RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Wenn Künstler ihre eigenen Werke zerstören. Teil II

Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)
Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦                        

 

Über die wunderliche Begebenheit, dass Künstler mitunter ihre eigenen Werke zerstören, haben wir schon letzte Woche viel erfahren. An dieser Stelle folgt der zweite Teil. Und der ist nicht minder spannend. Enjoy! Wer den ersten Teil verpasst hat, kann ihn hier gerne nachlesen: https://bit.ly/30TtBo1

 

Zum Einstieg in die heutige Kolumne muss festgehalten werden, dass die Selbstzerstörung zweifellos eine natürliche Komponente enthält.

Der biologische Prozess bedingt es nämlich, dass Material zerfällt oder sich verändert. In der Regel versucht die Kunstwelt, solche Entwicklungen mit allen Mitteln aufzuhalten. Restaurator*innen werden verpflichtet, Gemälde hinter Schutzglas verschlossen und Kunstwerke sicher und luftdicht im Depot verstaut um sie vor Sonnenlicht, Kinderhänden und anderen Einflüssen zu schützen. Konservatorisch betrachtet soll ein Kunstwerk die Jahrhunderte möglichst in demjenigen Zustand überdauern, wie es sich präsentierte, als der oder die Künstler*in es für „fertig“ erklärt hat. Interessant ist es also, dass sich verschiedene Künstler*innen mit genau diesem Aspekt, d.h. mit der Vergänglichkeit der von ihnen geschaffenen Werke, auseinandersetzen.

 

Eine zeitgenössische Künstlerin, die in ihren Arbeiten mit der Endlichkeit der Dinge spielt, ist Rebecca Louise Law. www.rebeccalouiselaw.com Dabei kreiert sie riesige Installationen, in denen sie tausende Blumen zu Kunstwerken verknüpft. Diese darf man sich häufig als duftende Girlanden vorstellen, die in ganzen «Vorhängen» von der Decke fallen. Denn es reicht ihr natürlich nicht einen Blumenstrang herzustellen. Sie knüpft hunderte hiervon. Diese werden dann so im Raum gehängt, dass diese Gebinde die Räume nicht nur zieren, sondern regelrecht unterteilen.

 

Schnüre, Taue und Seile aus Blüten die wie Urwald-Lianen von oben herab zu wachsen scheinen, bilden in den grossen Sälen der Museen für zeitgenössische Kunst Kreise, Gardinen und Alleen die man als Besucher*in durchschreitet. Doch auch die gegenteilige Form, florale Gebilde die sich wie Stalagmiten vom Boden erheben gehören zu ihrem Werk. Und Teppiche, amorphe Skulpturen und an wuchernder Üppigkeit nicht zu übertreffende Plastiken.

 

Über die Dauer der Ausstellung durchleben ihre Arbeiten eine permanente Veränderung. Als Besucher*in lässt sich dies gut beobachten. Allerdings greift Law kurz vor der kompletten Kompostierung dann doch in den Prozess ein. Am Ende der Ausstellung werden die Blumen jeweils konserviert und zu neuen Skulpturen verarbeitet.

 

Auch Sandra Knecht arbeitet als bildende Künstlerin mit verderblicher Ware. Und nicht minder entzückt sie mit optischen Eindrücken und Düften, die die Sinne betören. Nur, dass es sich bei ihrer Kunst um die formvollendete Darstellung von Gerichten handelt. Gekochten Menüs, Inszenierungen kulinarischer Köstlichkeiten und auch mal die getreue Nachbildung eines Stilllebens aus dem 16ten Jahrhundert, die sie öfters in Museen oder wie 2017 an der Biennale in Venedig im Schweizer Pavillon präsentiert, und damit die geschätzten Besucher zum Essen lädt.

 

Die ganzen Vorbereitungen, die je nach Mahl auch Wochen in Anspruch nehmen können - man denke da nur an all die Dinge die geräuchert, eingelegt oder wie Käse reifen müssen - gipfeln als Gaumenschmaus im Verzehr. Sinn und Zweck all ihrer Aufwände, Bemühungen und Anstrengungen scheint der flüchtige Augenblick zu sein, in dem Optik und Genuss zu einer Einheit verschmelzen, um die so Bekochten in den siebten Himmel zu tragen.

 

Das geschaffene Werk beinhaltet so auch immer gleich dessen Zerstörung. Und um dieses überhaupt herzustellen wird eine Unmenge an Zutaten in seine Einzelteile zerlegt... Die dargestellte Arbeit ist aber letztlich eine mehrdeutige. Gerade weil sie im Kontext künstlerischer Auseinandersetzung stattfindet, und nicht ausschliesslich in der Küche. Denn selbstverständlich schwingen hier nicht nur all die Debatten, Diskussionen und Einsichten um unsere Nahrung mit – vom fairen Handel bis zum gesunden Anbau, über die Pflege der Böden und der Natur, ganzheitliche Ansätze, Nachhaltigkeit und die Vermeidung von schädlichen Stoffen in der Nahrungsmittelindustrie - sondern auch das Bewusstsein Teil eines biologischen Ganzen zu sein. Mehr über Sandra Knecht erfährt Ihr hier: www.sandraknecht.ch

 

Zur Meisterschaft in der Darstellung von Vergänglichem hat es aber Dieter Roth (1930 – 1998) gebracht. In der Tate Modern in London gibt es dieses Stillleben mit Birnen, Äpfeln, Pfirsichen und Trauben von Sam Tayler Wood. Eine Videoinstallation auf einem gerahmten, flachen Bildschirm, dass sich als Gemälde tarnt. Erst wenn man mehrmals daran vorbeigeht oder länger davor verharrt, stellt man fest, dass man den dargestellten Früchten beim Verrotten zusieht. Sam, eigentlich Samantha, zeigt uns hier im Zeitraffer wie sie verfaulen und von Schimmel und Ungeziefer überwuchert in sich zusammenfallen. (Kuckt: hier gibt es diese Installation auf Youtube als Video: https://www.youtube.com/watch?v=BJQYSPFo7hk .) So in etwa muss man sich die Kunst von Dieter Roth vorstellen. Oder sagen wir mal, gewisse Arbeiten. Denn sein Gesamtwerk umfasst sehr viel mehr. Er war sowohl Dichter und Grafiker, als auch Aktions- und Objektkünstler. Und hat uns als solcher nicht nur lautmalerische Texte, Theaterstücke und spannende Installationen, sondern auch die vollständige Suhrkamp Taschenbuchausgabe von Georg Hegel, die er zerkleinerte, mit Gewürzen und Schweineschmalz anreicherte und in 20 Wurstdärmen abfüllte, die Skulptur eines Hasen, erstellt aus Stroh und Hasenkot, und unzählige Arbeiten aus Lebensmitteln hinterlassen, die er ganz bewusst vermodern und verwesen liess.

 

Darunter Werke wie der Selbstturm, bestehend aus einem Regal mit dutzenden kleinen Büsten seiner Person, gegossen aus Schokolade und dem Löwenturm, ihr habt es erraten, ein Gestell mit dutzenden kleinen Löwenabbildungen aus Schokolade, deren stetiger Zerfall Konzept der Arbeit ist.

 

Dabei sind es gerade die farblichen Veränderungen der Schokolade und die Schimmelwucherung auf den gezeigten Objekten, die sich über die Jahrzehnte laufend verändern, die diese Installationen so spannend machen. Von Roth kennen wir auch die Arbeit «Kleiner Sonnenuntergang». Ein Papier, das von der Mitte abwärts von einer transparenten, blauen Folie bedeckt wird. Zwischen Folie und Papier klemmte der Künstler eine Salamischeibe, dessen Zersetzungsprozess über die Jahre konzentrische, gelbe Ringe schuf und nun tatsächlich dem Titel des Werkes gerecht wird.

 

Ich sehe schon, hier folgt ein dritter Teil. Denn über die mutwillige Zerstörung, das brachiale Kaputtmachen der eigenen Werke als künstlerischer Prozess haben wir noch gar nicht gesprochen. Es bleibt also spannend. Eine gute Woche wünsche ich Euch.

 

Ganz liebe Grüsse

Euer Alon

 

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