AT: Dringliche im Nationalrat: SPÖ fordert "Schluss mit Schreddern" vom Bundeskanzler

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Schallenberg: Keine Löschung von Daten vorgesehen, sondern nur Migration von Daten ins Bundesrechenzentrum

Wien (PK) – Einer Dringlichen Anfrage der SPÖ in der heutigen Nationalratssitzung unter dem Titel "Schluss mit Schreddern - Aufklärung statt Aktenvernichtung, Herr Bundeskanzler" zufolge haben die SozialdemokratInnen von Whistleblowern "beunruhigende Informationen" aus dem Bundeskanzleramt erhalten. Nach einem Schreddern von Festplatten im Sommer 2019 scheine sich die damalige Vorgangsweise dort "professionalisiert und massiv ausgeweitet" zu haben, so die Vorwürfe. Demnach sollen mit Stichtag 10. November 2021 sämtliche Daten von MitarbeiterInnen des Kanzleramts am Outlook-Server sowie in der elektronischen Dateiablage, die älter als ein Jahr sind, zentral und serverseitig gelöscht werden, entrüstet sich die SPÖ in ihrer Anfrage.

 

Die AnfragestellerInnen sahen den Verdacht erhärtet, dass eine "systematische Behinderung der Aufklärungsarbeit" sowohl der Staatsanwaltschaft als auch des Parlaments mit seinem neuen Untersuchungsausschuss durch "ÖVP-Gefolgsleute" in den Bundesministerien im Gange sei. Denn selbst bei voller Kooperation der ÖVP könne ein neuer Untersuchungsausschuss erst am 17. November eingesetzt sein. Bis dahin könnten die Ressorts Daten löschen, die für den Untersuchungsgegenstand von Interesse sein könnten, befürchten sie.

 

Vizekanzler Werner Kogler, der in Vertretung von Bundeskanzler Alexander Schallenberg die Beantwortung der Dringlichen Anfrage übernommen hatte, sprach demgegenüber von einem Projekt der IT-Konsolidierung des Bundeskanzleramts und der Ressorts gemeinsam mit dem Bundesrechenzentrum. Der Stichtag 10. November betreffe keine Löschung von Daten, sondern nur eine Migration von Daten ins Bundesrechenzentrum. Ein Datenverlust trete dabei nicht ein, es seien keine Löschungen vorgesehen, ließ Bundeskanzler Schallenberg mitteilen.

 

Darüber hinaus forderten ÖVP und Grünen mit einem in der Sitzung beschlossenen Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, jedenfalls sicherzustellen, dass für die Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrollrechte, wie insbesondere den zuletzt eingesetzten Untersuchungsausschuss, die notwendigen Akten- und Datenbestände, etwa in Sicherungskopien, aufbewahrt werden. Die Koalitionsparteien wollen damit außerdem verbriefen, dass die im Bundeskanzleramt durch den Datenmigrationsprozess in das Bundesrechenzentrum für 10. November 2021 vorgesehene automatisierte Löschung bzw. Beschränkung des Zugriffs auf Inhalte, die älter als 365 Tage sind, ausgesetzt werden soll. In der Minderheit blieb hingegen ein SPÖ-Entschließungsantrag mit der Forderung, unverzüglich Vorhaben zur Löschung elektronischer Daten einzustellen.

 

Mit den 22 Fragen der Dringlichen wollten die SPÖ-Abgeordneten Details und Hintergründe zu den geplanten Vorgängen erfahren. Konkret bezogen sie sich auf ein Schreiben des Generalsekretärs im Bundeskanzleramt. Sie wollten wissen, warum Vorbereitungen für eine Datenlöschung gerade am 4. Oktober 2021, in auffälliger zeitlicher Nähe zu den unterdessen bekannten Hausdurchsuchungen, begonnen hätten und aus welchen dienstlichen Gründen sich eine Dringlichkeit der Maßnahme ergeben habe. Unter anderem wollten die SozialdemokratInnen auch wissen, ob ein Akt zu dem Vorgang angelegt wurde, eine Weisung erteilt wurde und ob der Bundeskanzler informiert wurde. Sie fragten auch, welche Daten seither vernichtet wurden, ob zwischen 3. und 6. Oktober Computer oder Festplatten aus dem Bundeskanzleramt entfernt wurden und warum man gerade den 10. November 2021 als Tag der Löschung gewählt habe.

Krainer befürchtet umfangreichen Datenverlust vor Einsetzung eines neuen Untersuchungsausschusses

SPÖ-Abgeordneter Kai Jan Krainer erläuterte, die Anfrage unter dem Titel "Schluss mit Schreddern" sei vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Ibiza-Untersuchungsausschusses zu verstehen. Diesem wurden Unterlagen des Finanzministeriums und des Bundeskanzlers erst nach Einschaltung des Verfassungsgerichtshofs geliefert, wobei zuerst behauptet worden sei, dass die angeforderten Daten bereits gelöscht seien. Nun sei bekannt geworden, dass im Bundeskanzleramt für den 10. November eine umfangreiche Löschaktion geplant sei. Dabei würde, entgegen der bisherigen Praxis, automatisch alles gelöscht, was von MitarbeiterInnen nicht manuell gesichert und älter als ein Jahr sei.

 

Krainer hielt es für besonders auffällig, dass seines Wissens der Mitarbeiter des Bundeskanzleramts, der den Auftrag zur Löschung erteilt habe, bereits eine wichtige Rolle im "Projekt Ballhausplatz" um Sebastian Kurz innehatte. Das Parlament dürfe sich ein Vorgehen, das es bei der Wahrnehmung seines Kontrollauftrags behindere, nicht gefallen lassen, betonte Krainer. Zwar sei ein Entschließungsantrag von ÖVP und Grünen angekündigt, der die Bundesregierung auffordere, vorerst keine Daten zu löschen. Dieser Antrag sei jedoch so ungenau formuliert, dass er das Problem nicht löse, kritisierte Krainer. Diese Aufforderung müsste sich nämlich direkt an die Ressorts selbst richten. Zudem fehle eine Angabe, wie lange die Löschung ausgesetzt werden soll. Krainer verwies auf Informationen, wonach wenige Stunden vor der Hausdurchsuchung durch ein Transportunternehmen Akten und Computer aus dem Bundeskanzleramt entfernt wurden. Die Beantwortung dieser Frage sei von besonderer Wichtigkeit, sagte Krainer.

 

Vizekanzler Kogler: Bundeskanzler Schallenberg teilt mit, dass keine Datenlöschungen erfolgen

Da sich Bundeskanzler Alexander Schallenberg in Brüssel aufhielt, übernahm Vizekanzler Werner Kogler die Beantwortung der Dringlichen Anfrage. Er habe sich mit dem Bundeskanzler in Verbindung gesetzt und werde im Einverständnis mit ihm die Antworten verlesen, die das Bundeskanzleramt vorbereitet habe, erläuterte er. In seiner eigenen Funktion als Minister könne er mitteilen, dass es in seinem und in dem von anderen Mitgliedern der Grünen geführten Ressorts keine zentrale Anordnung zu Löschungen von E-Mails und Daten gebe.

 

Der Vizekanzler verlas daraufhin die Antworten, die ausführten, dass sich die von der SPÖ genannten Dokumente auf einen Prozess der IT-Konsolidierung der Bundesregierung beziehen. In Rahmen dieses bereits seit längerem laufenden Projekts sollen IT-Systeme an das Bundesrechenzentrum übertragen werden, um mehr Datensicherheit zu garantieren. Seit Juli dieses Jahres seien die technischen Vorbereitungen für eine Migration von E-Mailservern an das Bundesrechenzentrum geplant, was im Übrigen auch für andere Ressorts vereinbart sei. Jedenfalls sei keine gesamthafte Löschung von E-Mails und anderen Daten vorgesehen, die Daten würden vielmehr verfügbar bleiben. Das Informationsschreiben, das in der Anfrage angesprochen werde, sei Teil eines Konsultationsverfahrens unter Einbeziehung der Personalvertretung, bei dem zitierten Brief handle es sich um einen Arbeitsauftrag. Er und sein Kabinett seien über das Projekt informiert, ließ Schallenberg mitteilen.

 

Zur Frage, ob ein Transportunternehmen in Zeitraum von 3. bis 6. Oktober Aufträge durchführt habe, ließ der Bundeskanzler mitteilen, dass dies nicht der Fall war. Beim Datum 10. November handle es sich nicht um den Termin einer Löschung von Daten, sondern um den Termin einer seit längerem geplanten Datenmigration. Dabei würden keine Daten verloren gehen, hieß es aus dem Bundeskanzleramt.

SPÖ ortet Versuch der illegalen Datenlöschung, um den Rechtsstaat zu beugen

In der Debatte zeigte sich Jörg Leichtfried (SPÖ) entsetzt, dass Vizekanzler Werner Kogler kein Wort der Kritik zu den Vorgängen im Bundeskanzleramt gefunden habe. Es handle sich um den Versuch der illegalen Datenlöschung, um den Rechtsstaat zu beugen. Damit habe Kogler das Vorhaben der "größten Shredder-Aktion der Zweiten Republik" gerechtfertigt, um zu verhindern, dass weitere Korruptionsvorwürfe und Missstände aufgedeckt würden. Die SPÖ werde "alles dafür tun", das zu verhindern, unterstrich Leichtfried. Der SPÖ-Mandatar forderte die Regierungsparteien auf, dem SPÖ- Entschließungsantrag zuzustimmen, "wenn Sie es mit der Aufklärung ernst meinen".

 

ÖVP: Es geht um die Umsetzung der IT-Sicherheitsstrategie des Bundes

Gänzlich anders sah das Wolfgang Gerstl (ÖVP). Der Vizekanzler habe "klar dargelegt", dass es um eine IT-Sicherheitsstrategie des Bundes gehe. Dabei gehe es um die Sicherung und Migration in das Bundesrechenzentrum und nicht um das Löschen von Daten. Diese Strategie hätten bereits mehrere MinisterInnen sowohl von den Grünen als auch von der ÖVP umgesetzt. Auch der Rechnungshof habe dem Bundeskanzleramt empfohlen diese IT-Sicherheitsstrategie allen Bediensteten kund zu machen. Die SPÖ versuche dies nun zu skandalisieren. Er verstehe, dass die Opposition für Kontrolle sorgen müsse, aber dies brauche Qualität, so Gerstl. Die Pandemie sie noch nicht vorbei, darum brauche es jetzt Kontrolle und Zusammenhalt und "kein Zündeln von links und rechts".

 

FPÖ: ÖVP will Sittenbild verwischen

Die ÖVP unter Sebastian Kurz wolle ein Sittenbild verwischen, welches den Staat erschüttert habe, konstatierte Christian Hafenecker (FPÖ). Man habe Umfragen manipuliert, den eigenen Parteichef abgesetzt und "Bundesländer aufgehetzt". Es sei nur eine Frage der Zeit bis weitere belastende Informationen auftauchen würden. Die Argumentation mit einer IT-Sicherheitsstrategie sei ein "perfides Spiel", es brauche nun Aufklärung, um zu verhindern, dass die ÖVP weiter "verdunkle", so Hafenecker.

Grüne: IT-Konsolidierung der Bundessysteme ist Teil des Regierungsprogramms

Eva Blimlinger (Grüne) kritisierte die Vorgehensweise der SPÖ. Die Dringliche Anfrage sei "gegen alle parlamentarischen Usancen", da die SozialdemokratInnen gewusst hätten, dass sich Bundeskanzler Schallenberg nicht in Österreich befinde. Was den Vorwurf der Datenlöschung betrifft, betonte die Grünen-Mandatarin, dass die IT-Konsolidierung der Bundessysteme auch im Regierungsprogramm zu finden sei. Die Migration der Daten in das Bundesrechenzentrum habe teilweise schon begonnen. Auch grüne Ministerien hätten das teilweise schon in Angriff genommen. Es gebe aber kein Löschen von Daten und auch keine Weisungen dazu, so Blimlinger.

 

NEOS: Einmalig, wie ÖVP die Politik beschädigt hat

"Es ist so viel Schreckliches passiert, darum traut man Ihnen auch so viel zu", sagte Helmut Brandstätter (NEOS) in Richtung ÖVP. Es sei einmalig, wie man "in so kurzer Zeit die Politik beschädigen kann". Es gehe nun darum, wieder Vertrauen aufzubauen. Der NEOS-Mandatar zeigte sich jedoch skeptisch, wie dies gelingen soll, "wenn die Verwaltung teilweise von Leuten geleitet wird, die der Bestechung, Falschaussage und Untreue beschuldigt werden". Was die Fragen rund um die Datenspeicherung betrifft, hätten etwa alle bisherigen Bundeskanzler außer Sebastian Kurz ihre Kalender dem Staatsarchiv übergeben, kritisierte Brandstätter. (Fortsetzung Nationalrat) sox/mbu/med

 

 

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦


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