· 

AT: SPÖ-BundesrätInnen kritisieren in Dringlichen Anfragen "Totalversagen" der COVID-19-Strategie der Bundesregierung

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦                                  

Schallenberg und Mückstein: Lockdown ist zwar Zumutung für alle, die alles richtig gemacht haben, aber unumgänglich

Wien (PK) – Zahlreiche Versäumnisse und ein grundlegendes Versagen der Bundesregierung hätten zum nunmehr vierten Lockdown geführt, meinten die Bundesratsmitglieder der SPÖ in einer Sondersitzung der Länderkammer. In ihrer Kritik an der aktuellen COVID-19-Strategie meinten sie, die Situation sei der Bundesregierung "vollkommen entglitten". In Dringlichen Anfragen an Bundeskanzler Alexander Schallenberg und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein forderten die SPÖ-Bundesratsmitglieder Rechenschaft über die Entscheidungen seit diesem Sommer und orteten zahlreiche Versäumnisse seit März 2020. Ein in der Sitzung eingebrachter Entschließungsantrag der SPÖ für ein Maßnahmenpaket gegen die Teuerung blieb in der Minderheit.

 

Dringliche SPÖ-Anfragen wirft Bundesregierung Corona-Totalversagen vor

In den beiden Dringlichen Anfragen (3956/J-BR/2021 und 3957/J-BR/2021) erkundigten sich die BundesrätInnen Korinna Schumann (SPÖ/W) und Ingo Appé (SPÖ/K) bei Bundeskanzler Alexander Schallenberg und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein nach den Entscheidungsgrundlagen und den Zielen der Corona-Strategie der Bundesregierung. Sie wollten wissen, wie die Bundesregierung gedenke, die "Dauerschleife des Versagens beim Corona-Management" zu durchbrechen. Im Mittelpunkt der Fragen standen die Aufarbeitung vergangener Fehler und Versäumnisse der Regierung und wie es so weit kommen konnte, dass Österreich erneut vor so einer dramatischen Situation stehe. Andererseits thematisierte die SPÖ die aktuelle Lage in Spitälern und beim Infektionsgeschehen sowie künftige Maßnahmen wie die Unterstützung bestimmter Berufsgruppen, die Erhöhung der Impfungen, die Impfpflicht oder die Kinderimpfung. Ebenso fanden Fragen zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sowie zur Infektionsstatistik Eingang in die SPÖ-Anfrage.

 

Schumann: Bundesregierung muss aus Fehlern lernen und Klarheit, Ehrlichkeit und Transparenz zeigen

Am zweiten Tag des vierten Lockdowns müsse sie leider ein "Corona-Totalversagen der Bundesregierung" konstatieren, sagte die Wiener SPÖ-Bundesrätin Corinna Schumann. Die Regierung habe den zweiten Corona-Sommer 2021 "verschlafen" und alle Warnungen der ExpertInnen ignoriert. So habe die Bundesregierung Österreich letztlich "mit Vollgas in den zweiten Corona-Herbst und in die vierte Welle gefahren". Einen wesentlichen Anteil daran, die Pandemiestrategie "an die Wand zu fahren" und Österreich damit einen neuerlichen Lockdown aufzuzwingen, sah Schumann beim ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Unter ihm habe die Bundesregierung nur Inszenierungspolitik betrieben, anstatt auf die ExpertInnen zu hören und auch unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen zu treffen. Scharfe Kritik übte Schumann auch an der Linie an FPÖ-PolitikerInnen, denen sie vorwarf, die Realität der Pandemie zu ignorieren. Parteiobmann Herbert Kickl sei sogar so weit gegangen, den Menschen falsche Ratschläge zu COVID-19 zu erteilen.

 

Die Bundesregierung müsse jetzt die berechtigten Ängste der Bevölkerung ernst nehmen und ernsthafte Schritte gegen die Spaltung in der Gesellschaft und die zu beobachtende Radikalisierung setzen. Einer der größten Fehler war laut Schumann eine unklare und widersprüchliche Kommunikationsstrategie der Bundesregierung, die viel Vertrauen der Bevölkerung verspielt habe. Die Bundesrätin forderte daher einen Dialog mit der Opposition und mehr Respekt vor der Wissenschaft und den ExpertInnen ein. Viele Ankündigungen der Bundesregierung seien unerfüllt geblieben, eine Reihe von Maßnahmen habe im Chaos geendet. Nun sei eine "standfeste Krisenregierung statt einer ständigen Regierungskrise" erforderlich. Schumann beklagte auch die wirtschaftlichen Schäden und Belastungen der Bevölkerung durch den neuerlichen Lockdown, die durch die Inflation noch verstärkt würden. Von der Bundesregierung seien nun Klarheit, Ehrlichkeit und Transparenz und Schritte gegen die zunehmende Radikalisierung gefordert, sagte Schumann.

 

Schallenberg: Pandemieentwicklung erforderte schwierige Beschlüsse

Bundeskanzler Alexander Schallenberg betonte einleitend zu seiner Beantwortung der Anfrage, die Bundesregierung habe sich die notwendigen Entscheidungen nicht leichtgemacht. Oberstes Ziel aller Maßnahmen sei immer der Schutz des Gesundheitssystems gewesen. Letztlich könne aber nur mit einer hohen Impfrate "der Teufelskreis der Pandemie durchbrochen werden", bekräftigte der Bundeskanzler einmal mehr. Die Strategie der Bundesregierung sei daher stets darauf ausgerichtet gewesen, die Impfbereitschaft zu erhöhen. Leider hätten bisher alle Appelle und Anreize nicht gereicht, genügend Menschen zu überzeugen, sich impfen zu lassen. Schallenberg zeigte Verständnis dafür, dass die Entwicklung der letzten Jahre immer neue Verunsicherung erzeugt hat, und räumte ein, dass dazu auch Fehler im Krisenmanagement der Regierung beigetragen hätten. Ein wichtiger Faktor sei allerdings auch, dass zu viele politische Kräfte "aktiv gegen die Impfung ankämpfen" würden, was, wie Schallenberg meinte, einem "Anschlag auf das Gesundheitssystem" gleichkäme. Schallenberg ortete hier eine wesentliche Mitverantwortung der FPÖ.

 

Angesichts des Infektionsgeschehens habe die Bundesregierung zwei schwerwiegende Beschlüsse fassen müssen. Sie wolle rasch eine Impfpflicht auf den Weg bringen und habe zudem einen neuerlichen Lockdown von 20 Tagen verhängt. Zu den Fragen der SPÖ zur Corona-Strategie hielt Schallenberg fest, dass die Bundesregierung grundsätzlich die Mindestanforderungen vorgebe und die Bundesländer diese gegebenenfalls verschärfen könnte. In jeder Phase der Entscheidungsfindung seien ExpertInnen sowie die Landeshauptleute und die Opposition eingebunden gewesen, betonte Schallenberg. Die Situation werde zusammen mit den ExpertInnen auch täglich neu bewertet.

 

Zweifellos sei der Lockdown eine massive Zumutung für jene zwei Drittel der Bevölkerung, die bisher alles richtig gemacht hätten und die nun nochmals aufgerufen würden, solidarisch Einschränkungen mitzutragen, meinte der Kanzler. Kritik, man habe zu spät reagiert, wies Schallenberg aber zurück. Auch PandemieexpertInnen seien im Sommer davon ausgegangen, dass aufgrund der Impfungen ein weiterer Lockdown vermeidbar sei. Aufgrund geänderter Parameter sei es leider anders gekommen. Das Ende des Lockdowns für Ungeimpfte stehe noch nicht fest, teilte Schallenberg den BundesrätInnen mit, fügte aber hinzu, jeder und jede habe es in der Hand, durch eine Impfung die Verantwortung für die Gesellschaft wahrzunehmen.

 

Die Bundesregierung spreche mit einer Stimme und werde bereits erprobte Hilfsmaßnahmen für Unternehmen und den Kulturbetrieb reaktivieren oder verlängern, betonte Schallenberg. Das gelte auch für die Kurzarbeit. Die Schulen seien für alle offen, die es benötigen, unterstrich der Bundeskanzler weiter. Das Versammlungsrecht bleibe auch im Lockdown grundsätzlich gewahrt. Dabei werde die Bundesregierung aber keine Verharmlosung des NS-Regimes oder geschmacklose Vergleiche mit diesem dulden, erklärte der Kanzler. Bei einer Reihe von Fragen verwies Schallenberg auf die Zuständigkeit des Gesundheitsministers.

 

Appé: COVID-19-Strategie der Bundesregierung stellt Parteitaktik über Expertise

Die SPÖ würde zu der Notwendigkeit des aktuellen Lockdowns stehen, unterstrich der Kärtner Bundesrat Ingo Appé. Dieser vierte Lockdown wäre aber nicht notwendig gewesen, hätte die Bundesregierung rechtzeitig die richtigen Maßnahmen gesetzt. Im Bildungsbereich hätten die Menschen zurecht das Gefühl, die Regierung hätte nichts aus dem vergangenen Schuljahr gelernt. Und auch im Bereich der Pflege habe die Pandemie die bekannten gravierenden strukturellen Mängel sichtbar gemacht. Ein zusätzliches Manko war der SPÖ nach, dass zahlreiche Verordnungen schon in der Konzeption massive Mängel aufwiesen und teilweise nach kurzer Zeit gelockert wurden. Als Positivbeispiele führte Appé Länder in Südeuropa aber auch Wien und Burgenland an. In diesen Bundesländern konnten die Infektionszahlen mit Maßnahmen wie einer konsequenten Teststrategie oder einem breiten Impfangebot im Vergleich niedriger gehalten werden.

Am heutigen Tag sind bereits 72 Menschen an und mit Corona verstorben, hob Appé hervor und sprach ebenfalls vom "Totalversagen der Regierung". Das Übel liege daran, dass die Regierung sich in Parteitaktik übe, statt den Virologen zu glauben, führte der Bundesrat aus. Der Vertrauensbruch werde dadurch verschärft, dass entgegen den früheren Ankündigungen nun auch Geimpfte vom Lockdown voll betroffen seien, unterstrich er. Die Bundesregierung hätte im Sommer "alles verschlafen", lautete seine Kritik. Die Allgemeine Impflicht sei keine mutige Entscheidung, sondern erfolge aus der Not heraus.

 

Mückstein: Pandemie gemeinsam und konsequent bekämpfen

Im Vordergrund stehe die Gemeinsamkeit, betonte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, sowohl in der Frage der Entscheidungsfindung als auch bei den Methoden zur Pandemiebekämpfung. Steigende Infektionszahlen begründete der Gesundheitsminister mit dem Nachlassen des Impfschutzes nach fünf bis sechs Monaten sowie mit dem saisonalen Effekt im Herbst und Winter. "Wir hören die Hilferufe aus den Spitälern und müssen über Sterbefälle trauern", führte er aus. Umso wichtiger sei die Entscheidung zu einem 20-tägigen "Wellenbrecher-Lockdown" gewesen. "Gemeinsam können wir die 4. Welle brechen und eine 5. Welle abwenden", so Mückstein, der nicht müde wurde zu betonen, dass in der Pandemiebekämpfung nur gemeinsam Ziele erreicht werden können. Daher richtete er erneut den Appell an die Bevölkerung, den Impfschutz erneuern zu lassen und "gemeinsam an einem Strang zu ziehen".

 

Durch den Lockdown erwarte sich Mückstein eine Kontaktreduktion und dadurch weniger Ansteckungen. Auf die Fragen der SPÖ hielt er unter anderem fest, genaue Zahlen zu Personalabgängen liegen bei den Krankenhausträgern, das Gesundheitsministerium habe dazu keine Kenntnis. Für das Gesundheitspersonal seien keine strengeren Impfregeln geplant als für die Allgemeinheit. Das entsprechende Gesetz werde unter Einbeziehung von ExpertInnen erarbeitet, im Zuge dessen werde es auch zu Änderungen im Bundesverfassungsgesetz kommen. Ein ordentliches Begutachtungsverfahren sei der Regierung dabei wichtig. Ungeimpfte sollen im Dezember ein Schreiben des Dachverbands erhalten, worin ein Impftermin vorgeschlagen werde, sagte er. Ab 2022 seien zudem zusätzlich 50 Mio. € jährlich für die Ausbildung von Pflegekräften vorgesehen. Bei zahlreichen anderen Fragen verwies Mückstein auf die Ausführungen des Bundeskanzlers.

 

Debatte über Lockdown und Impfpflicht

Man stehe vor den Trümmern einer mutlosen Politik, kritisierte Günter Kovacs (SPÖ/B) das Pandemiemanagement der Bundesregierung mit dem nunmehrigen neuerlichen Lockdown. Um die Impfquote hochzuheben, brauche es vor allem proaktive Werbung und kreative Zugänge wie etwa die Impflotterie im Burgenland. Darüber hinaus müsse eine soziale Krise verhindert werden, so Kovacs, der den SPÖ-Entschließungsantrag für ein Maßnahmenpaket gegen die Teuerung einbrachte.

 

Man habe es in der Pandemie immer wieder mit Erkenntnis-, Entscheidungs- und Wirkungslecks zu tun, wandte Christian Buchmann (ÖVP/St) ein. Für die Bevölkerung sei völlig uninteressant, wer die Schuld an der aktuellen Situation trage. Jeder habe die Möglichkeit, sich jetzt solidarisch zu verhalten. Die Rolle der Politik sei in diesen Tagen für ihn, Sicherheit und Stabilität zu geben. Freiheit müsse mit Verantwortung verstanden werden, meinte Marco Schreuder (Grüne/W) und bezeichnete es als gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen, die Impfquote zu erhöhen. Er verwies auf "explodierende Infektionszahlen" auch rund um Österreich. Entscheidend, wie gut es in einem Land laufe oder nicht, ist aus seiner Sicht, wie stark jeweils die "Impfgegnerschaft" organisiert sei.

 

Für ein "Nein zur Impfpflicht" trat Josef Ofner (FPÖ/K) ein. Aus seiner Sicht sei belegt, dass kein Zusammenhang zwischen Impfquote und Infektionsgeschehen bestehe. Zudem sei Geimpften die Freiheit versprochen worden, kritisierte er im Zusammenhang mit dem aktuellen Lockdown für alle. Insgesamt warf Ofner dem Bundeskanzler vor, Geimpfte gegen Ungeimpfte auszuspielen. Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W) kritisierte die Bundesregierung, dass Warnungen, aber auch zahlreiche Vorschläge nicht ernst genommen oder rechtzeitig Maßnahmen gesetzt worden seien, etwa im Hinblick auf das "Impfdebakel", wie er es bezeichnete. Ein konsequenter, vorausschauender Weg wie etwa in Wien mit 2G in der Nachtgastronomie wäre insgesamt der richtige gewesen, so Arlamovsky. "Eingangsbeschränkungen statt Ausgangsbeschränkungen" sei für ihn jedenfalls das Motto, das es brauche.

 

Der freiheitliche Bundesrat Markus Leinfellner (FPÖ/St) sah Österreich aufgrund der drastischen Einschränkungen für die Bevölkerung "am Scheideweg der Demokratie" und wartete mit Beispielen für die seiner Meinung nach massiven Nebenwirkungen der Impfung auf. Die SPÖ hingegen stünde hinter der Wirkung der Impfung und der Notwendigkeit der aktuellen Lockdown-Regelungen, erklärte David Egger (SPÖ/S), kritisierte jedoch das Pandemie-"Management by Chaos" der Bundesregierung, das von falschen Versprechungen und einem massiven Kommunikationsversagen geprägt sei. Ein Vorwurf, den Karlheinz Kornhäusl (ÖVP/St) mit Verweis auf einen Rückschaufehler der SPÖ zurückwies. Auch die Freiheitlichen kritisierte er deutlich für ihre "Fundamentalopposition" und "Wissenschaftsfeindlichkeit", gestand jedoch ein, dass es trotz großer Bemühungen nicht gelungen sei, genügend Menschen vom Impfen zu überzeugen. Deshalb plädierte er so wie Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne/O) abermals an alle Fraktionen, an einem Strang zu ziehen, um diesen Zustand zu verbessern.

 

Zu Beginn der Bundesratssitzung erfolgte die Angelobung des oberösterreichischen Bundesrats Markus Steinmaurer (FPÖ). Nach der Debatte über die Dringlichen Anfragen wurden außerdem die Ausschüsse des Bundesrats neu gewählt.

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 

Ausflugstipps

In unregelmässigen Abständen präsentieren die Macherinnen und Macher der DMZ ihre ganz persönlichen Auflugsstipps. 

Unterstützung

Damit wir unabhängig bleiben, Partei für Vergessene ergreifen und für soziale Gerechtigkeit kämpfen können, brauchen wir Sie.

Rezepte

Wir präsentieren wichtige Tipps und tolle Rezepte. Lassen Sie sich von unseren leckeren Rezepten zum Nachkochen inspirieren.

Persönlich - Interviews

"Persönlich - die anderen Fragen" so heisst die Rubrik mit den spannendsten Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern.

Inhalte von Powr.io werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell und Marketing), um den Cookie-Richtlinien von Powr.io zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Powr.io-Datenschutzerklärung.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0