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Wer macht das grösste Geschäft?

Bildquelle: "Bote der Urschweiz"
Bildquelle: "Bote der Urschweiz"

DMZ – GESELLSCHAFT / LEBEN ¦ Chris Steinegger ¦

KOMMENTAR

 

Ich habe den grössten Teil meines Lebens in Städten oder in der Agglomeration von solchen verbracht. Vor 20 Jahren hat es mich in die Innerschweiz verschlagen, genauer in den Kanton Schwyz. Für diejenigen die mit den Schweizerischen Gegebenheiten nicht so vertraut sind: Der Kanton Schwyz gehört der Überlieferung nach zu den Urkantonen, den drei Gegenden also, die die Eidgenossenschaft gegründet haben sollen.

 

Was historisch zwar nur schwach belegt ist aber hierzulande gerne geglaubt wird. Anfänglich lernte ich natürlich vor allem die landschaftlichen Schönheiten dieses Talkessels kennen. Die Mythen sind faszinierende Berge und wohnen tue ich am Fusse der Rigi, von einigen Enthusiasten "Königin der Berge" genannt. Darüber kann man diskutieren, ich kenne aufregendere Gebirge. Dann die Fakten, welche Schwyz wirtschaftlich besonders machen. Die Firma Felchlin stellt die weltweit beste Schokolade her, entsprechende Preise und Urkunden wurden immer wieder gewonnen.

 

Dann ist auch die Firma Viktorinox hier ansässig, die die Welt mit Millionen von Taschenmessern bedient, darunter das weltbekannte Swiss Army Knife. Nach und nach lernt man als Zuzüger dann auch Volk und Brauchtum kennen. Da kommt Erstaunliches zutage. Besonders aufgefallen ist mir anfänglich die grosse Begeisterung für die Fasnacht. Im Gegensatz zu der von mir auch sehr geschätzten Basler Fasnacht, die bekanntlich drei Tage dauert finden im Kanton Schwyz vom 6. Januar bis Ende Februar Fasnachtsveranstaltungen statt, fast volle zwei Monate also, mit über 600 (!)Veranstaltungen. Es gibt echt spannendes Brauchtum hier, überlieferte Kostüme von Fasnachtsfiguren wie Hudi, Talibasch und Välädi, Narrävatter und viele mehr. Das "Nüsseln" ist ein besonderer Narrentanz, wo ausschliesslich auf den Fersen oder nur auf den Fussspitzen getanzt wird, abhängig von der Ortschaft, wo der Brauch gepflegt wird. Wichtig ist an der Fasnacht natürlich die allabendliche Geselligkeit wo selbstredend auch dem Alkohol kräftig zugesprochen wird.

 

Dann nimmt man mit Erstaunen davon Kenntnis, dass die Muotathaler Wetterschmöcker monatlich eine halbe Seite Platz in der Lokalzeitung erhalten um ihre Prognosen für das Wetter im kommenden Monat zu präsentieren. Ein Club alter Bergler, die von sich behaupten, aufgrund von Gegebenheiten in der Natur das Wetter für ein paar Monate vorhersagen zu können. Meistens liegen sie ziemlich vollflächig daneben, aber da es ihrer acht Leute sind hat dann doch immer einer irgendwie Recht gehabt. Dem wird dann an der Jahresversammlung eine Urkunde überreicht. Auffallend auch der Stellenwert der Kirchen. Ganzseitige Ankündigungen der verschiedenen Kultorte in der Zeitung, die Leute haben hier, so sie es wollen, massenhaft Gelegenheit sonntäglich ihren imaginären Wolkendaddy anzuhimmeln und sich die Märchen der antiken Wüstensekte aus dem Nahen Osten immer wieder anzuhören. Das prägt die Leute natürlich auch enorm und führt zu erstaunlichen Verhaltensweisen.

 

Im Frühling ist das Lokalblatt voll mit Bildern von achtjährigen Kindern, die in weissen Engelskostümen, mit Kreuz und Kerze bewaffnet, ihr erstes Cookie vom zuständigen Priester empfangen. Ziemlich skurrile Bräuche rund um das Ganze, der Grossverteiler, der "gesegnete" Agatha-Ringli verkauft oder der Priester, welcher brennende Kerzen an die Hälse von Kindern hält um sie gegen Halsschmerzen zu wappnen. Natürlich muss auch ein neuer Bus der Verkehrsbetriebe von einem kostümierten Priester gesegnet werden. Gesegnet wird hier fast alles: vom Vieh über die Motorräder bis zu den landwirtschaftlichen Fahrzeugen. Es gäbe noch einiges an Seltsamem über die Einwohner hier zu berichten. Ihre auffallend kritiklose Zustimmung zu den Rechtspopulistischen Parteien, ihre Skepsis vor allem Fremden was ab und an in der amüsanten Handlung endet, einen Schriftzug "Eidgenosse" auf die Autorückscheibe zu kleben. Als ob sie beim Rütlischwur dabei gewesen wären und Programmhefte verkauft hätten. Ein weiterer, tieferer Einblick in das Wesen vieler Menschen, die dieses Tal hier bewohnen ist eine kürzlich angekündigte Veranstaltung: "Wer macht das grösste Geschäft?"

 

Ein Anlass wie er wahrscheinlich nur in diesem sonderbaren Kanton überhaupt angedacht werden kann. Am 4. September 2021 wird in Ingenbohl ein Festzelt aufgestellt und Party gefeiert. Das wäre an sich nichts Aussergewöhnliches, wäre da nicht die Hauptattraktion dieses Festes: Es ist ein "Schwyzer Priis-Geglä" (deutsch: Preis-Scheissen) angekündigt. Jeder der möchte kann sich in einem speziell dafür gebauten Toiletten-Häuschen entleeren, wobei seine Exkremente säuberlich gewogen werden. Wer den grössten Haufen deponiert hat ist Sieger des Abends und bekommt einen Preis. Im Lokalblatt war zu lesen: "Die Reaktionen auf den aussergewöhnlichen Anlass sind verschieden. Die jüngere Generation zeige Freude an der Veranstaltung. «Ich denke, es gibt aber auch viele, die den Kopf schütteln und sich fragen, ob wir nichts Schlaueres zu tun haben», so Kryenbühl. Doch das macht dem 21-Jährigen nichts aus. «Es müssen ja nur diejenigen teilnehmen, die wollen», führt er aus. Das Ziel und der Sinn dahinter sei, etwas Einzigartiges zu organisieren. " Wahrhaft einzigartig und ich frage mich allen Ernstes, wie tief eine Gesellschaft noch sinken kann.


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