Fakenews aus Sicht eines Gründervaters des Internets

DMZ – DIGITAL ¦ Dirk Specht ¦                                               

KOMMENTAR

 

Das Thema mit den Fakenews mal wieder – dieses Mal mit Leseempfehlungen zu Vint Cerf, seines Zeichens einer der „Gründerväter“ des Internets und heute hochrangig bei Google tätig. Er setzt sich, passend zu seiner Herkunft, eher aus einer technologischen Perspektive mit den Entwicklungen auseinander. In der FAZ hat er sich dazu wesentlich dedizierter geäußert, als in dem beigefügten Zeit-Interview. Wer FAZ+ hat, dem sei der Beitrag „Macht das Internet nicht kaputt“ empfohlen, ich verlinke ihn hier wegen der Paywall nicht.

 

Kurze Zusammenfassung beider Quellen: Cerf moniert zurecht die mangelhafte Grundlagentechnologie des Internets. Das „darf“ er, denn er hat sie mit entworfen und wird nicht müde zu betonen, dass sie für den jetzigen Zweck nicht vorgesehen war. Das hat viele kritische Folgen, von Sicherheitsfragen – sowohl des Betriebs selbst als auch der Daten – bis zu relativ einfachen Möglichkeiten von Staaten, weite Teile des Netzes in ihrem Hoheitsgebiet abzuklemmen.

 

Er zitiert – vor allem in der FAZ – zahlreiche internationale Institutionen, zu deren Mitgründern er teilweise selbst zählt. Dies sind das Internet Architecture Board (IAB), die Internet Engineering and Research Task Forces (IETF, IRTF), die Internet Society und die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Ferner erwähnt er, dass die Vereinten Nationen unter dem Kürzel WISIS versucht haben, darüber eine Dachinstitution zu schaffen – was leider gescheitert ist.

 

Da er selbst in diesen Gremien teilweise involviert ist und sich deshalb diplomatisch zu äußern hat, hier die Übersetzung: Diese Institutionen sind für die Organisation des Internets unverzichtbar, sie leisten teilweise so essentielle Dinge wie die Vergabe eindeutiger Domains. Das Netz würde im Chaos versinken, wenn es solche globalen Regelungen nicht gäbe. Das ist quasi der „Berechtigungsschein“ dieser Institutionen, aber alles weitere ist leider ein politisch/wirtschaftliches Geschacher. Das reicht vom Einfluss der Geheimdienste für den basistechnologischen Zugriff auf schlicht und ergreifend alle Daten, die sich durch das Netz bewegen, über militärische Risiken (Cyberwar, Thema für sich!) sowie stereotype nationale politische Interessen bis zu hartem wirtschaftlichen Wettbewerb von Großkonzernen aus der Telekommunikation oder der Digitalisierung.

 

Cerf ist an der Stelle also selbst unfreiwillig Politiker geworden und er wird nicht müde, die Idee zu propagieren, diesen Institutionen einen globalen Rechtsrahmen zu geben, der jeweils in nationales Recht einzubetten ist. Dann könnten die qua eigener Autorität und nicht nur aufgrund ihrer faktischen Notwendigkeit agieren – also insbesondere wesentlich freier ihre Ziele durchsetzen: Offenheit des Netzes, gleichberechtigte Zugangsmöglichkeiten, Transparenz, Sicherheit. Man kann ihn nur unterstützen, denn genau in diese Richtung muss es gehen: Es ist das beste Rezept, nationale Spielchen zu unterbinden und das Internet als weltweites Netz über die gesamte Menschheit zu einheitlichen Regeln sicherzustellen sowie es, das sei eindringlich erwähnt, zu entmilitarisieren.

 

Was das konkrete Problem von Meinungsfreiheit versus Fakenews betrifft, so hat er dazu ebenfalls eine primär technologische Sicht. Er geht davon aus, dass es durch den Einsatz von KI gelingen wird, Fakenews zu erkennen und zu filtern. Daran arbeitet Google wohl bereits und von Facebook ist das auch bekannt.

Ich hätte dazu einen anderen Vorschlag: Filterung oder Löschung erscheint mir eine eher stumpfe und ggf. sogar kontraproduktive Sache. Wenn Algorithmen aber den „Faktenwert“ eines Inhalts bewerten können, so würde ich diesen einfach als Indexwert im Schulnotensystem dran schreiben und ferner würde ich bei Empfehlungsalgorithmen Inhalte mit besserem „Faktenwert“ stets als Alternative mit anbieten. Das würde nämlich wirklich Meinungsfreiheit in der Realität anbieten und es den Nutzern überlassen, wie sie das für sich einsetzen – zudem wäre es ein großer Prüf”mechanismus” für den Algorithmus . Es dürfte zudem die komplett einseitige Beschallung in Echokammern, die nichts anderes als die Unterdrückung von Meinungsfreiheit darstellen, verhindern. Außerdem wäre ich hoffnungsvoll neugierig, was solche Algorithmen zu Beiträgen von Bild&Co als Schulnoten vergeben – ich hätte da eine gewisse Erwartung und fände die darauf einsetzende öffentliche Debatte maximal wertvoll!

 

IETF und IRTF schlagen vor, solche Algorithmen, wenn sie ausreichend gut funktionieren – was beispielsweise das IAB zu bewerten hätte – in allen öffentlichen Plattformen verpflichtend einzusetzen. Damit das keine Kostenfrage wird und zu einer Benachteiligung kleinerer Anbieter führt, schlagen diese Institutionen ferner vor, solche Technologien zentral zu betreiben und kostenlos anzubieten.

Gute Ideen insgesamt, Grundlage für eine lösungsorientierte Debatte allemal. Übersetzt auf die Konzeption unserer Verfassung heißt das übrigens: Regulation.

 

Ich weiß natürlich, dass ich damit wieder die typischen Beißreflexe auslöse. Wer sich an diesem Hasswort weiter festbeißen möchte, dem empfehle ich im Sinne der freien Meinung und Information zumindest die Recherche der Tätigkeiten o.g. Institutionen. Die veröffentlichen sehr lesenswerte Analysen über die Entwicklung des Netzes, positiv wie negativ. Ebenso ist es hilfreich, Personen wie Cerf zu folgen, die sich zahlreich in diesen Institutionen engagieren.

 

Auch, wenn man das Thema skeptisch sieht – was übrigens ganz und gar angemessen ist – macht es nicht dümmer, diese Quellen wahrzunehmen.

Dann wird man vielleicht sogar auf einen Konsens kommen, der wichtig für welche Lösung auch immer sein könnte: So, wie es sich in den letzten 20 Jahren entwickelt hat, kann es nicht weiter gehen: Das Internet ist Spielball globaler Interessen und auch dafür ist es nicht konzipiert worden.


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