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DE: Ladechaos in Deutschland – an diesen sechs Punkten hakt die E-Mobilität

DMZ – VERKEHR / MOBILITÄT ¦ Oliver Stock ¦  

 

Alle Parteien sind sich einig: Die E-Mobilität wird gefördert. Dazu gehört vor allem der Ausbau des Ladenetzes, für das bis 2025 sechs Milliarden Euro bereitstehen. Doch viel Geld bedeutet nicht automatisch, dass es läuft. Im Gegenteil: Die Übersicht fehlt, beim Bezahlen an der Stromtankstelle regiert das Chaos, und der Strom fließt auch nicht immer in der gewünschten Wattzahl. An diesen sechs Punkten hakt es besonders.

 

Aller Anfang ist schwer. Der Einstieg in die E-Mobilität auch. Nachdem die Autohersteller jahrelang den Elektromotor als Antrieb verschmähten, ist jetzt das Chaos an den Ladesäulen ausgebrochen. Prominenter Kronzeuge dafür, dass längst nicht alles funktioniert, wie es soll, ist neuerdings VW-Chef Herbert Diess, der von seiner Urlaubsfahrt an den Gardasee berichtet: Ausgerechnet an eine Tankstelle von Ionity, einem Gemeinschaftsunternehmen, an dem VW beteiligt ist, fand er „kein WC und keinen Kaffee“. Dazu: „Eine Säule außer Betrieb, traurige Angelegenheit“, befand er in einem öffentlichen Post, der ahnen ließ: Der VW-Chef war in diesem Augenblick geladener als sein Akku.

 

Kein WC und kein Kaffee sind allerdings noch die geringsten Probleme, denen E-Autofahrer beim Laden begegnen. In der Praxis herrscht wildes Durcheinander. Sechs Punkte sind dafür verantwortlich, die Aufsteller und Betreiber von Ladesäulen derzeit nicht in den Griff bekommen:

 

1) Schlechte Übersicht

Die noch amtierende Bundesregierung hat ein ehrgeiziges Ziel: eine Million Ladepunkte bis 2030. Dazu hat der Bund eine Reihe von Gesetzen erlassen, um die Ladeinfrastruktur zu verbessern. So will das Bundesverkehrsministerium bis Ende 2025 sechs Milliarden Euro für Ladesäulen ausgeben. Vor allem das Schnellladen soll gefördert werden: Bei dem „Deutschlandnetz“ genannten Konzept handelt es sich um rund 1000 Standorte mit jeweils mehreren Ladepunkten. Außerdem soll bis Ende 2022 Schnellade-Infrastruktur mit mindestens 150 Kilowatt an einem Viertel der Tankstellen, bis Ende 2026 an drei Viertel der Tankstellen verfügbar sein. Vor der Wahl sind sich alle Parteien einig, dass hier ein Schwerpunkt ihrer Bemühungen um klimaschonende Mobilität liegen muss. Sie haben sich unisono den Ausbau des E-Tankstellen-Netzes in die Wahlprogramme geschrieben.

 

Allerdings: Das Chaos herrscht bei der Übersicht. Derzeit bauen alle munter an Ladesäulen: Die Städte und Kommunen legen jeweils Millionenprogramme auf, um Stromtankstellen dahin zu bringen, wo sonst kein Platz ist: In Hochhaussiedlungen und Mehrfamilienhaus-Stadtteilen. Die Stromversorger überbieten sich darin, neue Ladesäulen feierlich in Betrieb zu nehmen. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo in Deutschland eine neue Stromtankstelle der örtlichen Stadtwerke oder überregionalen Versorger mit allem Pomp den ersten Kunden begrüßt. Hätten die Banken einst jeden Geldautomaten so gefeiert, wäre heute noch nicht Schluss damit. Dritter im Bunde der Tankstellen-Bauherren sind die Hersteller selbst, die natürlich merken, dass sie wenige ihrer Autos verkaufen, solange die Ladeinfrastruktur ein wunder Punkt bleibt: Ionity, das inzwischen auch südkoreanische Automarken wie Hyundai und Kia unterstützen, Teslas Supercharger-Netz, Audi und Porsche mit einem möglichen eigenen Premium Netz – all diese Betreiber drängen auf den Markt.

 

Die Folge: Niemand weiß so ganz genau, wie viele Tankstellen es wo gibt. Die dafür zuständige Bundesnetzagentur meldet 39.424 Normalladepunkte und 6.750 Schnellladepunkte zum 1. August. Aber auch sie kennt nicht die Ladesäulen in betriebseigenen Garagen oder vor Einfamilienhäusern und räumt ein, dass ihr Verzeichnis nicht lückenlos ist. Zu ganz anderen Zahlen kommt der Statistikanbieter Statista. Laut dessen Zählung liegt die Anzahl der Ladestationen in Deutschland im dritten Quartal des Jahres 2021 bei rund 24.400. Bei Statista fußen die Zahlen auf der Quelle Chargemap. Das ist ein Anbieter für das europaweite Bezahlen an öffentlichen Ladesäulen mit einer Karte. Chargemap zeigt aber nur jene Ladesäulen an, mit denen man eine Kooperation hat.

 

2) Tankkarten-Chaos

Damit kommt das zweite Problem ins Spiel. Autofahrern passiert es, dass sie beim Tanken an verschiedene E-Zapfsäulen mit jeweils einer anderen Zahlungsmethode konfrontiert werden. Laut einer Studie der Shell-Tochter „New Motion“ nutzen Fahrer eines E-Autos deswegen bis zu sechs Lade-Apps, fünf Ladekarten und weitere elektronische Zahlungsmittel wie eine Debit- oder Kreditkarte. In Österreich ist die durchschnittliche Anzahl an Ladekarten pro Fahrer mit 3,81 am höchsten, Franzosen (3,48) und Deutsche (3,37) sorgen auch lieber vor. Das bezahlen ist also nichts für Anfänger. „Der Markt ist noch in einer gewissen Findungsphase“, sagte jüngst dazu Martin Roemheld, Leiter Mobility-Services bei VW. Die Bunderegierung hat das gemerkt und will das Bezahlen an öffentlich zugänglichen Ladesäulen einfacher machen, Ladesäulenbetreiber müssen künftig mindestens eine kontaktlose Zahlung mit Kreditkarte anbieten – aber so weit ist es eben noch nicht.

 

3) Preis-Chaos

Der Strom fürs Auto fließt nicht umsonst. Die Preise schwanken von Ladesäule zu Ladesäule je nach Anbieter und Standort erheblich. Bis zu 50 Cent pro kWh werden an Autobahntankstellen mitunter fällig. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch eines E-Auto von 15kWh auf 100 Kilometer, sind das 7,50 Euro für die Strecke, was auch nicht weniger ist als bei einem Dieselmotor. Der Deutschen Lieblingssport – die billigste Tankstelle suchen – wird dabei zur unübersichtlichen Schnitzeljagd: Wer den Preis vorm Tanken abschätzen möchte, ist oft aufgeschmissen. Laut „New-Motion“-Umfrage gaben zwei von fünf Befragten an, dass sie mindestens einen Fall erlebt haben, bei dem sich der tatsächliche Ladepreis von dem Preis unterschied, der zuvor an der Ladestation angezeigt wurde.

 

4) Teure Anschaffung

Überhaupt ist der Preis so eine Sache. Das E-Auto kostet trotz Förderung in der Anschaffung mehr als herkömmliche Wagen, dazu kommt jedenfalls für die, die eine eigene Garage haben, auch noch die Ladebox für zu Hause. Das Ganze wird mit Geld und Gesetzen gefördert: Mieter mit einem eigenen Stellplatz haben danach einen Anspruch darauf, eine sogenannte Wallbox installieren zu dürfen. Parkplätze an neuen Gebäuden sollen künftig mit Schutzrohren für Elektrokabel ausgestattet werden, an „Nichtwohngebäuden" muss ab 2025 mindestens ein Ladepunkt errichtet werden. Laut Bundesverkehrsministerium wurden seit Beginn des Förderprogramms für private Wallboxen Ende November 2020 bereits Anträge für mehr als 300.000 solcher Ladestationen gestellt. Der Fördertopf wurde von ursprünglich 200 Millionen auf 400 Millionen Euro aufgestockt. Eine Wallbox mit einer geringen Leistung von 3,7 kW kostet rund 400 Euro, eine Drehstrom-Variante mit 22 kW und voller Vernetzung kann bis zu 2500 Euro kosten. Der Allgemeine Deutsche Automobilclub (ADAC) empfiehlt 11-kW-Wallboxen, sie liegen bei 500 bis 600 Euro. Richtig teuer in der Anschaffung wird es für den, der wirklich auf die Umweltbilanz achtet und mit Solarstrom aus der eigenen Photovoltaikanlage tanken will. Mehr als 5000 Euro werden fällig. Und Achtung: Wer Solarstrom erzeugt und immer dann, wenn er ihn nicht selbst braucht, ins Netz einspeist, gilt vor dem Finanzamt als Unternehmer und muss entsprechend Steuern für sein „Gewerbe“ zahlen.

 

5) Kein Platz nirgends

Dazu kommt ein Problem, das die Zeitung FAZ mit dem schönen Titel würdigte: „Altbau sucht Anschluss“. Es besteht darin, dass es in manchen Wohngebieten für kein Geld der Welt eine private Ladeinfrastruktur geben wird. Die von Herstellern wie VW verbreitete Schätzung, 40 Prozent aller Ladevorgänge fänden zu Hause, weitere 40 Prozent am Arbeitsplatz statt, berücksichtigt nicht die Lebenssituation von knapp der Hälfte der Menschen in Deutschland: 37 Millionen leben in Mehrfamilienhäusern. Die Deutsche Energie-Agentur Dena rechnet mit maximal 1,8 Millionen Ladepunkten in Gebäuden mit drei oder mehr Wohnungen. In einer deutschlandweiten Studie konstatierte die Agentur: Selbst in einem günstigen Szenario könnte es, mit Ausnahme weniger Gebiete Ostdeutschlands, schon bald in allen Landkreisen an öffentlichen Ladepunkten mangeln. Staus vor den Stromtankstellen, wo oft länger als eine halbe Stunde nachgeladen werden muss, dürften dann zum Straßenbild gehören.

 

6) Lange Ladezeit

Die meisten E-Autos laden schnell halb voll, die zweite Hälfte dauert eine gefühlte Ewigkeit. Nur Hochleistungsladestationen schaffen eine akzeptabel schnelle Aufladezeit. An den üblichen Säulen in der Stadt oder an der Wallbox dauert die Vollladung eines VW ID 3 mit 7,2 kW neuneinhalb Stunden. Autohersteller erklären auf Nachfrage das Phänomen der Reichweiten und Ladezeiten, die nicht immer liefern, was im Katalog steht, mit dem Batteriemanagement. Es sorgt dafür, dass der Akku beim Laden nicht zu sehr belastet wird. Ansonsten könnte das seine Lebensdauer verkürzen. Praxisrelevant für den Autofahrer ist im Endeffekt der Vergleich von nachgeladener Reichweite pro Zeit. An einer Hochleistungssäule eine halbe Stunde zu warten, um dann 250 Kilometer zu fahren, mag für die, die es nicht eilig haben, noch gehen. Stunden an der handelsüblichen Wallbox zu stehen, kommt für Vielfahrer jedoch nicht in Frage.

Unterm Strich führt das Durcheinander beim Aufbau der Ladeinfrastruktur zu Kosten, die die ganze Strategie infrage stellen. Die Deutsche Bank hat in einer aktuellen Studie darstellt: „Die CO2-Vermeidungskosten können die Schwelle von 1000 Euro pro Tonne übersteigen“ – was so viel bedeutet, wie: Die Bundesregierung gibt mehr als 1000 Euro für Förderungen und entgangene Besteuerung aus, um eine Tonne CO2 einzusparen. „Im Emissionshandel“, so vergleicht die Bank, „liegen die Kosten lediglich bei gut 50 Euro pro Tonne.“ Damit genüge „das aktuelle regulatorische Förderregime nicht den Kriterien der ökonomischen Effizienz und der ökologischen Effektivität", schreiben die Autoren zur Förderung der Elektromobilität. Deutschland könnte seine Klimaziele demnach weit billiger erreichen.

 

 

Herausgeber / Quelle: WirtschaftsKurier - Ladechaos in Deutschland – an diesen sechs Punkten hakt die E-Mobilität: WirtschaftsKurier - Nachrichten und Kommentare aus Politik und Wirtschaft


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