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CH: Zellen als Vorbild für flüssige kybernetische Systeme

Ehrgeizige Vision: eine künstlerische Darstellung, wie das COgITOR-System in Zukunft aussehen könnte. Bild: www.cogitor-project.eu / CiaoTech
Ehrgeizige Vision: eine künstlerische Darstellung, wie das COgITOR-System in Zukunft aussehen könnte. Bild: www.cogitor-project.eu / CiaoTech

DMZ – WISSENSCHAFT ¦ MM ¦ Norbert Raabe ¦   

 

Das Projekt COgITOR wird von der EU mit knapp 3,5 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre gefördert. Koordiniert vom «Istituto Italiano di Tecnologia» (IIT) in Genua und unter Beteiligung von Empa-Wissenschaftlern wollen die Forschenden ein kugelförmiges, flüssiges kybernetisches System entwickeln, das in extremen Umgebungen oder auf anderen Planeten eingesetzt werden kann.

 

Im Rahmen des COgITOR-Projekts wollen Forschende ein neues Konzept für ein künstliches kybernetisches System entwickeln, das seinen Namen von Rene Descartes' Maxime «Cogito, ergo sum» ableitet. Es lässt sich von neuen Trends in der Robotik inspirieren, die darauf abzielen, die mechanische Starrheit von Systemen zu verringern, wenn nicht gar ganz aufzuheben. Ziel ist es, ein flüssiges kybernetisches System zu schaffen, das von biologischen Zellen inspiriert ist und sich für die Erforschung extremer Umgebungen wie den Meeresboden oder Orte mit starken Magnetfeldern, aber auch für die Erkundung anderer Planeten eignet. Es wird kugelförmig sein, von einer empfindlichen Haut überzogen – eine Art Touchscreen –, die eine Formanpassung an die Umwelt ähnlich einer Amöbe ermöglicht, und mit einem auf thermischen Gradienten basierenden Energieerzeugungssystem ausgestattet sein.

 

COgITOR ist ein von der EU im Rahmen des Programms «Horizon2020» für die nächsten vier Jahre mit rund 3,5 Millionen Euro finanziertes Projekt. Konzipiert und koordiniert wird es vom IIT-Forscher Alessandro Chiolerio, der bereits am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Deutschland und am «Jet Propulsion Laboratory» der US-Weltraumbehörde NASA gearbeitet hat. Zum Konsortium gehören nebst dem Team von Empa-Forscher Artur Braun auch Andrew Adamatzky von der «University of Bristol», Carsten Jost von der Berliner Firma Plasmachem GmbH und Chiara Zocchi von Ciaotech Srl in Mailand.

Ein kybernetisches System ist per Definition ein System von Regeln, die die Interaktionen zwischen einem einzelnen Subjekt und dessen äusserer Umgebung steuern. Als Modell dient den COgITOR-Forschenden eine lebende Zelle, also ein von einer Membran umgebenes System, das mit einer flüssigen Substanz und mit winzigen Organellen gefüllt ist, die bestimmte Funktionen ausführen, und in dessen Zentrum sich ein Zellkern befindet. Das COgITOR-System besteht aus konzentrischen Kugeln, die mit Nanopartikeln angereicherte Flüssigkeiten enthalten, und in deren Mitte sich ein Siliziumchip befindet. «Unser Ziel ist es, einen ersten Prototyp für ein autonomes, flüssiges kybernetisches System zu entwickeln, das in Zukunft als intelligente, aktive Sonde in extremen Gebieten eingesetzt werden kann», erklärt Alessandro Chiolerio. «Damit können wir einen weiteren Schritt in deren Erforschung machen.»

 

Energieversorgung mit Empa-Knowhow

Diesem kleinen kugelrunden und weichen Roboter von der Grösse eines Tennisballs soll im Idealfall ohne (externen) Energievorrat auskommen. Vielmehr soll er die für seinen Betrieb erforderliche elektrische Energie aus der Umgebungswärme schöpfen («Energy Harvesting»). Im Prinzip sollte er dann auch an Orten ohne Sonnenlicht arbeiten können. Das Empa-Team um Artur Braun soll dafür keramische magnetofluide Materialien entwickeln, die diese Energieumwandlung bewerkstelligen können – und zwar in Form eines dünnen Flächensegments auf der Aussenseite der Kugel. Dadurch sollten sich einige Nanowatt elektrischer Leistung erzeugen lassen, gerade genug, um die Grundfunktionen des Mikrochips im Innern der Kugel aufrechtzuerhalten. Zumindest für die ersten Experimente soll aber auch eine externe Stromversorgung vorhanden sein.

 

Um das COgITOR-System herzustellen, wollen die Forscher ein Polymer entwickeln, das sich im Falle einer Beschädigung selbst reparieren kann. Im Inneren kommen ferroelektrische Nanopartikel zum Einsatz, die auf ein elektrisches Feld mit Hilfe von Elektroden an der Innenseite der Kugel reagieren und sich wie ein Kristall in koordinierten Formen anordnen können. Diese Konfiguration kann durch Ein- oder Ausschalten des elektrischen Feldes aktiviert bzw. deaktiviert werden; dadurch entsteht eine Zusammensetzung von Schemata, die Informationen kodieren können.

 

«Wir werden für unser System eine neue Programmiersprache erfinden müssen, die im Fachjargon als unkonventionelles Computing bezeichnet wird. Wir werden keine binäre Logik anwenden können, sondern müssen uns auf eine radikal innovative holografische Logik stützen», erklärt Chiolerio. «Unser Ziel für den Prototyp ist eine reduzierte Speicherkapazität, die einem Zeichen (8 Bit) entspricht. Für die Zukunft streben wir allerdings ein System an, das eine höhere Leistung als die derzeitigen traditionellen Systeme bietet.» Diese Weiterentwicklung des unkonventionellen Computing ist es, die den Empa-Wissenschaftler Braun am Projekt besonders reizt. «Auf diesem Gebiet arbeiten wir mit unseren Partnern schon seit einigen Jahren zusammen.»

 

 

 

 

 

Herausgeber

Eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt

http://www.empa.ch 


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