· 

Dirk Specht: CoroNews

DMZ – WISSENSCHAFT ¦ Dirk Specht ¦                                

 

Es gibt insbesondere zwei Länder, aus deren sehr gut dokumentierten Erfahrungswerten wir über den kommenden Verlauf der Pandemie auch bei uns sehr viel lernen (könnten): Israel und UK. Jenseits der Frage der Gesundheitssysteme arbeiten in den beiden Ländern exzellente Wissenschaftler und die haben gänzlich im Unterschied zu Deutschland sehr gute Daten aus dem Feld. Es ist sehr bedauerlich, dass deren Erkenntnisse nicht schneller bei uns genutzt werden, ja dass wir sogar nicht selten deren Fehler auch noch trotz besserem Wissen wiederholen.

 

In UK, das ich seit Mai als „Blaupause“ für Deutschland bezeichne, hat sich durch eine Kombination aus einer eher mässigen Impfquote und den hohen mit entsprechenden Opferzahlen verbundenen Vorinfektionen unter Delta eine Wellenbewegung auf sehr hohem Niveau eingependelt. Diese verläuft offensichtlich bisher so, dass die Belastung des Gesundheitswesens handhabbar bleibt und auch die Sterbezahlen zumindest nicht eskalieren. Bekanntlich hatte die Regierung Johnson das zum Anlass genommen, die Corona-Beschränkungen vollständig aufzuheben. Tatsächlich sind diese Wellenbewegungen durch einen Wechsel von Hotspots zustande gekommen. Man mag die Politik dahinter und die Akzeptanz dieser Zahlen sehen wie man will, aber die Tatsache, dass die Delta-Wellen unter diesen Voraussetzungen nicht beliebig wachsen können, ist zunächst mal relevant.

 

Nun aber kommt Omicron, dessen Durchdringung vielleicht in Europa analog zu Delta zunächst in UK beginnt. „Vielleicht“, weil dort die Daten und die Test-/Laborkapazitäten einfach viel besser sind als insbesondere bei uns. So wird dort Omicron für den beginnenden Ausbruch der Infektionszahlen aus dieser Wellenbewegung verantwortlich gemacht – und die Regierung Johnson hat ihre Entscheidung revidiert. Erste Einschränkungen insbesondere beim Nachtleben sind verhängt worden. Damit reagieren sie relativ früh und erneut sollten wir die Frage stellen, ob wir daraus lernen können.

Die Entwicklung von Omicron ist in UK nicht nur von schlechten Nachrichten begleitet. Erste sehr frühe Daten (https://www.bbc.com/news/health-59615005) zeigen, dass insbesondere die Booster-Impfungen sehr gut gegen einen schweren Verlauf schützen. 75% der mit Omicron trotz Booster infizierten zeigen keinerlei Symptome. Das ist wegen der frühen Datenlage nur eine weitere Indikation, aber es passt sehr gut zu den Labortests, die in den letzten Tagen zu sehr wilden Nachrichten führten. Es verdichtet sich halt, dass die Impfungen geringer gegen das Infektionsgeschehen, aber immer noch sehr gut gegen das klinische Geschehen wirken.

 

Zugleich deutet dieser erste Anstieg aus der Wellenbewegung heraus dieselbe Entwicklung wie in Südafrika an: Vor allem Vorinfektionen schützen gegen Omicron fast gar nicht mehr, die Re-Infektionen werden zunehmen und damit fällt ein in UK durchaus relevanter Faktor zu Begrenzung der Delta-Welle weg. Man rechnet in London ganz offensichtlich damit, dass Omicron wie in Südafrika sehr schnell viel höhere Fallzahlen erzeugen wird und will nicht abwarten, wie sich die Gefährlichkeit in einer deutlich älteren Population als in Südafrika entwickelt. Dort erzeugt Omicron derzeit bei deutlich höheren Fallzahlen ungefähr dieselbe klinische Belastung wie Delta. Das hatte Fauci zurecht hervorgehoben, während Drosten ebenso zurecht mahnte, das könne sich bei unseren europäischen Populationen insbesondere wegen des hohen Anteils Ungeimpfter und eben nicht Vorinfizierter anders einstellen.

 

Aus Israel gibt es zu Omicron noch keine relevanten Daten, weil die Pandemie dort derzeit sehr flach verläuft. Israel hatte bekanntlich als erstes Land genauer erfahren müssen, dass die Doppelimpfungen gegen Delta nach vier Monaten nachlassen und sich mit einer sehr raschen Booster-Kampagne aus der Welle heraus geimpft. Dieser Erfahrungswert ist in Europa nicht genutzt worden, hier läuft genau dieser Prozess gerade – leider deutlich langsamer als in Israel. Es wird nun spannend zu beobachten sein, wie sich Omicron dort entwickelt.

 

Damit zum Versuch, diese Erfahrungswerte auf Deutschland zu übertragen. Leider sehen wir an der Entwicklung der Sterbezahlen im Vergleich zu UK die massiv höhere Dunkelziffer bei uns. Wir haben sehr sicher deutlich höhere Infektionszahlen. Der Seitwärts-/Abwärtstrend ist bisher in den klinischen Daten nicht ersichtlich. Die Daten von den Intensivstationen bestätigen nun seit einigen Tagen stabil, dass die vierte Welle im Wachstum nachlässt. Ob ein Wendepunkt erreicht ist, der seitens Delta eine seitwärts orientierte Wellenbewegung wie in UK andeuten könnte, ist noch unklar. Definitiv ist aber das Niveau ein deutlich höheres als in UK und das ist auch nicht anders zu erwarten, denn in der Summe aus Impfungen und Vorinfektionen liegen wir deutlich zurück.

Wäre nur von Delta die Rede, so könnte man aus den Erfahrungen von UK und Israel schließen, dass wir uns in Verbindung mit der laufenden Booster-Kampagne vermutlich zunächst auf dem derzeitigen Niveau stabilisieren, um dann endlich die Welle zu brechen. Das wäre bei uns allerdings deutlich langsamer zu erwarten und wie gesagt auf einem Niveau, welches das Gesundheitssystem nicht mehr normal arbeiten lässt und das immer noch Sterbezahlen von mehr als 500 Menschen pro Tag fordert. Eine schnelle Besserung ist nicht zu erwarten, denn der Vergleich zeigt leider, dass wir bei den Booster-Impfungen deutlichen Rückstand haben.

 

Insofern muss man leider feststellen, dass wir bereits mit Delta in so etwas wie eine wochenlange Ausnahmesituation geraten sind. Die Lage dürfte sich also nicht dramatisch verschärfen, sie wird aber auch nicht besser. Wie auch immer man das politisch bewertet, ob man also diese angespannte Lage mit allen Folgen akzeptiert oder das doch nachhaltig bessern möchte, diese Abwägung ist sehr bald schon Makulatur, denn Omicron wird das verschärfen. Die sogenannten „Genesenen“ als Pandemie-Barriere fallen damit aus, das kann man aus den Daten bereits jetzt ableiten. Die doppelt Geimpften werden zumindest das Infektionsgeschehen kaum bremsen und beim klinischen ist das wegen unserer Altersstruktur im Unterschied zu Südafrika eine Unbekannte, die wir vielleicht nicht herausfordern sollten.

 

Es ist bedauerlich, das zu beobachten. Wir haben nun wirklich erneut klare Hinweise, was kommen wird und was zu tun ist. Während aus UK und Israel die Erkenntnis kommt, dass frische Doppelimpfungen sowie Booster bereits ab drei (!) Monaten das wirksamste Gegenmittel sind, um härtere Lockdown-Maßnahmen zu vermeiden, gibt es bei uns eine Impf-, Empfehlungs- und Richtliniendebatte, die nicht enden will. Zugleich ist der Fortschritt der Booster-Impfungen zwar da, aber nüchtern betrachtet genügt er trotz der seitens der Politik gerne verkündeten steigenden Zahlen schlicht immer noch nicht den Anforderungen.

 

So laufen wir in einer Situation, die man jetzt bereits glasklar sehen kann: Delta fordert uns bis zur Leistungsgrenze und Omicron wird uns in wenigen Wochen darüber hinaus treiben. Wenn die Ampel die Impfungen nicht sehr schnell forciert, werden wir im Januar eine nochmals steigende klinische Belastung sowohl bei den Intensivstationen als auch bei den Sterbezahlen sehen. Dafür gibt es keine Reserven mehr. 

Ausflugstipps

In unregelmässigen Abständen präsentieren die Macherinnen und Macher der DMZ ihre ganz persönlichen Auflugsstipps. 

Unterstützung

Damit wir unabhängig bleiben, Partei für Vergessene ergreifen und für soziale Gerechtigkeit kämpfen können, brauchen wir Sie.

Rezepte

Wir präsentieren wichtige Tipps und tolle Rezepte. Lassen Sie sich von unseren leckeren Rezepten zum Nachkochen inspirieren.

Persönlich - Interviews

"Persönlich - die anderen Fragen" so heisst die Rubrik mit den spannendsten Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern.

Inhalte von Powr.io werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell und Marketing), um den Cookie-Richtlinien von Powr.io zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Powr.io-Datenschutzerklärung.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0