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DE: Methylphenidat zur Behandlung der Apathie bei Alzheimer-Erkrankung

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DMZ – WISSENSCHAFT¦ Markus Golla ¦                          © iStock / fizkes 

 

 

Bis heute gibt es keine in Europa zugelassene, ursächliche Therapie für die Alzheimer-Demenz. Umso bedeutsamer ist die Behandlung begleitender Symptome. Hier steht besonders die relativ häufige Apathie im Fokus, die eine therapeutische Mitarbeit der Betroffenen erschwert und das Mortalitätsrisiko sowie die Belastung der Pflegenden deutlich erhöhen kann. Eine Studie [1] evaluierte nun das Psychostimulans Methylphenidat hinsichtlich der Wirksamkeit auf die Apathie von Alzheimer-Erkrankten und konnte sowohl signifikante, günstige Effekte als auch die Sicherheit des Medikamentes bestätigen.

 

In Deutschland leiden 1,6 Millionen (weltweit 50 Millionen) Menschen an einer Demenz – in 30 Jahren werden es hochgerechnet bis zu 2,8 Millionen sein [2]. Am häufigsten ist die Alzheimer-Demenz; die Prävalenz liegt im Alter zwischen 56 und 70 Jahren bei 1-5%. Diese Zahl verdoppelt sich mit jedem 5-Jahresschritt [3], so dass bis zu 10% der 70-75-Jährigen und bis zu 20% der 75-80-Jährigen betroffen sind. Die Erkrankung geht mit dem Abbau verschiedener Hirnleistungen einher, insbesondere mit Gedächtnisstörungen, so dass die Aktivitäten des täglichen Lebens der Betroffenen im Verlauf immer weiter abnimmt, bis ein selbstständiges Leben nicht mehr möglich ist.

 

Parallel zu einem großen Wissenszuwachs über die Pathomechanismen (z. B. Ablagerung von Tau-Protein und beta-Amyloid im Gehirn) gilt es inzwischen als belegt, dass ungefähr ein Drittel aller Erkrankungsfälle im Zusammenhang mit modifizierbaren Risikofaktoren steht [4, 5]: Neben dem Alter per se sind dies Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, erhöhte Blutfette (Hyperlipidämie), Adipositas, Depressionen, soziale Isolation/Einsamkeit sowie Bewegungsmangel. Fehlende körperliche Aktivität hat dabei sogar die größte Bedeutung, wie eine deutsche Studie aus dem Jahr 2016 [6] zeigte.

 

Im Rahmen einer Alzheimer-Erkrankung kann es auch zu neuropsychiatrischen Symptomen kommen, eines der häufigsten ist eine Apathie. Die Betroffenen weisen einen verminderten Antrieb, Empathie- und Interessenverlust auf, was die Behinderung weiter verstärkt und die Belastung der Betreuenden bzw. den Pflegeaufwand (und somit auch die Behandlungskosten) sowie die Mortalität erhöht. Einige Behandlungsstudien zeigten bisher keine Wirkung (z.B. [7]).

 

An der Apathie setzt die Behandlung mit Methylphenidat an, einem Psychostimulans, das sonst zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und der Narkolepsie eingesetzt wird. Kleinere Untersuchungen zeigten günstige Effekte auf die Apathie bei Alzheimer-Erkrankten, so dass nun die ADMET-2-Studie („Apathy in Dementia Methylphenidate Trial 2“), eine multizentrische, randomisierte, verblindete, placebokontrollierte Phase-III-Studie die Substanz an einer größeren Zahl Betroffener evaluiert hat. Von 2016 bis 2020 wurden in einem kanadischen und sieben spezialisierten Demenz-Zentren der USA 307 Alzheimer-Erkrankte gescreent, von denen 200 Personen in die Studie eingeschlossen werden konnten. Die Teilnehmenden hatten milde bis moderate kognitive Beeinträchtigungen und zeigten häufige oder schwere Apathie-Zustände (gemessen mit einem speziellen Demenz-Fragebogen, dem NPI/„Neuropsychiatric Inventory“). 99/200 Teilnehmende erhielten über sechs Monate Methylphenidat (2 x täglich 10 mg oral) und 101/200 Placebo. Das mediane Alter lag bei 76 Jahren (IQR 71-81), 66% waren männlich. Das Outcome beinhaltete (1) Veränderungen des initialen Apathie-NPI-Scores oder (2) eine Verbesserung des Alzheimer-Scores ADCS-CGIC („Alzheimer’s Disease Cooperative Study-Clinical Global Impression of Change”; Werte von 1-7, wobei höhere Werte schlechter sind). Weitere Endpunkte waren Veränderungen kognitiver Fähigkeiten, Lebensqualität und das Sicherheitsprofil.

 

Im Ergebnis zeigten sich nach sechs Monaten in der Methylphenidat-Gruppe gegenüber der Placebo-Gruppe signifikante Verbesserungen des Apathie-Scores (mittlerer NPI-Unterschied -1,25; p=0,002). Am deutlichsten verbesserte Methylphenidat den Score in den ersten 100 Tagen (HR 2,16 für das vollständige Verschwinden der Apathie-Symptome, p=0,01). Auch der Alzheimer-Score verbesserte sich in der Methylphenidat-Gruppe fast doppelt so häufig (OR 1,9; p=0,07): Der Unterschied der mittleren Änderung des ADCS-CGIC im Studienzeitraum betrug 1,43 (p=0,048). Bei den kognitiven Tests und der Lebensqualität gab es in beiden Gruppen keine Veränderung. Von 17 schweren unerwünschten Ereignissen stand keines im Zusammenhang mit dem Studienmedikament; das Sicherheitsprofil war in beiden Gruppen gut. Mehr Teilnehmer in der Wirkstoffgruppe (10 gegenüber 6) berichteten über einen Gewichtsverlust von mehr als 7 % während der Studie.

 

„Da es noch keine in Europa zugelassene kausale Alzheimer-Therapie gibt, muss die Behandlung auch an allen Risikofaktoren und begleitenden Symptomen ansetzen. Nach diesen Studiendaten stellt Methylphenidat eine wirksame und sichere Option für die Behandlung der Apathie dar“, betont Prof. Dr. Richard Dodel, Essen. „Soziale Isolation und Bewegungsmangel bedingen und verstärken sich gegenseitig und sind Treiber einer Demenz. Symptome wie Depressionen und Apathie verhindern die Mitarbeit – gerade in frühen Erkrankungsstadien ist es aber wichtig, dass die Betroffenen sich bewegen oder Sport treiben, mobil und unternehmungslustig bleiben und soziale Kontakte haben, denn dies kann das Fortschreiten der Demenz beeinflussen.“

 

Literatur

[1] Mintzer J, Lanctôt KL, Scherer RW et al. Effect of Methylphenidate on Apathy in Patients With Alzheimer Disease: The ADMET 2 Randomized Clinical Trial. JAMA Neurol 2021 Nov 1;78(11):1324-1332. doi: 10.1001/jamaneurol.2021.3356.

[2] Website:

https://www.nationale-demenzstrategie.de/

Broschüre:
https://www.nationale-demenzstrategie.de/fileadmin/nds/pdf/2020-07-01_Nationale_Demenzsstrategie.pdf

[3] Hacke, Werner (Hrsg.) Neurologie. Springer-Verlag 2016, S. 649 ff.

[4] Livingston G, Sommerlad A, Orgeta V et al. Dementia prevention, intervention, and care. Lancet 2017; 390 (10113): 2673-2734

[5] Norton S, Matthews FE, Barnes DE et al. Potential for primary prevention of Alzheimer’s disease: an analysis

of population-based data. Lancet Neurol. 2014; 13 (8): 788-94

[6] Luck T, Riedel-Heller SG. Prevention of Alzheimer’s dementia in Germany: A projection of the possible potential of reducing selected risk factors. Nervenarzt 2016 Nov; 87 (11): 1194-1200

[7] Maier F, Spottke A, Bach JP et al. Bupropion for the Treatment of Apathy in Alzheimer Disease: A Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open. 2020 May 1;3(5):e206027. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2020.6027.

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