DMZ – WISSENSCHAFT ¦ Markus Golla ¦
Forschende des DZNE und der Charité – Universitätsmedizin Berlin präsentieren im Wissenschaftsjournal „Science“ neue Erkenntnisse über die Immunreaktion gegen das Coronavirus SARS-CoV-2.
Ihre Studie beruht auf Untersuchungen von Antikörpern, die infolge einer Infektion mit der Beta-Variante des Virus entstanden waren.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gelangen zu dem Schluss, dass die Beta-Variante eine breite Immunität gegen mehrere Virusstämme hervorruft, die für den Schutz gegen die derzeit
vorherrschenden Varianten Delta und Omikron sowie gegen künftige Virusvarianten von Vorteil sein könnte. Ihrer Ansicht nach sollte dieser Aspekt bei der Entwicklung von Impfstrategien
berücksichtigt werden.
„Die Beta-Variante des Coronavirus zeigt deutliche Unterschiede zum Wildtyp, dem ursprünglichen Virusstamm. Bis zum Auftauchen der nun weit verbreiteten Omikron-Variante war es die Virusform, die
sich am weitesten vom Wildtyp fortentwickelt hatte, auf den die bisherigen Impfstoffe ausgelegt sind“, so Dr. Momsen Reincke, Forscher am DZNE und der Klinik für Neurologie mit Experimenteller
Neurologie am Campus Charité Mitte sowie einer der Erstautoren der aktuellen Veröffentlichung in „Science“. „Wir wollten nun mehr über die genaue Antikörper-Antwort auf diese Variante
herausfinden – um zu sehen, welche Rückschlüsse daraus auf die Immunantwort bei anderen Varianten möglich sind. Da das Coronavirus wahrscheinlich weiter mutieren wird, interessierte uns, ob die
gefundenen Antikörper nur gegen die Beta-Variante wirken oder breiteres Potenzial haben.“
Vielfalt von Antikörpern
Antikörper sind Eiweißstoffe, mit denen sich der Körper gegen Krankheitserreger zur Wehr setzt. Das menschliche Immunsystem kann davon eine schier unerschöpfliche Vielfalt herstellen, wofür es
sich verschiedener Mechanismen bedient: insbesondere, indem die im Genom hinterlegten Baupläne für die Komponenten eines Antikörpers immer wieder neu kombiniert werden. „Auch die Immunantwort auf
das Coronavirus bringt ein Spektrum an Antikörpern hervor, die an unterschiedliche Bereiche des Erregers binden“, so Reincke. Aus Sicht der Immunabwehr besonders effektiv ist eine Bindung an das
sogenannte Spike-Protein. „Das ist gewissermaßen der Haken, mit dem sich das Virus an Körperzellen festmacht, um sich dann einzuschleusen. Manche Antikörper binden an dieses Protein und setzen
den Haken außer Kraft. Das sind die neutralisierenden Antikörper. Genau solche haben wir in unserer Studie untersucht.“
Nachbau im Labor
Die Befunde der Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beruhen auf einer Analyse von Antikörpern, die sie aus dem Blut von 40 Erwachsenen isolieren konnten. Alle diese Patientinnen und
Patienten hatten sich mit der Beta-Variante von SARS-CoV-2 infiziert. Von den ursprünglich rund 300 erfassten Antikörpern koppelten 81 besonders stark an das Spike-Protein des Coronavirus.
Reincke und seine Kolleginnen und Kollegen entschlüsselten die genetischen Baupläne der Antikörper. So konnten sie nachvollziehen, welche Gene beim Zusammenbau dieser Antikörper eine Rolle
spielen und außerdem diese Immunproteine für weitere Untersuchungen künstlich herstellen. Dabei profitierten sie von einem Förderprojekt der Helmholtz-Gemeinschaft, dem „BaoBab Innovation Lab“,
in dessen Rahmen sie Technologien zur Charakterisierung und Herstellung von Antikörpern entwickeln und verfeinern.
Wirksam gegen Delta und Omikron
„Wir haben getestet, ob Antikörper gegen die Beta-Variante auch gegen andere Virusvarianten wirken. Das nennt man Kreuzreaktivität. Unsere Analysen zeigen, dass einige dieser Antikörper beim
Wildtyp wenig ausrichten. Andere wiederum sind sehr wohl wirksam gegen den ursprünglichen Virusstamm und zugleich gegen manche der Variants of Concern, also jene Virusformen, die als besonders
besorgniserregend gelten. Ein Teil der Antikörper gegen Beta ist sogar wirksam gegen die aktuell zirkulierenden Varianten Delta und Omikron“, sagt Dr. Jakob Kreye, Letztautor der Studie und
Wissenschaftler am DZNE und der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie sowie der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité.
Auf die Bindungsstelle kommt es an
Der Schlüssel für die Kreuzreaktivität liegt darin, an welche Stelle des Spike-Proteins der jeweilige Antikörper bindet und ob sich diese Stelle zwischen den Virusvarianten verändert hat. „Die
Antikörper mit breiter Wirksamkeit richten sich gegen Bereiche des Spike-Proteins, die bei den bisherigen Virusvarianten weitgehend gleichgeblieben sind“, so Kreye. Doch im Fall von Omikron gibt
es hiervon auch Ausnahmen. „Wir haben jedoch Antikörper gefunden, die gut sowohl gegen Beta als auch gegen Omikron wirken und gegen andere Varianten nur schwach. Diese speziellen Antikörper
binden an Stellen des Spike-Proteins, die bei Beta und Omikron recht ähnlich sind, bei anderen Varianten jedoch nicht.“
Schutz vor neuen Varianten
Die Kreuzreaktivität könnte sich als ein wichtiger Aspekt künftiger Impfungen erweisen: „Auch einzelne Antikörper gegen den Wildtyp haben breite Wirksamkeit. Das ist in der Literatur beschrieben
und zeigen auch Untersuchungen aus unserem Labor. Fasst man diese Daten und unsere aktuellen Befunde zusammen, kommen wir zu dem Schluss, dass Antikörper, die gegen unterschiedliche
Virusvarianten erzeugt wurden, sich ergänzen und so gemeinsam die Schlagkraft der Immunantwort gegen neu auftretende Varianten verbessern können. Größtmögliche Vielfalt in der Antikörper-Antwort
scheint sinnvoll zu sein“, sagt Prof. Dr. Harald Prüß, Forschungsgruppenleiter am DZNE und Oberarzt an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Campus Charité Mitte. „Die
gleichzeitige oder auch eine aufeinanderfolgende Impfung gegen verschiedene schon bekannte Varianten würde wahrscheinlich verstärkten Schutz bieten vor möglichen weiteren Formen des Coronavirus“,
ergänzt Kreye. „Dieser Ansatz könnte für die Fortentwicklung der Impfstrategien relevant sein, denn es ist davon auszugehen, dass sich der Erreger auch künftig immer wieder verändern wird.“
Forschungspartner
Für die aktuellen Untersuchungen kooperierte die DZNE-Forschungsgruppe unter Leitung von Prof. Harald Prüß eng mit dem Team rund um Dr. Victor Corman vom Institut für Virologie der Charité. An
diesen Studien maßgeblich beteiligt war zudem die Forschungseinrichtung Scripps Research in den USA.
Über das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Das DZNE ist eine Forschungseinrichtung, die sich mit sämtlichen Aspekten neurodegenerativer Erkrankungen (wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson und ALS) befasst, um neue Ansätze der
Prävention, Therapie und Patientenversorgung zu entwickeln. Durch seine zehn Standorte bündelt es bundesweite Expertise innerhalb einer Forschungsorganisation. Das DZNE kooperiert eng mit
Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen im In- und Ausland. Es wird öffentlich gefördert und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft. Website: https://www.dzne.de
Über die Charité – Universitätsmedizin Berlin
Die Charité – Universitätsmedizin Berlin ist mit rund 100 Kliniken und Instituten an 4 Campi sowie 3.001 Betten eine der größten Universitätskliniken Europas. Forschung, Lehre und
Krankenversorgung sind hier eng miteinander vernetzt. Mit Charité-weit durchschnittlich 16.400 und konzernweit rund 19.400 Beschäftigten aus über 100 Nationen gehört die Berliner
Universitätsmedizin zu den größten Arbeitgeberinnen der Hauptstadt. Dabei waren 4.707 der Beschäftigten im Pflegebereich und 4.693 im wissenschaftlichen und ärztlichen Bereich tätig. An der
Charité wurden im vergangenen Jahr 132.383 voll- und teilstationäre Fälle sowie 655.138 ambulante Fälle behandelt. Im Jahr 2020 hat die Charité Gesamteinnahmen von rund 2,2 Milliarden Euro,
inklusive Drittmitteleinnahmen und Investitionszuschüssen, erzielt. Mit den 196 Millionen Euro eingeworbenen Drittmitteln erreichte die Charité einen erneuten Rekord. An der medizinischen
Fakultät, die zu den größten in Deutschland gehört, werden mehr als 8.600 Studierende in Humanmedizin, Zahnmedizin sowie Gesundheitswissenschaften ausgebildet. Darüber hinaus gibt es 577
Ausbildungsplätze in 10 Gesundheitsberufen. Die Berliner Universitätsmedizin setzt Akzente in den Forschungsschwerpunkten: Infektion, Inflammation und Immunität einschließlich Forschung zu
COVID-19, Kardiovaskuläre Forschung und Metabolismus, Neurowissenschaften, Onkologie, Regenerative Therapien sowie Seltene Erkrankungen und Genetik. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der
Charité arbeiten unter anderem in 28 DFG-Sonderforschungsbereichen, darunter sechs mit Sprecherfunktion, in drei Exzellenzclustern, davon eines mit Sprecherschaft, 8
Emmy-Noether-Nachwuchsgruppen, 14 Grants des European Research Councils und 9 europäischen Verbundprojekten mit Charité-Koordination. Mehr Informationen: https://www.charite.de
Originalpublikation:
SARS-CoV-2 Beta variant infection elicits potent lineage-specific and cross-reactive antibodies, S. Momsen Reincke, Meng Yuan, Hans-Christian Kornau, Victor
M. Corman et al., Science (2022), URL: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abm5835
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