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Omicron wird uns bis ins Frühjahr belasten

DMZ –  WISSENSCHAFT¦ Dirk Specht ¦                              

KOMMENTAR 

 

Die von mir bisher berichteten Omicron-Muster bestätigen sich weiter. Es ist sehr bedauerlich, dass in vielen Foren immer noch die anfänglichen Charts mit sehr steilem Anstieg und ebenso steilem Abbruch sowie den ausbleibenden klinischen Folgen geteilt werden, ohne diese zu aktualisieren. Tatsächlich kommt Omicron sehr schnell und verschwindet dann eben nicht. Ebenso bestätigt sich, dass die klinischen Folgen mit höherer Verzögerung als bisher beginnen und ebenso nicht schnell verschwinden.

 

Wir sehen in dem Vergleich (Chart 1) in der logarithmischen Auflösung sehr gut den starken Anstieg, nun aber in der statistischen Glättung, dass die anfangs fast genauso schnell fallenden Zahlen sich immer mehr in die Länge ziehen, um dann allenfalls in einer Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau zu verbleiben. Hinzu kommt, dass Omicron in den meisten Ländern die Testkapazitäten sehr schnell überlastet, weshalb diese Zahlen mit steigenden Dunkelziffern zu vermuten sind. Nimmt man die bezüglich der Testinfrastruktur besser aufgestellten Israelis und Dänen als Maßstab, wo die Zahlen weiter steigen, ist vielleicht in den anderen Ländern diese Stabilisierung auf hohen Niveau tatsächlich gar nicht eingetreten.

Das bleibt vorerst Spekulation, die sic

h vor allem anhand der Sterbefallzahlen (Chart 2) auflösen wird. Diese folgen – auch in Südafrika – mit höherer Verzögerung und das Bild kann noch nicht abschließend bewertet werden. Noch ist auch hier eher ein weiteres Wachstum erkennbar, vielleicht hat UK ein Plateau erreicht. Aber auch hier ist keineswegs ein Ende von Omicron absehbar. Das bestätigt mich in meiner Einschätzung, mit einer Belastung durch Omicron bis ins Frühjahr zu rechnen. Länder wie UK und Dänemark mit sehr hoher Immunität in der Bevölkerung können damit anders umgehen, als beispielsweise Israel und die USA mit den mäßigen Impfquoten. Das gilt leider auch für Deutschland.

Omicron ist also keineswegs zu Ende und es ist ein reiner Hoffnungswert, Omicron sei insgesamt das Ende. Wir können tatsächlich in den meisten Ländern feststellen, siehe dazu meinen letzten Langzeitvergleich, dass die Immunität in der Bevölkerung wächst und die klinischen Folgen trotz immer infektiöserer Varianten sinken. Auch hier der Hinweis, dass dies beispielsweise in den USA nicht so ausgeprägt ist und bis zur Delta-Welle für Deutschland auch nicht galt. Was Omicron bei uns klinisch bedeutet, werden wir erst noch sehen. Dass es nun aber mit den Varianten ein plötzliches Ende habe oder dass diese immer harmloser werden, ist eine Wiederholung von Thesen über ein natürliches Ende der Pandemie, für die bisher vor allem eines gilt: Sie waren stets falsch.

 

Vielleicht lernen wir daraus und rufen das Ende der Pandemie aus, wenn sie zu Ende ist. Bis dahin gilt: Die erstrebenswerte Lösung für die wachsende Immunität gegen diese vor allem in den Herbst/Winter-Perioden auftretenden Dauerkrisen besteht unstrittig in den Impfungen. Es wundert sehr, wenn Impfgegner mit der angeblich fehlenden Wirksamkeit der Impfstoffe argumentieren – was bereits falsch ist – und dann auch noch „übersehen“, dass die Wirksamkeit von durchlaufenen Infektionen eben nicht mit einer Durchseuchungswelle gegeben ist. Die „natürliche Herdenimmunität“ ist nur in mehreren Wellen erreichbar und selbst in Ländern wie Südafrika ist noch vollkommen unklar, ob nicht die nächste Variante eine weitere Infektionswelle auslösen wird. Diese Länder, zu denen auch Indien zählt, haben leider nicht die Ressourcen für eine humanere Lösung. Auch hier ist die Pandemie nicht zu Ende, trotz des bisher bereits erfahrenen Leidens und Sterbens. Die Industrienationen haben andere Ressourcen und ihre ältere Bevölkerung macht eigentlich jede Diskussion über die „natürliche Alternative“ obsolet.

 

Wer ein schnelles Ende durch Immunität und begrenzte sowohl gesundheitliche wie ökonomische Schäden anstrebt, kommt um Impfungen nicht herum. Das lässt sich sehr gut an den diesbezüglich sowohl von der Menge als auch der Qualität hervorragenden Daten aus UK ableiten. Dazu habe ich einige Charts mit Sterblichkeitsraten nach Impfstatus zusammengestellt. Hier sieht man auf Ebene der Gesamtbevölkerung in UK eine Sterberate durch Covid-19 von 5,2 pro 100.000 bei doppelt Geimpften versus 23,8 bei Ungeimpften. Das Sterbefall-Risiko der Ungeimpften ist also 4,6 mal höher. Interessant ist es, das nach Altersgruppen zu differenzieren. Das findet sich in den weiteren Darstellungen und hier erkennt man, was ich sehr oft zitiert hatte: Der Unterschied ist umso höher, je JÜNGER die Gruppen sind. Bei den unter 40jährigen stirbt gerundet gar kein Geimpfter mehr, währen es fast einer pro 100.000 unter den Ungeimpften ist. Bei den 40-49jährigen ist das Risiko für Ungeimpfte 7,6 mal höher und das sinkt dann bis zur Hochrisikogruppe auf Faktor 4,5.

Diese Daten belegen erneut die Bedeutung der Impfungen sowie die Tatsache, dass Jüngere zwar absolut ein deutlich geringeres Sterbefallrisiko haben, aber relativ sogar noch stärker von den Impfungen profitieren. Das passt zu den Effektivitätswerten der Impfstoffstudien, bei denen die Werte für Jüngere auch stets besser waren. Diese Daten aus UK reichen leider nur bis zum 15. Oktober 2021, zeigen also die Wirkung der Impfungen vor Omicron. Wir müssen aber mal von der absurden Argumentation absehen, jetzt ausgerechnet wegen Omicron die Impfstoffe in Frage zu stellen und deren Wirkung bei allen bisherigen Varianten zu ignorieren. Wir werden bald angepasste Wirkstoffe haben und wir sehen, dass sogar die bisherigen auch gegen Omicron noch sehr effektiv sind.

 

Diese Pandemie ist ein mehrjähriger Prozess, dessen Ende wir nicht kennen. Es ist vollkommen sinnlos und widerspricht auch allen bisherigen Erfahrungen, das Geschehen aus einer kurzfristigen Perspektive zu bewerten. Bei jedem Rückgang von Infektionszahlen wurde das Ende der Pandemie ausgerufen, in jeder Wärmeperiode mit mäßigem Infektionsgeschehen wurde behauptet, das komme nicht wieder. Mit Beginn der Impfkampagnen wurde erwartet – von Experten und Herstellern aber niemals behauptet – damit sei es nun aber getan. Wer solche Thesen weiter vertritt oder ihnen folgt, sollte sich vor allem fragen, warum er das tut. Es sind so etwas wie umgekehrte Crash-Propheten, die so lange vom Zusammenbruch der Finanzmärkte fabulieren, bis sie vielleicht – temporär – mal Recht bekommen.

 

Diese Überlegungen sind vor allem deshalb unsinnig, weil wir mit den Impfstoffen ein hervorragendes Instrument haben, diesen biologischen Prozess nicht nur zu ertragen, sondern dabei einzugreifen. Dass dies sowohl für Omicron als auch darüber hinaus notwendig ist und auch funktionieren wird, zeigen ebenfalls die Daten aus UK, dieses Mal die aktuelleren, die gestern wieder veröffentlicht wurden (https://assets.publishing.service.gov.uk/…/Vaccine…).

 

Die beiden letzten Charts zeigen die aktuellsten Effektivitätswerte der Impfstoffe, die ich aus der verlinkten Studie zitiere. Die erste Tabelle zeigt die Effektivität gegen die Hospitalisierung. Hier erkennt man die ausgezeichnete Wirksamkeit selbst der Doppelimpfungen gegen Delta. Das ist der Grund, weshalb in Ländern wie UK und Dänemark die Delta-Welle, die in Deutschland zur Verlegung von Intensivpatienten per Bundeswehrflieger geführt hat, weitgehend ausgeblieben war. Warum gegen die Hersteller der Impfstoffe und angeblich falsche Versprechungen weiter gehetzt wird, ist angesichts solcher Resultate 1-1/2 Jahre nach der Entwicklung der Wirkstoffe wohl nur mit Arroganz, Unkenntnis oder Böswilligkeit zu erklären. In der Tat sehen wir hier jedoch, dass die Doppelimpfungen gegen Omicron vor allem mit der Zeit abfallen. Aber selbst nach sechs Monaten liegen die noch im Bereich von 30%, was gewiss nicht mehr genug ist, aber auch nicht das Attribut „unwirksam“ erlaubt. Die Booster-Impfungen hingegen schützen auch gegen Omicron immer noch in Bereichen von 75% bis über 90%.

 

Man kann also nicht sagen, die existierenden Wirkstoffe funktionierten nicht mehr und Omicron habe das Spiel abschließend geändert. Das stimmt weder für die zur Verfügung stehenden Impfstoffe, noch ist es richtig, die gerade in der Entwicklung/Zulassung befindlichen nur deshalb zu ignorieren, weil wir gerade in dieser Übergangsphase sind. Im Gegenteil ist zu erwarten, dass die langfristigen Ergebnisse weiter wie in der letzten Tabelle dargestellt liegen werden: Hier ist die Effektivität eines aktuellen, in dem Fall also dreifachen Impfschutzes gegen den Sterbefall 95%.

Betrachtet man diese Daten und alle bisherigen Debatten, so kann man sich einer gewissen Frustreaktion nicht entziehen. Diese unlogischen Argumentationsmuster, die teilweise fast kindisch wirken, sind kaum nachvollziehbar. Natürlich ist die Frage der Angemessenheit von Maßnahmen immer zu diskutieren, aber die wird bevorzugt mit immer wieder im Grundmuster denselben falschen Behauptungen geführt: Entweder funktionieren die Maßnahmen angeblich nicht oder sie sind gar überflüssig, weil der natürlich Gang der Dinge das genauso gut erledigt. Das erleben wir nun bei den Impfungen erneut und es wird durch die nächste Wiederholung nicht richtig. Die Impfungen wirken und diese Effektivitätswerte können rein mathematisch gar nicht resultieren, wenn der „natürliche Weg“ nicht bedeutend schlechter wäre. Was da – leider auch in der aktuellen Debatte des Bundestags – diskutiert wird, ist fast schon irrational.

 

Das betrifft leider alle erkennbaren Entwürfe zur Impfpflicht. Die Regierung Scholz hätte das Projekt besser nur angefasst, wenn sie bereit gewesen wäre, ein wirklich hilfreiches und sachgerechtes Gesetz vorzulegen. So zeichnet es sich ab, dass wir wieder über politische „Grenzwerte“ reden. Eine Dauerimpfung sei nicht zuzumuten, allenfalls eine Grundimmunisierung von zwei oder drei Impfungen, vielleicht eher bei den Ü50, die das Gesundheitssystem hauptsächlich belasten oder dann doch bei den Ü18 mit Blick auf die Ausbreitung der Pandemie.

 

Was auch immer bei diesen „politischen“ Überlegungen an Gesetz resultiert, das ist real lächerlich! Es ist mal wieder die Arroganz des Menschen, einem biologischen Prozess seinen Willen aufzwingen zu wollen. Niemand weiß, ob drei Impfungen einen abschließenden Schutz bringen oder ob die schlicht irgendwann wirkungslos werden. Niemand weiß, ob es sinnvoll ist und wenn ja, für wen, eine vierte Impfung mit einem der adaptierten Wirkstoffe zu nehmen. Niemand weiß, ob wir im nächsten Herbst eine Variante haben, die auch für Jüngere eine Impfung relevant macht. Es kann kein Gesetz geben, das heute irgendwelche „Grenzwerte“ oder „Zumutbarkeiten“ für den weiteren Verlauf der Pandemie “festlegt”.

 

Nur die weitere Entwicklung kann den Bedarf definieren und wenn nun ein Gesetz resultiert, das diesbezüglich vollkommen falsche Signale setzt, ist das kontraproduktiv. Wenn wir damit signalisieren, drei Impfungen seien genug, kann es gut sein, dass wir schon in einem halben Jahr kommunizieren müssen, warum das staatstragend „errungene“ Gesetz eine falsche Empfehlung darstellt.

 

Die Ignoranz in unseren Debatten ist genauso geblieben, wie die Pandemie. Sie findet nur immer wieder neue Verkleidungen. Jetzt sind es die Hetze gegen die Wirkstoffe in den sozialen Gassen und die vielleicht schon sehr bald erkennbare erneute Gegenstandslosigkeit von politischen „Festlegungen“.

 

Wir werden den Weg aus der Pandemie finden, auch in Deutschland wird die Immunität zunehmen und das weitere Geschehen sich klinisch von den Infektionen entkoppeln. Das können wir von Quartal zu Quartal entspannter sehen und vielleicht stellen wir letztlich fest, dass wir im internationalen Vergleich ganz ordentlich zurecht gekommen sind. Mit dem Anspruch einer aufgeklärten modernen Gesellschaft sollten wir mit unseren Pandemie-Debatten aber niemals zufrieden sein. Die erzeugen vielleicht sogar den längerfristigen Schaden.

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