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Die Delta-Welle in Florida ist lehrreich, aber kein Szenario für Europa

DMZ –  WISSENSCHAFT ¦ Dirk Specht ¦      

KOMMENTAR

 

Die Entwicklung in Florida wird bei uns oft als Schreckensbild für die laufende Delta-Welle angeführt. Die Daten sind in der Tat bedrückend, da hier nicht nur die Inzidenzen wie in vielen anderen Ländern neue Höchstwerte erreichen, sondern auch die Sterbezahlen. Und ein Ende ist nicht absehbar!

 

Wir können in der Tat aus dieser Entwicklung Lehren ziehen, einfach übertragbar ist sie aber nicht. Es ist eine Kombination aus Regierungsversagen, außergewöhnlich alter Bevölkerung sowie einem weitgehend ungehemmten Freizeitleben der Jüngeren.

 

Für uns relevant ist vor allem die Tatsache, dass in Florida über den Sommer sehr viel Leben in klimatisierten Innenräumen statt findet. Die Voraussetzungen dort ähneln also sogar eher unserem Herbst/Winter als unserem Sommer. Das sollte uns in der Tat eine Mahnung sein, nicht zu optimistisch in den Herbst zu gehen, denn offensichtlich ist Delta so infektiös, dass die These “Impfung oder Infektion” tatsächlich zutrifft. In einer Situation wie in Florida scheint Delta seine möglichen Opfer – Ungeimpfte sowie Geimpfte mit schwacher Immunreaktion – sehr gut zu finden.

 

Zur Einordnung der Lage sind aber signifikante Unterschiede zu nennen. Der Gouverneur von Florida hat es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur keine Gegenmaßnahmen zu verhängen, sondern diese sogar zu verbieten. Dort gibt es die unglaubliche Situation, dass Rechtsstreitigkeiten gegen die eigene Regierung geführt werden, um beispielsweise lokal Masken- oder Testpflichten einführen zu “dürfen”. Die ersten Verfahren hat der Gouverneur jetzt verloren.

 

Gleichwohl hat er Umfragen zufolge eine Zustimmungsquote von 47% in der Bevölkerung – die verheerende Spaltung der US-Gesellschaft zeigt sich einmal mehr. Man darf daraus wohl schließen, dass bis zur Hälfte der Bevölkerung keinerlei eigene Achtsamkeit übt, Infektionen zu vermeiden. Das dürfte bei den Zahlen eine nicht geringe Rolle spielen.

 

Die einzige Strategie der Regierung ist immerhin die Impfkampagne, die man voran getrieben hat. Wie in den meisten Regionen der USA ist die Bevölkerung aber nicht weit über die Hälfte dafür erreichbar. Hinzu kommen die schlechten Sozialstrukturen, nicht selten bei den Älteren. So liegt die Impfquote bei den über 80jährigen zwar bei ca. 80% – was immer noch ein schwacher Wert ist – aber ausgerechnet bei den besonders sensiblen Seniorenheimen bei viel zu niedrigen 73%.

 

Ein Bericht der NYT zitiert die Gesundheitsbehöre mit einer Schätzung von 800.000 Hochrisikopatienten, die ungeimpft sind. Die Impflücken bei den Jüngeren sind natürlich noch viel höher, auch bei den Kindern. Hinzu kommt eine kaum nachvollziehbare regional sehr unterschiedliche Impfquote. So liegen einige Distrikte bei insgesamt – auch noch sehr niedrigen – 56% Impfquote, während andere unter 30% liegen.

Fasst man das zusammen, sieht man, dass es dort für Delta ganze “Biotope” wie Seniorenheime oder nur minimal geimpfte Distrikte gibt sowie insbesondere eine jüngere Bevölkerung, die das in Florida beliebte Partyleben voll auskostet.

 

Das führt kaum überraschend zu diesen fürchterlichen Ergebnissen, die das Gesundheitssystem zunehmen überlasten. Der Bericht zitiert eine Untersuchung der Gesundheitsbehörde zur Übersterblichkeit, die signifikant nachweisbar ist. Das macht man, wenn nicht mal die Zählung der Sterbefälle noch gelingt. Der Bericht kommt entsprechend zu dem Schluss, dass viele Patienten die Krankenhäuser gar nicht mehr erreichen und ungezählt versterben.

 

Es ist natürlich bemerkenswert, so eine eher an einen Staat der Dritten Welt erinnernde Lage in den USA festzustellen. Übertragbar auf unsere Verhältnisse ist das aber nur bedingt. Tatsächlich sollten wir uns darauf einstellen, dass Delta bei mehr Leben in Innenräumen seine potenziellen Opfer nahezu vollständig finden kann. Zugleich ist unser Impfschutz bedeutend höher, hinsichtlich der Risikogruppen besser verteilt und der legt hoffentlich in den nächsten Wochen noch zu.

 

Eine Warnung aus Florida sollten wir aber herausstreichen: Die Zahl der jüngeren Patienten in den Krankenhäusern und auch bei den Sterbefällen hat gegenüber den früheren Wellen deutlich zugenommen. Noch gibt es zur biologischen Gefährlichkeit von Delta keine validen Erkenntnisse, aber auch Jüngere sollten sich an deren Erlangung besser nicht beteiligen – die Impfung ist ganz sicher für jeden zu empfehlen, auch für Kinder.

 

Für Deutschland empfiehlt sich, was ich gestern geschrieben hatte: Es gibt angesichts der Delta-Wellen weltweit sehr optimistische Signale zur Wirksamkeit der Impfungen. Aber zugleich zeigt sich, dass es fahrlässig ist, diesen Schutz zu sehr herauszufordern. Daher ist im Interesse sowohl der Geimpften wie der Ungeimpften so bald wie möglich flächendeckend zu 2G in Innenräumen zu kommen. Das sollte parallel die Impfmüden, die ich an der Stelle von den Impfgegnern unterscheiden möchte, doch noch zur Spritze bringen. Ferner sollte eine systematische Impfkampagne für Kinder aufgesetzt werden sowie ab Oktober/November die Drittimpfung erfolgen.

 

Das wäre im Unterschied zu Florida eine seriöse Impfstrategie als singuläre Gegenmaßnahme. Wenn wir das konsequent umsetzen, sollte es nach derzeitigen Erkenntnissen endlich mal funktionieren.

Angesichts der de-eskalierenden Kommunikation der meisten Wahlkämpfer ist leider zu erwarten, dass von diesen Komponenten keine wirklich optimal genutzt wird. Vor allem bei den Kindern und den Drittimpfungen ist derzeit nicht viel erkennbar.

 

Das wird auch uns im Herbst einen Flickenteppich bescheren, der vermeidbar wäre. Aber mit dem in Florida ist er nicht vergleichbar. Wer das behauptet, betreibt tatsächlich Panikmache – das muss man auch mal erwähnen.


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