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Scholz ist ein guter Kanzler – für die, die kein Gedächtnis haben

(Foto: Alexandros Michailidis / Shutterstock)
(Foto: Alexandros Michailidis / Shutterstock)

DMZ – POLITIK ¦ Oliver Stock ¦

 

Sechs Wochen vor der Wahl hat SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz die Chance, an der Spitze einer Ampelkoalition die Kanzlerschaft zu übernehmen. Allerdings gibt es fünf Punkte, die Scholz angreifbar machen. Er muss alles dafür tun, dass sie in Vergessenheit geraten.

 

Unter den drei Kandidaten, die sich ums Kanzleramt bemühen, ist er der beliebteste: Gäbe es eine Direktwahl zum Kanzler, wäre Olaf Scholz klar vorn. Er liegt in Umfragen zwar weit abgeschlagen hinter der abtretenden Amtsinhaberin, aber deutlich vor Unions-Bewerber Armin Laschet und der Grünen Annalena Baerbock. Wäre da nicht seine Partei, die SPD, die in der Beliebtheit weit hinter ihrem Kandidaten zurücksteht – Scholz wäre geradezu uneinholbar. Aber immerhin: Eine Ampelkoalition unter Scholz Führung ist denkbar. Meinungsforscher jedenfalls geben dieser Variante inzwischen eine Chance.

Scholz führt bisher einen nahezu pannenfreien Wahlkampf. Union und Grüne durchleiden mit ihren Kandidaten eine Krise nach der anderen, so dass sich viele fragen, ob die Parteien nicht das falsche Personal an die Spitze geschubst haben. Die Linkspartei weiß nicht, ob sie überhaupt über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Die AfD ist zerstritten und über ihren Zenit. Nur für die FDP läuft es rund – allerdings sind die Themen der Liberalen, wenn es hochkommt, für 15 Prozent der Deutschen attraktiv. Die SPD dagegen hat ihre beiden umstrittenen Vorsitzenden zu Stichwortgebern degradiert, die dem Kandidaten nicht in die Parade fahren. Sie hat einen starken Generalsekretär und auch die Ministerpräsidenten machen einen weitgehend skandalfreien, ordentlichen Job. Diesmal hat sie eine sorgfältig geplante Kampagne, in der nur eines nicht vorkommen darf: Scholz an dem zu messen, was er bisher geleistet hat. 

 

In der langen Karriere des SPD-Politikers gibt es wie bei vielen Marathon-Politikern gravierende Bruchstellen. Doch während anderen das als „Ecken und Kanten“ ausgelegt wird, sieht es bei Scholz so aus, als werde er durch jede Wendung nur ein wenig abgeschliffener, biegsamer und darauf bedacht, dass nichts an ihm haften bleibt.

 

Fünf Themen sind es, die Scholz für seine Gegner immer wieder angreifbar machen. Sein wundester Punkt: Scholz war einst Bahn-Frei-Räumer für Gerhard Schröder und dessen Agenda 2010. Als Schröder den Parteivorsitz niederlegte, nahm auch Olaf Scholz seinen Hut. Ohne Schröder wollte er nicht länger SPD-Generalsekretär sein. Für seine Karriere war das jedoch kein Beinbruch, denn von 2007 bis 2009 war Scholz Bundesminister für Arbeit und Soziales. Er sprang ein, weil Franz Müntefering ging. Er ist damit jedoch der jüngste aus der alten Garde, der sich in eine neue Zeit gerettet hat. Zu der neuen Zeit gehört, dass die SPD von den damaligen Agendapunkten weit abgerückt ist. Scholz sieht darin eine Entwicklung, die er durchgemacht hat. Es ließe sich auch einen Spagat nennen, den nur die besonders biegsamen meistern.

 

2011 ging Scholz, das Nordlicht, geboren 1958 und aufgewachsen in Hamburg-Altona, zurück in die Landespolitik als Erster Bürgermeister seiner Heimatstadt. Sein Großvater war hier Eisenbahner, die Eltern Kaufleute, Scholz war mit 17 in die SPD eingetreten. Das Amt machte ihn stolz und die Hamburger waren stolz auf ihren Bürgermeister mit seinen guten Drähten nach Berlin. Bis – und das ist der zweite wunde Punkt des aktuellen Kanzlerkandidaten - 2017 ein Ereignis seine Karriere erschütterte, wie bisher keines vorher: Der G20-Gipfel in der Hansestadt lief völlig aus dem Ruder. Olaf Scholz wirkte wie ein wankender Boxer in der zwölften Runde. Die halbe Republik prügelte auf ihn ein. Reihenweise wurde sein Rücktritt gefordert, Medien zerfetzten sein Ansehen in Kommentaren, die Bildzeitung titelte „Olaf, der Tor zur Welt”. Von der Polizeigewerkschaft donnerte es: „Während Polizisten aus Hamburg um ihr Leben gekämpft haben, sitzt dieser Bürgermeister in aller Ruhe in der Elbphilharmonie und hört Musik. Das ist ein Skandal.” Scholz´ Karriere schien dauerhaft beschädigt. Seine zu große Toleranz gegenüber dem linksautonomen Zentrum in Hamburg war ihm politisch zum Verhängnis geworden. Besonders tragisch für den über Parteigrenzen hinweg respektierten Scholz – der Imageverlust Hamburgs trug fortan sein Gesicht.

 

Doch Scholz ist wie aus einem Material gemacht, dass sich selbst repariert. Es gelang ihm in der schwarz-roten Koalition in Berlin der Sprung an die Spitze des Finanzministeriums. Auch Vizekanzlerwürden waren damit verbunden, nicht jedoch – und das ist wunder Punkt Nummer drei - der Parteivorsitz. Obwohl er sich schließlich zur Kandidatur entschlossen hatte, gewann das Team aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gegen ihn. Diese politische Niederlage steckte Scholz weg, wobei er eher die Rolle des Erdulders dieses Spitzenteams spielt als die des heimlichen Siegers. Er weiß seither endgültig, dass er nicht der Scholz sein darf, der unter Gerhard Schröder groß geworden ist, sondern den Geläuterten geben muss.

 

Seine Biegsamkeit beweisen musste der Finanzminister auch in zwei Untersuchungsausschüssen, in denen er eine zentrale Rolle spielte, womit die wunden Punkte vier und fünf benannt wären. Seine Strategie: Beim einen konnte er sich nicht erinnern, beim anderen hielt er sich für nicht zuständig. Im „Cum-Ex"-Untersuchungsausschuss ging es darum, dass Banken und Finanzvermittler zu Unrecht Milliarden an Steuerrückzahlungen kassiert haben. Einer dieser Fälle spielte in Hamburg zu der Zeit, als Scholz dort Erster Bürgermeister war. Der Untersuchungsausschuss sollte klären, ob der SPD-Politiker Einfluss auf die steuerliche Behandlung einer Hamburger Bank genommen hat, die in die Cum-Ex-Affäre verwickelt ist. Scholz räumte die Treffen mit den Bankiers ein, konnte sich aber an die konkreten Inhalte nicht erinnern.

Im anderen Untersuchungsausschuss, dem zum Skandal um das Unternehmen Wirecard, laufen die festgestellten Versäumnisse bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zusammen, womit sich die Frage der politischen Verantwortung von Scholz stellte, dem die Aufsichtsbehörde untersteht. Seine Antwort: „Ich sehe mich nicht als verantwortlich für den Wirecard-Skandal, nur weil ich Dienstherr der BaFin bin. Viele der illegalen Aktivitäten sind ja schon vor meinem Amtsantritt 2018 passiert.“ Für ihn ist es ein „absurdes Märchen", dass die BaFin oder das Finanzministerium Wirecard geschützt haben soll. Anstelle des Finanzministers mussten andere ihre Stühle räumen: Der Chef der BaFin und seine Stellvertreterin traten zurück und Scholz präsentierte an deren Stelle einen neuen Chefaufseher aus der Schweiz. Geschickt verwandelte er eine heikle Situation in einen politischen Vorteil.

 

Der Taktierer Scholz macht so Boden gut. Dazu kommt, dass die SPD inzwischen nicht mehr permanent die CDU attackiert, die als Partei noch immer weit vorne liegt. Scholz hat erkannt, dass diese Strategie ihn selber schwächt, schließlich hat er jahrelang mit der Union zusammen regiert. Das Willy-Brandt-Haus hat inzwischen umgedacht und die SPD den Wettbewerb mit den Grünen aufgenommen. Die Chance, ab Herbst eine Ampelkoalition zu bilden, ist damit größer als zuvor. Scholz weiß: Die Kanzlerschaft der nächsten Koalition muss nicht der übernehmen, der vorne liegt, sondern nur der, der vor die Grünen rückt. Und das kann ihm zumindest bei einer Wählerschaft mit Kurzzeitgedächtnis gelingen.

 

 

Quelle: Scholz ist ein guter Kanzler – für die, die kein Gedächtnis haben: WirtschaftsKurier - Nachrichten und Kommentare aus Politik und Wirtschaft


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