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Blasphemie – Wenn Kritik zur Gotteslästerung umgedeutet wird

DMZ – SOZIALES / Natalie Barth ¦                                         

KOMMENTAR

 

Es war mir von vornherein klar, dass das Thema triggert und evtl. stark aufwühlt. Der grosse Shitstorm ist bis jetzt ausgefallen, aber einen Kommentar, der «Blasphemie» zum Inhalt hat, möchte ich hier dennoch erwähnen. Es geht um mein neues Video auf YouTube mit dem Titel «Warum auch Jesus Dir nicht helfen kann»

 

Die Keule «Blasphemie» oder Gotteslästerung wird sehr gerne von Menschen geschwungen, die es mit den allgemeinen Menschenrechten nicht ganz so genau nehmen. Mir wurde zu diesem Video, in dem es vor allem um die Aufarbeitung von religiösem Missbrauch und das Thema «Religiöses Trauma Syndrom» geht, vorgeworfen, ich wäre erst zu kurz ausgestiegen, der Titel des Videos wäre unnötig und ich solle nicht in "Blasphemie" abrutschen. Hätte der gute Herr/die Dame das Video komplett angesehen, dann hätte er/sie möglicherweise einen anderen Kommentar hinterlassen. Oder auch nicht und er/sie hat die Aussage des Videos einfach nicht verstehen wollen oder können.

 

Generell empfehle ich, ein Video komplett anzusehen, bevor ich mir eine Meinung bilde. Das nur mal so am Rande. Dieses logische Vorgehen scheint aber bei vielen "Wahrheitsüberzeugten" und fundamentalistisch Gläubigen nicht wirklich üblich zu sein. Sie wollen sich in ihrem Weltbild und ihrem Glauben bestätigt fühlen, und wer das nicht bestätigen kann oder will, wird als Blasphemiker betitelt. Das wiederum ist ein sehr typisches Merkmal von ungesunden, hochmanipulativen Gruppen oder Einzelpersonen, die Kritik sehr oft als persönliche Beleidigung und Bedrohung ihrer Identität auffassen.

 

Was ist eigentlich Blasphemie? 

Blasphemie ist laut Duden eine "verletzende, höhnende Äusserung über etwas Heiliges; Gotteslästerung". Auf Wikipedia wird dazu noch folgendes gesagt: «Blasphemie…ist das Verhöhnen oder Verfluchen bestimmter Glaubensinhalte oder einer Religion oder eines Glaubensbekenntnisses. Eine öffentliche, Ärgernis erregende Beschimpfung Gottes wird als Gotteslästerung… bezeichnet.“

Bei Fundamentalisten wird etwas als Gotteslästerung empfunden, was eigentlich unter die Freiheit des Denkens, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit fällt. In dem „Internationalen Vertrag über bürgerliche und politische Rechte“ (UN-Zivilpakt) wird unter anderem folgendes rechtsverbindlich garantiert: Grundlegende Menschenrechte, wie das Recht auf Leben, das Recht auf persönliche Freiheit, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

 

Wenn Kritik und Blasphemie als Synonyme benutzt werden

Gegen all das wird in einigen Staaten dieser Welt auf massive Weise verstossen, indem „Gotteslästerung“ als Straftat bezeichnet und in einigen Fällen sogar die Todesstrafe hierfür ausgesetzt wird (z.B. Saudi-Arabien, Pakistan, Iran, Afghanistan). Was gilt dort als „Gotteslästerung“? Zwei Kostproben aus dem Iran: Wer dort den Propheten Mohammed verunglimpft, kann laut Artikel 513 des iranischen Strafrechts entweder mit der Todesstrafe oder mit bis zu 5 Jahren Haft rechnen. Wer laut Artikel 514 den Imam Khomeini, «den Gründer der Islamischen Republik und den Obersten Führer beleidigt, wird zu einer Haftstrafe von sechs Monaten bis zwei Jahren verurteilt.“

 

Kritik am Staat, an der Politik, an den politischen und religiösen Führern wird dort mit «Blasphemie» gleichgesetzt. Von persönlicher Freiheit, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit also keine Spur!

 

Blasphemie in Europa

Auch hier in Europa sind es wiederum kleine religiöse, fundamentalistische Gruppen oder auch einzelne Gläubige, die etwas als „Blasphemie“ bezeichnen, was unter die allgemeinen Menschenrechte fällt: Der Glaube an andere Götter und Religionen oder das Ausüben von nicht christlichen Ritualen beispielsweise. Oder der Atheismus und die Entscheidung für „Nicht-Glauben“.

 

Ausserdem das Fluchen (Beispiele aus Bayern, woher ich stamme: „Hergottnochmal“, „Kruzifix“, „Kreuzsakrament“) oder die Verhöhnung von, das Lustigmachen über, Satire, Zynismus zu Glaubensinhalten.

Und natürlich darf in dieser Aufzählung die Kritik im Allgemeinen nicht fehlen, wie ich sie sehr oft in Bezug auf das Verhalten und den Glauben der Zeugen Jehovas, bei denen ich von klein auf und viele Jahre lang Mitglied war, ausübe. Aus diesem Grund werde ich von den Noch-Mitgliedern dieser Gruppe auch sozial geächtet und als „Abtrünnige“ bezeichnet. Übrigens so ähnlich wie im Iran: Wer dort der Blasphemie beschuldigt wird, wird ebenfalls sozial ausgegrenzt.

 

Religionsfreiheit und Blasphemie

Wer mir in Bezug auf mein Video Blasphemie vorwirft, scheint also ganz schön tief im Fundamentalismus drin zu stecken, obwohl er denkt, er wäre einfach nur ein gläubiger Mensch, der sich gegen Hass und Beleidigung wehrt, was jedoch beides nicht auf meine Aussagen anwendbar ist. Selbstreflexion, Selbstkritik und kritisches Denken im Allgemeinen auf der einen Seite und fundamentale Glaubensbekenntnisse / Glaubensausübung schliessen sich meiner Meinung nach in der Regel gegenseitig aus.

 

Gottseidank wird in unseren Breitengraden das Recht auf Meinungsfreiheit, das Recht auf Gedanken- und Gewissenfreiheit und natürlich das Recht auf Religionsfreiheit – was auch beinhaltet NICHT zu glauben – staatlich garantiert. Leider fallen gleichzeitig Gruppen wie die Zeugen Jehovas, die das Recht auf freie Religionswahl missachten und ehemalige Mitglieder mit sozialer Ächtung strafen, den zuständigen staatlichen Behörden immernoch unter den Tisch.

 

Übrigens: «Gottseidank» - ist dies nun blasphemisch, wenn ich mich als Agnostiker bezeichne?

 

 

 

Natalie Barth schreibt für den Blog www.nataliesdiary.com und betreibt den Aufklärungskanal auf YouTube «Natalie Barth – Die Sekte und das Leben danach» (Link: https://www.youtube.com/c/NatalieBarth) 


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