionentheorien. Das länderübergreifende Grundlagenprojekt „Politischer und medialer Populismus: die ‚Flüchtlingskrise‘“ (2019–2022) wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 275.000 Euro gefördert.


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