„Sehnsucht zwischen den Zeilen“

DMZ –  KULTUR ¦ Urs Heinz Aerni ¦                                    

 

Der Schriftsteller H. S. Eglund aus Berlin besuchte Zürich um seinen neuen Roman vorzustellen und verrät, was Zürich ausmacht und warum Afrika in unseren Knochen steckt.

 

Urs Heinz Aerni: Sie reisten aus Berlin nach Zürich für zwei Veranstaltungen, an denen Sie Ihren neuen Roman „Nomaden von Laetoli“ vorstellten. Bevor wir zum Buch kommen, was fällt einem Berliner als erstes auf, wenn er so durch die Stadt spaziert?

 

H. S. Eglund: Es ist alles ein bisschen kleiner, enger als in Berlin – vom Zürichsee abgesehen. So bin ich nur wenige Minuten vom Stadtteil Altstetten mit dem Tram gefahren und war am Hauptbahnhof. Ich schätze kurze Wege sehr. Und was natürlich immer irgendwie spürbar ist: die Nähe der Alpen. Vielleicht wirkt Zürich auch dadurch kleiner, gedrungener. Möglicherweise sogar demütiger als Berlin, dass einem mit seiner lauten Arroganz manchmal auf die Nerven gehen kann.

 

Aerni: Im Roman verfällt der junge Wissenschaftler Martin Anderson, der vor einer verheissungsvolle Karriere steht, dem Afrika-Koller, unter anderem durch den Ruf eines Professors, nach Tansania zu reisen. Hören wir da eine Sehnsucht zwischen den Zeilen heraus?

 

Eglund: Da es ein Roman ist, lesen wir die Sehnsucht zwischen den Zeilen. Und das ist natürlich offensichtlich, denn Afrika ist der Sehnsuchtsort schlechthin. Nicht nur als touristisches Ziel, oder weil es so viele wunderbare Bücher über Afrika gibt.

 

Aerni: Sondern...?

 

Eglund: Sondern weil es jedem von uns in den Knochen steckt und in den Genen. Der Mensch wanderte vor Millionen Jahren aus dem Rift Valley im Osten Afrikas aus, um die Welt zu erobern. So bleibt der sogenannte Dunkle Kontinent die dunkle Grotte, in der unsere geheimsten Anlagen verborgen sind. Unsere geheimsten Wünsche und auch Ängste.

 

 

Aerni: Sie schöpfen aus Ihren eigenen Reiseerfahrungen in Afrika, erlebten die Gegenwelten zwischen Europa und Afrika. Warum ein Roman und nicht ein Bericht oder ein Sachbuch?

 

Eglund: Journalistische Berichte habe ich einige geschrieben, Artikel für Zeitungen. Und ein Sachbuch über Afrika würde mir schwer fallen, weil ich mir einen oder zwei sachliche Aspekte herausgreifen müsste. Man könnte ja über die Vögel Ostafrikas schreiben, oder über kulinarische Aspekte. Darüber weiss ich aber zu wenig, und es wäre mir zu spezialisiert. Ein Roman hingegen erlaubt eine ganze Geschichte von ganzen Menschen, oder eine zerrissene Geschichte von zerrissenen Menschen – wie Sie wollen. Ein Roman kommt der vielfältigen, schillernden, unerklärlichen und vielleicht gefährlichen Wahrheit am nächsten. Zumindest, wenn er darauf angelegt ist.

 

 

Aerni: Die Lektüre begleitet nicht nur den Protagonisten, der in Kriegsgebiete gerät und viele Begegnungen erlebt, sondern den Lesenden auch in die Naturgewalten von Afrika. Wo sahen Sie Ihre Herausforderungen beim Schreiben angesichts der doch schon vielen vorhandenen Afrika-Romanen?

 

Eglund: Über Afrika kann man nicht lügen. Das fällt sofort auf, weil man sehr schnell Kitsch produziert und Klischees repetiert. Es gibt auch viele Menschen, die in Afrika gereist sind und sich ernsthaft damit befassen. Denen fällt sofort auf, wenn der Autor Murks erfindet. Andererseits belohnt Afrika jeden, der beobachten und zuhören kann. Es ist wie eine gewaltige Schatztruhe mit magischen Bildern, aus der man sich bedienen kann.

 

Aerni: Wie erging es Ihnen denn beim Schreiben?

 

Eglund: Die grösste Herausforderung für mich war, nicht schneller zu schreiben, als die Sonne in Afrika aufgeht und wieder versinkt. In den Tropen kommt und geht die Dämmerung viel schneller als bei uns, und man gerät leicht in die Versuchung, Eindrücke – Bilder, Geräusche, Düfte, Landschaften und Menschen – zu schnell abzuhandeln. Ein gutes Buch braucht seine Zeit. Nur dann entstehen Tiefe und Breite und das Gefühl beim Lesen, wirklich dort zu sein.

 

Aerni: Ihr Auftritt hier in Zürich löste eine lebendige Diskussion aus, was wohl den Nerv ausmacht, den Sie mit dem Buch erwischen. Welche Effekte erfreut Sie am meisten beim Publikum?

 

Eglund: Ich würde nicht von Effekten sprechen, sondern von Gedanken. Wenn man einen Roman veröffentlicht, dann gibt man die Geschichte aus der Hand. Sie gehört dem Autor nicht länger, sie gehört nun der Leserin oder dem Leser. Die oder der sich eigene Gedanken machen. Das ist kein beabsichtigter Effekt, keine Wirkung, auf die der Autor zielte. Das ist die Eigenheit des Lesens: Die Leute lesen das Buch, aber eigentlich spult in jeder Leserin und in jedem Leser in seinem Hirn eine ganz individuelle Geschichte ab. Das finde ich wirklich spannend, weil es eine gemeinsame Reise wird. Wir sind gemeinsam in Ostafrika unterwegs, und doch wiederum auf sehr verschiedenen Pfaden. Diese Vielfalt, man kann sie als Fantasie bezeichnen, ist für mich die schönste Erfahrung. Weil auch jede Lesung und jede Diskussion dadurch einzigartig wird.

 

Aerni: Sie stammen aus Leipzig und leben schon länger in Berlin, nicht nur als Autor, sondern als Experte für Sonnenstrom. Sind Sie mit den Entwicklungen der Nutzung von Sonnenergie zuversichtlich?

 

Eglund: Ich bin zuversichtlich, für uns in Deutschland, aber auch in der Schweiz. Natürlich wird uns die Energiewende nicht geschenkt, da ist noch viel Kampf notwendig. Aber es gibt keine Alternative. Übrigens ist auch beim ökologischen Wandel in der Welt für mich Afrika der Prüfstein. Wenn die sauberen Energien wie Sonnenstrom oder Windstrom so einfach und preiswert sind, dass sie auch in Afrika massenhaft zum Einsatz kommen, dann haben wir es geschafft.

 

Aerni: Jedoch, bei uns hier...

Eglund: ... Es geht nicht um die reichen Länder, es geht vor allem auch um die armen Staaten, um den sozialen Zusammenhang von Energieversorgung und Umweltverschmutzung. Und um die Stille: In Afrika wird Strom vor allem durch Dieselgeneratoren erzeugt. Das ist teuer, schmutzig und sehr laut. Stellen wir uns vor, wir produzieren den Strom künftig mit Photovoltaik: sehr preiswert, sauber und still. Wunderbar, oder nicht?

 

Aerni: Was sagen Sie einem Menschen in Berlin, der noch nie in Zürich war? Ganz ehrlich, wir sind ja unter uns.

 

Eglund: Unter uns? Ganz ehrlich? Ich empfehle: Laufen Sie langsamer als in Berlin. Zürich kann man schlendernd am besten erfahren. Und bitte nehmen Sie die nächste S-Bahn in die Alpen. Sowas ist in Berlin nahezu undenkbar: mit dem öffentlichen Nahverkehr in die Berge. Ich meine, in richtige Berge, nicht nur in die Müggelberge oder zum Teufelsberg. Bei Ihnen in der Schweiz würde man solche sanften Erhebungen vielleicht Hügel nennen. Oder Sie haben überhaupt kein Wort dafür, weil es noch als Flachland gilt.

 

 

 

Das Buch: „Nomaden von Laetoli“ von H. S. Eglund, Vicon Verlag, 978-3-9524761-9-2, 412 Seiten, 2021

 

H.S. Eglund lebt als Ingenieur und Publizist in Berlin Prenzlauer Berg. Der gebürtige Leipziger hat als Wissenschaftsjournalist und Reporter aus Afrika unter anderem für „Der Tagesspiegel“, „Frankfurter Rundschau“ und „Die Zeit“ gearbeitet. Seit 2005 ist er als Fachjournalist für erneuerbare Energien tätig. Unter anderem sind von die Romane «Die Glöckner von Utopia» und «Zen Solar» erschienen.

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