DMZ – GESUNDHEIT / WISSEN ¦ Markus Golla ¦
Forschungsteam der Universität und des Universitätsklinikums Tübingen entwickelt Ansatz zur Reduktion epileptischer Aktivität bei Kindern
Eine bei Kindern häufige Form der Epilepsie ist die Rolando-Epilepsie, bei der die Anfälle vornehmlich im Schlaf auftreten. Durch im Schlaf vorgespielte kurze Laute können die für die
Epilepsie charakteristischen, in der Hirnaktivität messbaren Ausschläge teilweise unterdrückt werden. Das hat ein Forschungsteam der Universität und des Universitätsklinikums Tübingen unter der
Leitung von Dr. Hong-Viet Ngo und Professor Jan Born vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie festgestellt. Diese Erkenntnisse könnten die Grundlage für künftige
Forschungen an Therapien für diese Epilepsieform bilden. Zwar nimmt die Rolando-Epilepsie in der Regel einen milden Verlauf und bleibt oft unbehandelt. Doch ließen sich zum Teil mit der
Erkrankung in Verbindung gebrachte Auffälligkeiten in der kognitiven Entwicklung durch eine solche Therapie möglicherweise beeinflussen. Die neue Studie wurde in der Fachzeitschrift Cell Reports
Medicine veröffentlicht.
Die Rolando-Epilepsie tritt bei Kindern meist zwischen dem fünften und achten Lebensjahr erstmals auf und verschwindet um den Beginn der Pubertät. „Die Anfälle bei dieser Form der Epilepsie sind
meist kurz, es kann zu Zuckungen im Bereich des Gesichtes und vorübergehenden Sprechstörungen im Rahmen der Anfälle kommen“, erklärt die an der Studie beteiligte Ärztin Dr. med. Susanne Ruf von
der Kinderklinik. Auch treten die Anfälle oft nur in sehr großen zeitlichen Abständen auf. Daher entscheiden sich viele Eltern und Kinder gegen die Einnahme von Tabletten. „Problematisch ist
jedoch, dass die Epilepsie die normale Hirnaktivität im Schlaf in einer wichtigen Entwicklungsphase der Kinder stören kann.“ Lern- und Sprachschwierigkeiten, Gedächtnis- und
Aufmerksamkeitsstörungen würden mit der Rolando-Epilepsie in Verbindung gebracht.
Unterschiede in der Hirnaktivität
In der Studie zeichnete das Forschungsteam die elektrische Hirnaktivität von sieben an Rolando-Epilepsie erkrankten Kindern sowie sieben jeweils altersgleichen gesunden Kontrollpersonen während
des Schlafs nichtinvasiv in Elektroenzephalogrammen (EEG) auf. „Wir können mit unserer Arbeit frühere Erkenntnisse bestätigen, dass es bei den kleinen Patienten im Schlaf Unterschiede in der
Hirnaktivität gegenüber gesunden Kindern gibt“, sagt Dr. Jens Klinzing aus Borns Arbeitsgruppe, der Erstautor der Studie. „Dies betrifft insbesondere die sogenannten Schlafspindeln, ein
Aktivitätsmuster, das wichtig für die Verarbeitung von Gedächtnis im Schlaf ist.“ Im Schlaf und in ruhigen Wachphasen wurden außerdem die zu erwartenden epileptischen Entladungen gemessen, die
als Ausschlag der Kurve im EEG aufgezeichnet werden. „Man nimmt an, dass von der Rate und Stärke dieser Entladungen, die wir als Spikes bezeichnen, abhängt, wie stark ausgeprägt die
Beeinträchtigung der Entwicklung der Kinder ist.“
Dass der wahrscheinliche Ursprungsort der Spikes die Verbindungen zwischen dem Zwischenhirn und der Großhirnrinde sind, brachte die Forscher auf die Idee, Experimente mit Lauten im Schlaf
durchzuführen. „Diese Verbindungen sind sowohl an der Entstehung von Spikes als auch von Schlafspindeln beteiligt“, sagt Klinzing. „Aus früheren Untersuchungen war bekannt, dass sich
Schlafspindeln durch Laute stimulieren lassen.“ Die Forscher vermuteten daher, dass sich so auch die epileptischen Entladungen beeinflussen lassen könnten. Tatsächlich stellte sich heraus, dass
die leise abgespielten Laute bei den an Rolando-Epilepsie erkrankten Kindern sowohl die Spikefrequenz verminderten als auch die Intensität der darauffolgenden Spikes.
Förderung der plastischen Prozesse im Gehirn
„In Folge der Laute traten die gewünschten Schlafspindeln im EEG auf“, sagt Dr. Ngo. Diese sind ein Indikator dafür, dass plastische Prozesse im Gehirn ablaufen, die zur Festigung von
Gedächtnisinhalten führen. Dies seien Funktionen, die bei der Rolando-Epilepsie beeinträchtigt sein können. „Wir hoffen, einen Ansatz gefunden zu haben, um die mit der Erkrankung verbundenen
ungünstigen epileptischen Entladungen ein wenig zu unterdrücken“, sagt der Wissenschaftler. Nun müsse eine größere Studie mit mehr Patienten und längeren Behandlungszeiten die Befunde erhärten.
Zu den offenen Fragen gehört, ob die Unterdrückung der Spikes zu kognitiven Verbesserungen bei den betroffenen Kindern führt.
Originalpublikation:
Jens G. Klinzing, Lilian Tashiro, Susanne Ruf, Markus Wolff, Jan Born, Hong-Viet V. Ngo: Auditory stimulation during sleep suppresses spike activity in
benign epilepsy with centrotemporal spikes. Cell Reports Medicine, https://doi.org/10.1016/j.xcrm.2021.100432
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