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Tóta W.: Seine Durchlaucht bittet zur Kasse.

Arpad W.Tóta (43), ungarischer Publizist, erhielt 2003 den Pulitzer Preis. Er lebt in Budapest und publiziert in den noch existierenden freien Medien.
Arpad W.Tóta (43), ungarischer Publizist, erhielt 2003 den Pulitzer Preis. Er lebt in Budapest und publiziert in den noch existierenden freien Medien.

DMZ – INTERNATIONAL ¦ Arpad W.Tóta ¦

KOMMENTAR

 

Vor der Wende vermied János Kádár, Generalsekretär der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (1956 -1988) tunlichst jede Protzerei. Viktor Orbán vertritt hingegen die Ansicht, dass es ihm selbstverständlich gebührt, in einem Palast der früheren Habsburger zu residieren.

 

Korruption gab es schon immer – mit dieser Aussage wehren sich manche Wähler der Fidesz-Partei gegen immer wieder auftauchende neue Beweise. So funktionieren Staaten – sagen sie. Man soll sich nicht damit beschäftigen, wie viel ein Politiker an sich reißt, sondern wie viel Gutes er uns dabei tut - kann man auch hören.

 

Viktor Orbán versetzt uns zurück in eine uns vertrauten Ära vor dem 2. Weltkrieg, als die Politik in Ungarn von der Aristokratie bestimmt wurde. Ihr gebührten Pomp und Luxus ohne Wenn und Aber. Da waren die Dinge noch im Lot. Die Tagelöhner waren wegen seinem Palast auf den König nicht neidisch. Man war voller Respekt und glaubte, der König hätte sich diese Privilegien durch außerordentliche Verdienste erworben, genauso, wie der Tagelöhner seine Lehmhütte und seinen einzigen Sonntagsanzug.

 

Heutzutage zählt es noch als eine Sisyphus-Aufgabe, wenn jemand sich vornimmt, dieses System wieder herzustellen. Es sind die bösen Liberalen, die meinen, gerade Viktor Orbán verdiene keinerlei Belohnung, ihm müsste jemand vorgezogen werden, allein schon deshalb, weil er seine Freude nicht in der Quälerei von Anderen findet. Dann gibt es Ungarn, die der Ansicht sind, die alte Tradition müsste doch weiter gepflegt werden. Dann aber würde Viktor Orbán eine solche Lehmhütte wohl verdienen, denn just dem Abschaffen der alten Ordnung wäre es zu verdanken, dass ein solch ungehobelter Kerl auf der Karriereleiter so hoch klettern konnte.

 

Der Bau der Residenz der Familie Orbán in Hatvanpuszta – einer Dorfgemeinde ca. 40 km westlich von Budapest – hat eine erstaunliche Dimension. Es geht um ein früheres Herrschaftsgut der Habsburger von 13 Hektar. Die Baukosten werden auf ca.30 Millionen Euro geschätzt. Wohl gemerkt: Bis auf den letzten Cent finanziert aus Steuergeldern.

 

Haben wir ihm dieses Geld für den fürstlichen Bau gegeben oder wurde es uns einfach weggenommen? Ansichtssache.

Korruption gab es schon immer, keine Frage, wie auch Ladendiebstahl und Mord. Diese Verfehlungen muss man aber auch gewichten, dabei stellt sich dann heraus, dass es in Ungarn gute Jahre gab mit einigen Dutzend Getöteten und schlechte Jahre mit Völkermord und hunderttausendfachem Tod. Da sagt ja auch keiner: Na ja, irgendwie muss jeder sterben.

 

Weder János Kádár und seine kommunistischen Nachkommen, noch den später demokratisch gewählten Ministerpräsidenten wäre es in den Sinn gekommen, dass für sie das ehemalige Anwesen vom Erzherzog Joseph, Feldmarschall des Österreichischen Kaiserreiches, als feudaler Familiensitz angemessen wäre.

Für eine solche Bereicherung und ihre schamlose Zurschaustellung gibt es kein Beispiel seit dem 2. Weltkrieg. Damals sind die Ungarn von ihren Aristokraten befreit worden. Diese plünderten, weil man ihnen nicht in den Arm fiel, mit einer Selbstverständlichkeit den Staat und die Nation. Sie verschlangen gierig alles, frei nach dem Motto: all das gehört uns.

 

Ihnen folgte auch eine anspruchsvolle Gesellschaft, die den Volksaufstand von 1956 brauchte um zu lernen wie man sich anständig benimmt. Die ungarischen Kommunisten, mit Kádár an der Spitze, vermieden tunlichst eine derartige Protzerei. Hätte ein Berater dem Generalsekretär damals empfohlen, in einen ehemaligen Palast der Habsburger umzuziehen, hätte ihn Kádár hochkantig hinausgeworfen.

Orbán aber meint, ihm gebühre so etwas sehr wohl.

 

Was treibt ihn eigentlich an? Eine Art kindlicher Ehrgeiz? Größenwahn, der sich bei Anderen in einem Auto mit vergoldetem Lenkrad offenbart? Oder geht es ihm dabei um ein politisches Kalkül: Benehme ich mich wie ein Herrscher, dann wird man mich auch als Herrscher anerkennen?

Ein interessanter Stoff für Seelenforscher und zukünftige Historiker. Doch die heutigen haben damit ihre Probleme. Zum Beispiel wenn sie feststellen müssen, dass die ihnen vertraute, frühere Welt, die durch gegenseitige Akzeptanz von Reichtum und Elend und vom Wiener Walzer geprägt wurde, schlussendlich von Revolutionen hinweggefegt wurde. Und zwar durch Bürger und Proletarier, die man nicht überzeugen konnte, dass die Welt so ist wie sie ist und in alle Ewigkeit so bleiben wird. Sie kamen und nahmen alles wieder zurück ohne es begründen zu müssen. Das Volk staunte nur, als es sah, wie ihre früheren Herren lebten, während es selbst nur dahinhinvegetierte.

 

Auf dem Papier war damals alles ordnungsgemäß. Der Erzherzog erbte das Anwesen rechtmäßig. Später aber konfiszierte man seinen Herrenhof gesetzeswidrig, jedoch zu Recht. Solche Enteignungen wurden nachträglich von der Geschichte gebilligt, Paragraphen hin oder her.

Offen bleibt die Frage, was später die Gesellschaft und der Staat mit der hinterlassenen plumpen Hazienda, mit der zum wenig kultivierten kleinen Viktor kaum passenden Bibliothek im peinlichen Stil des Bauernbarock anfängt?

 

Schlösser von Aristokraten kann man schwer sinnvoll nutzen. Auch im Sozialismus waren die meisten unbewohnt, man konnte sie weder zur Schule, Psychiatrie oder zum Museum umfunktionieren. Als Letzteres wären sie ehestens der Allgemeinheit von Nutzen. Im Irak konnte man in einem ehemaligen Palast von Saddam Hussein antike Schätze bewundern. Im heutigen Ungarn braucht man jedoch keine neue archäologische Ausstellung, obwohl es schon angebracht wäre für die Nachwelt zu bewahren, wie es uns bis jetzt ergangen ist.

 

Als die Familie Orbán das ehemalige Anwesen von Erzherzog Joseph von Österreich in Besitz nahm, wurde sie von ihren Anhängern beklatscht. Über den Weg dahin wissen diese Leute aber nichts, so konnte man ihnen diese Räuberei als „Nationales Interesse“ verkaufen.

Unsere Kinder sollten daraus lernen und dafür sorgen, dass so etwas in Ungarn zukünftig nicht noch einmal geschieht.


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