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Was spaltet unsere Gesellschaft wirklich?

DMZ – SOZIALES / Natalie Barth ¦                                         

KOMMENTAR

 

Die Spaltung unserer Gesellschaft – ein Thema, das gerade viele bewegt. Ist unsere Gesellschaft tatsächlich gespalten oder kommt ein Geschwür, das schon immer bestand, endlich an die Oberfläche, um es anzusehen, zu verarbeiten und im Anschluss anders damit umzugehen? Persönliche Gedanken zum «Menschsein».

 

Vor Kurzem war ich auf einer interessanten, unerwarteten Weiterbildung. Unerwartet, weil ich vor Allem in der Mittagspause am meisten lernen konnte. Ich sass mit 3 Männern an einem Tisch. Naja, es kam, wie es kommen musste. Die Themen «Corona», «Impfen» usw. führten einmal wieder zu Diskussionen. Wo sich vorher vier wildfremde Menschen ruhig, vorsichtig und herantastend kennenlernten, war plötzlich jegliche Scheu passé und die eigenen Meinungen und Weisheiten wurden deutlicher und hitziger auf die anderen losgelassen. Auch von mir.

 

Nachdem derjenige, der die Diskussion startete, uns über die Impffolgen und die «Verarschung der Gesellschaft» aufklärte, warf ich provokativ zurück: «Ich bin 2 x geimpft. Und ich finde es gut!» Auch die anderen Zwei am Tisch outeten sich, dass sie ebenfalls geimpft wären, wenn auch aus vollkommen anderen Gründen als ich. Der Diskussionsstarter sah mich erschüttert an und fragte: «Und warum hast Du Dich impfen lassen? Hast Du so eine grosse Angst?» Meine Antwort: «Nein, aus Überzeugung habe ich mich impfen lassen. Ich habe keine Angst. Ich habe Respekt vor dieser Krankheit. Angst ist etwas völlig anderes.» Es ging noch eine Weile mit diversem Schlagabtausch hin und her.

 

Ich sehe nun bereits vor meinem geistigen Auge, wie just in diesem Moment bei einigen Lesern das Blut in den Andern kocht und sie am liebsten sofort mit in diese Diskussion einsteigen würden. Wie sie gerne ihre wichtigen und gut begründeten Argumente auf den Tisch knallen würden. Egal auf welcher der vielen Seiten man stehen mag, welche Meinung, welche Ansicht, welches Weltbild man vertritt: Wir haben ALLE unsere Argumente parat und möchten sie dem anderen am liebsten bei jeder Gelegenheit ins Gesicht schleudern. Damit der Wahnsinn endlich aufhört. «Damit die anderen doch endlich kapieren mögen, was WIRKLICH stimmt.» Stimmt’s? :-) 

 

Und immer wieder «Corona»…

Die Geschichte geht weiter. Und sie geht nicht so aus, wie Du vielleicht denkst. Nachdem das Ping-Pong-Spiel seinen Lauf nimmt, erinnere ich mich schlagartig an eine Begebenheit, die eine Woche vorher stattfand. Ich traf an diesem Tag endlich wieder eine Bekannte persönlich, die ich das letzte Mal 2 Jahre zuvor sah. Wir verstanden uns immer ziemlich gut. Durch Corona hatten wir dann nur noch sporadisch online Kontakt, aber es riss nie vollständig ab.

 

Als ich ihr an diesem Nachmittag mit einer Tasse Kaffee gegenübersass, kam auch hier wieder das Gespräch auf Corona. Es geht offensichtlich nicht mehr anders, aber vielleicht ist das auch gut so. Dazu später mehr.

Obwohl wir beide feststellten, dass unsere Ansichten doch eher konträr sind und wir uns gegenseitig auch wieder ein paar Argumente für unsere Sicht der Dinge zuwarfen, konnten wir dann wieder ganz normal und menschlich miteinander reden und hörten auf, uns gegenseitig zu missionieren. Und weisst Du was? Es war für mich einer der schönsten Nachmittage und Begegnungen seit langem. Wir konnten menschlich miteinander umgehen, OBWOHL wir konträre Standpunkte hatten und diese auch nicht aufgaben.

 

Hätte ich oder sie allerdings weiter missioniert und versucht die andere zu überzeugen, oder wäre eine von uns einfach aufgestanden, gegangen, hätte dicht gemacht und sogar den Kontakt beendet, dann hätte erstens - und ganz besonders, sowieso und erst recht – KEINE von uns den eigenen Standpunkt verlassen. Aber zweitens hätten wir auch menschlich den Kontakt verloren. Und genau das ist es, was unsere Gesellschaft schon immer gespalten hat und jetzt einfach ganz deutlich an die Oberfläche kommt: Nicht konträre Meinungen und Verhaltensweisen spalten uns. Nicht die Impfbefürworter oder die -gegner spalten uns. Sondern dieser absolute Missionierungsdrang, dieses Pochen auf «Wahrheit», dieses Gefühl, die ganze Welt muss so ticken und für das einstehen und kämpfen, für das wir gerade einstehen und kämpfen.

 

Und dabei ist es völlig gleichgültig, um welches Thema es geht. Wir DÜRFEN unterschiedliche Standpunkte haben. Das scheint für viele ein total abstruser Gedanke zu sein.

 

Menschsein und das Recht auf den eigenen Standpunkt

 

Aber natürlich können wir darüber streiten, wie weit dieser Standpunkt gehen darf, denn das Recht auf Freiheit und eigene Meinung hört dort auf, wo wir einen anderen gefährden oder schädigen.

 

Ich habe mir in den letzten Wochen allerdings die Frage gestellt: Ab wann fängt das an? Wo ziehen wir die Grenze? Auch Menschen, die rauchen, gefährden die Gesundheit anderer. Allein in Deutschland sterben jedes Jahr einige Tausend Menschen an den Folgen des Passivrauchens. Rennen wir auch zu jedem Raucher hin, schlagen ihm die Zigarette aus dem Mund und klären ihn auf, wie folgenreich sein Verhalten ist? Kündigen wir ihm die Freundschaft? Und die viel wichtigere Frage ist: Ist so ein Verhalten denn eigentlich zielführend? Oder bewirkt es genau das Gegenteil von dem, was wir erreichen möchten?

 

Und bevor die Frage kommt, möchte ich die Antwort gleich vorwegnehmen: Ja, ich habe einen Standpunkt und ich empfinde es als äusserst wichtig, über Themen zu sprechen oder gar aufzuklären, die unser Leben, unsere Gesellschaft, unseren Planeten betreffen. Sei es Gesundheit, sei es der Klimawandel und der rücksichtslose Umgang von uns Menschen mit Natur und Tieren, sei es das Warnen vor Sekten und anderen destruktiven Gruppen oder sei es auch das Enttabuisieren von seelischem, geistlichem oder sexuellem Missbrauch. Und die Liste könnte ich noch eine ganze Weile fortführen.

 

Aber zurück zur ersten Geschichte. Die mit den 3 Männern am Mittagstisch in meiner Weiterbildung. Ich sagte irgendwann: «Was wir in dieser Zeit wahrscheinlich alle am meisten lernen müssen, ist, dass wir den gegenseitigen Respekt voreinander nicht verlieren. Dass wir den anderen in seiner Meinung so stehen lassen können und seinen Wert als Mensch nicht degradieren und herunterspielen. Denn DAS spaltet unsere Gesellschaft.» und da waren sich ALLE am Tisch dann erstaunlich einig. Und fast schon ein bisschen wehmütig und melancholisch. Denn was wir hier gerade in unserer Gesellschaft erleben, berührt uns fast alle unangenehm, egal welche Meinung wir vertreten und wie wir uns generell verhalten.

 

Was wir allerdings wahnsinnig schnell aus den Augen verlieren, wenn wir in unserem Missionierungswahn stecken: Dass wir alle immer noch Menschen sind. Wir sind nicht nur Politiker, Bürger, Impfgegner, Impfbefürworter, Manager, Arbeiter, Mann, Frau, Hetero, Homo, etc. Wir sind Menschen. Und wir haben nicht das Recht, IRGENDEINEM Menschen das Recht des Menschseins abzusprechen.

 

Respekt und Zuhören statt pauschal urteilen

Was aber nicht heisst, dass wir unsere Meinung und unseren Standpunkt für uns behalten müssen. Im Gegenteil. Raus damit. Darüber reden.

 

Unter einer Voraussetzung - und die hat es in sich, denn irgendwie können wir das anscheinend alle nicht mehr richtig: Auch dem anderen zuhören, ihn mit seinen Befürchtungen und Ängsten ernst nehmen und mal über den Tellerrand schauen. Aufhören mit diesen pauschalen Urteilen: «Alle Politiker sind korrupt und wollen uns verarschen» «Die das oben wollen uns versklaven» «Die komplette Pharmaindustrie ist eine Mafia und will sich nur an uns bereichern.»

 

Und auch wenn wir alle Menschen, die kritische Argumente für ein Thema liefern in die Ecke «Verschwörungstheoretiker» verfrachten und zum Beispiel alle Impfgegner als Schwurbler beschimpfen usw. machen wir nichts anderes. Auch hier sei die Frage erlaubt: Ist so ein Verhalten zielführend? Baue ich nicht genau dadurch noch mehr Fronten auf? Kann das die Lösung sein?

 

An diesem Weiterbildungstag haben wir den Nachmittag gemeinsam verbracht, hatten irgendwann wieder andere Themen, hatten Spass. Und für mich war es am Ende ein sehr befriedigender, schöner Tag. Ohne irgendwelche negativen Vibes, nur weil da jemand komplett anders tickte als ich. Hätte ich meine defensive Haltung weiter beibehalten, hätte ich mir diesen Tag und diese Verbindungen komplett zunichte gemacht. Und meinen Teil zur Spaltung der Gesellschaft beigetragen.

 

Und genau das habe ich in der Vergangenheit leider bereits gemacht. Ich habe Menschen vor den Kopf gestossen, ihnen weh getan, sie als «asozial» beschimpft. Menschen, die mir wichtig waren. Das war falsch, es könnte nicht falscher sein.

 

ICH musste und muss es lernen, dieses «Menschsein» und «Menschbleiben», wenn die konträren Ansichten aufeinanderprallen, egal wie schwierig das sein mag und egal wie verständlich es wäre, auszuticken. Das gestehe ich offen und ehrlich ein. Du auch?

 

 

Natalie Barth schreibt für den Blog www.nataliesdiary.com und betreibt den Aufklärungskanal auf YouTube «Natalie Barth – Die Sekte und das Leben danach» (Link: https://www.youtube.com/c/NatalieBarth) 


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