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AT: Politik am Ring: Corona künftig als ständiger Begleiter?

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦                                    

 

Die Bewältigung der Corona-Krise ist zwei Jahre nach dem ersten nachgewiesenen Fall in Österreich immer noch Thema Nummer eins im politischen Alltag. Auch wenn die Infektionszahlen wie prognostiziert wieder zurückgehen werden, werden Long-COVID und die psychischen Folgen der Pandemie weiterhin den Alltag von Politik und Gesellschaft bestimmen.

 

Wie der Weg aus der Krise gelingen kann und die Herausforderungen, vor denen die Politik steht, gemeistert werden können, darüber diskutierten gestern in der Internet-TV-Sendung des Parlaments Politik am Ring unter der Moderation von Gerald Groß VertreterInnen von ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grünen mit dem Simulationsforscher Nikolas Popper und der Virologin Dorothee von Laer. Die NEOS waren diesmal nicht vertreten, da Abgeordnete Fiona Fiedler kurzfristig erkrankt war. Moderator Groß wünschte ihr gute Besserung.

 

Eine Pandemie eigne sich nicht für Populismus, darüber herrsche Einigkeit, so Moderator Gerald Groß eingangs. Auf die Frage, wie oft die Politik in den letzten zwei Jahren der Versuchung des Populismus erlegen sei, führte Simulationsforscher Popper aus, dass man zwischen berechtigtem Diskurs und Falschinformationen unterscheiden müsse. Die Diskussion über die Impfplicht beispielsweise sei berechtigt, darüber müsse man diskutieren können. Anders hingegen sei es bei der Diskussion über die Impfung, denn es sei evident, dass es sich dabei um die beste Lösung handle. FPÖ-Abgeordneter Erwin Angerer kritisierte, dass die Regierung mit dem Impfen nur eine Strategie ohne Alternative habe, woraufhin Virologin von Laer mit Blick auf die Geschichte der Seuchen erwiderte, dass man diese – auch historisch – nur mithilfe von Impfungen beherrschen konnte und könne. Zu sagen, die Corona-Impfung sei ein "nicht erprobtes experimentelles Irgendwas" sei falsch, denn es gebe kaum eine Impfung, die so gut untersucht sei, so die Virologin weiter. Inzwischen hätten sie mehrere Milliarden Menschen verabreicht bekommen.

 

Geplante Öffnungen "stabile Lösung" oder hohes Risiko?

Im Hinblick auf die anvisierten Lockerungen müsse man die Frage nach deren Ziel stellen, so Popper. Anfang März werde voraussichtlich der Peak an Infektionen erreicht sein, insofern könne man Öffnungsschritte rechtfertigen. Die Menschen wollen ihr "normales Leben" zurück, auch das gelte es mitzubedenken. Die Wissenschaft könne nur einschätzen, wie die Situation sei und wie sie künftig sein werde, sie könne die Zusammenhänge darstellen, entscheiden müsse aber die Politik, führte Popper weiter aus. Virologin von Laer betonte, dass es aus medizinischer Sicht bei den geplanten Öffnungen ein paar "Hochrisikobereiche" gebe: Lasse man Menschenansammlungen wie bei Veranstaltungen oder in der Nachtgastronomie unkontrolliert entstehen, bestehe die Gefahr, dass diese zu "Superspreading-Events" würden. Dass die Regierung dies ab 5. März ermögliche, sei aus medizinischer Sicht mutig, so von Laer. Sie hoffe, dass sich das Virus an den Plan der Regierung halte.

 

Gaby Schwarz, Bereichssprecherin für Gesundheit der ÖVP, warf ein, dass man hinsichtlich der Abwägung, welche Öffnungsschritte möglich seien, eine mögliche Überlastung des Gesundheitssystems in den Mittelpunkt gestellt habe, die es zu vermeiden gelte. Die Lockerungen am 5. März können nur dann umgesetzt werden, wenn die Prognosen der Expertinnen und Experten – die bisher sehr treffsicher waren – auch eintreten, ergänzte Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen. Sei das nicht der Fall, werde man den einen oder anderen Öffnungsschritt überdenken müssen.

 

Zukunftsperspektiven statt Vergangenheitsbewältigung nötig

Die Menschen müssen aus der "Bunkerstimmung", in die sie die Koalition gebracht habe, herausgeholt werden, führte FPÖ-Abgeordneter Erwin Angerer aus, sie bräuchten das vielzitierte Licht am Ende des Tunnels. Stattdessen gebe es viele unklare Regeln und widersprüchliche Maßnahmen, die niemand verstehe, kritisierte Angerer. Man könne nicht nur mit Expertinnen- und Expertenwissen Politik machen, vielmehr müsse man das große Ganze sehen und verhältnismäßige Entscheidungen treffen.

 

Philip Kucher, Bereichssprecher für Gesundheit der SPÖ, kritisierte, dass die Regierung in der Bewältigung der Pandemie Parteipolitik über den Schutz von Gesundheit und Menschenleben gestellt habe. Das "ständige Zickzack" habe zur Folge, dass enorm viele Menschen in Österreich nicht nur der Politik nicht mehr vertrauen, sondern auch der Wissenschaft. Es sei fatal, dass man das Vertrauen der Menschen so aufs Spiel gesetzt habe, so Kucher. Bezug nehmend auf den bisherigen Diskussionsverlauf und mit Blick auf verunsicherte Bürgerinnen und Bürger wandte Simulationsforscher Popper ein, dass man die Entscheidungsprozesse transparent machen müsse und den Menschen erklären müsse, warum Maßnahmen getroffen werden.

 

Long-COVID als große Unbekannte

Zwischen 10 und 30% aller an Corona erkrankten Personen hätten längere Zeit Symptome, etwa Lungen- und Herz-Kreislauf-Probleme, die durch Rehabilitationsmaßnahen relativ gut behandelt werden können, oder neurologische Probleme, die zum Teil nicht beziehungsweise nicht so gut behandelt werden können, erläuterte Virologin von Laer. Auch in diesem Zusammenhang müsse sie das Thema Impfen wieder erwähnen, so von Laer: Die Impfung schütze auch gegen Long-COVID, da nämlich jene, die sich trotz Impfung infizieren, ein deutlich geringeres Risiko hätten, an Long-COVID zu erkranken. Omikron verlaufe zwar milder, das habe man inzwischen gesehen, das heiße aber nicht, dass es nach Omikron-Infektionen kein Long-COVID gebe – dazu gebe es im Moment jedoch noch kaum Studien.

 

SPÖ-Abgeordneter Kucher betonte die Dringlichkeit, im Bereich Long-COVID sowohl für Therapieangebote als auch für Forschung finanzielle Unterstützung zur Verfügung zu stellen, und machte darauf aufmerksam, dass die finanzielle Absicherung der Menschen, die an Long-COVID leiden und nicht mehr arbeiten können, so schnell wie möglich geschaffen werden müsse. Laut Grünen-Gesundheitssprecher Schallmeiner werde Long-COVID die nächsten Jahre Thema bleiben, deshalb sei es umso wichtiger, dass schnell Hilfe geleistet werde. Der Prozess sei im Gange, es seien neben ExpertInnen auch Betroffene eingebunden, und so hoffe man, bald passende Unterstützung anbieten zu können.

 

Vorbereitungen für den Herbst wesentlich

Es werde eine Herbstwelle kommen, zeigte sich Virologin von Laer überzeugt, es stelle sich nur die Frage, in welchem Ausmaß. Niemand könne momentan sagen, welche Variante sie verursachen werde und wie viele Menschen schwer erkranken würden. Was jedoch gesagt werden könne, sei, dass man besser durch die Welle kommen werde, wenn man die Immunitätslücke insbesondere in den vulnerablen Gruppen schließe.

Das Impfpflichtgesetz sei wie ein Werkzeugkoffer zu sehen, wendete Abgeordnete Schwarz ein. Es gebe unterschiedliche Werkzeuge, die, immer mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit und auf neue Entwicklungen, bei Bedarf angewendet werden können, um das Ziel – eine möglichst hohe Durchimpfungsrate bis zum Herbst – erreichen zu können. Grünen-Abgeordneter Schallmeiner hakte ein und betonte, er vertraue auf die Impfpflichtkommission, die der Politik eine Anleitung für die Verwendung des jeweils passenden Werkzeuges geben werde. Das Impfpflichtgesetz sei flexibel gestaltet worden – Stichwort Werkzeugkoffer –, um auf alle Unwägbarkeiten, die der Herbst möglicherweise bringe, rasch und effizient reagieren zu können, so der Abgeordnete.

 

Gefragt nach dem Impfpflichtgesetz und der Einschätzung der Opposition, meinte FPÖ-Abgeordneter Angerer, man werde mit dem Impfpflichtgesetz das erklärte Ziel, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen, nicht erreichen. Menschen werden per Gesetz gezwungen, sich impfen zu lassen, obwohl man wisse, der Impfstoff verliere nach einer gewissen Zeit seine Wirkung. Besser wäre es, die Menschen zu informieren und aufzuklären, anstatt sie zu zwingen. Das Impfpflichtgesetz sei ein Beispiel politischer Selbstaufgabe; man habe es zuerst beschlossen und danach frage man vier ExpertInnen – die man als "Feigenblatt" hingesetzt habe –, ob das Gesetz überhaupt sinnvoll sei, so Angerer. Abgeordneter Schallmeiner von den Grünen entgegnete, dass man sich für die Umsetzung eines Gesetzes, das die Grundrechte aller berühren könne, zu Recht Expertise hole. Die SPÖ unterstütze die Umsetzung der Impfpflicht, erklärte Abgeordneter Kucher, solange die Entscheidung dafür verfassungsrechtlich und medizinisch gedeckt sei, und dafür habe man ja die Impfpflichtkommission, die diesen Prozess begleite.

 

Klarheit und Konsequenz gefordert

Aufgabe der Politik sei es, klare Regeln zu formulieren und diese auch konsequent umzusetzen, so Simulationsforscher Popper. Es dürfe nicht sein, dass die Wissenschaft Entscheidungen treffe – deren Aufgabe sei es, die Entscheidungsgrundlagen zu liefern, woraufhin die Politik ihre Schlüsse ziehen müsse. Mit Blick auf den Herbst bedeute dies, dass man Ziele definiere – beispielsweise wo man im Herbst hinsichtlich Impfung stehen wolle – und dann gemeinsam daran arbeite, diese auch zu erreichen. Es könne dann nicht sein, dass man überrascht tue und sage, man habe das so nicht erwarten können.

Im Zusammenhang mit dem Pandemiemanagement stand die Schlussfrage von Moderator Groß, und zwar, ob die Neuwahlspekulationen, die seit geraumer Zeit "in den Medien herumgeistern", Substanz haben. Laut FPÖ-Abgeordnetem Angerer müsse gewählt werden, da die Regierung aus der Sackgasse, in die sie sich hineinmanövriert habe, nicht mehr herauskomme. Das sehe man insbesondere am Impfpflichtgesetz und der Impflotterie. Die Regierung habe große Fehler im Krisenmanagement gemacht, in der Pflege habe sich zwei Jahre nichts getan und auch im Hinblick auf die Teuerungswelle bringe die Regierung nichts auf die Reihe, vielmehr beweise sie jeden Tag, dass sie überfordert sei, so SPÖ-Abgeordneter Kucher. Insofern habe die Bevölkerung das Recht, ganz offen zu sagen, wie sie das beurteile.

 

Abgeordneter Schallmeiner von den Grünen betonte, dass die ständige Forderung von Neuwahlen einfach zum Handwerk der Opposition gehöre. Die Regierung habe neben dem Pandemiemanagement mit der Klimakrise eine noch größere Herausforderung zu bewältigen. Insofern solle man vielmehr den Fokus darauf richten, welch gute Projekte die Regierung bisher auf den Weg gebracht habe, so der Abgeordnete, der mit dem Klimaticket und der ökosozialen Steuerreform auch Beispiele anführte. Dem pflichtete ÖVP-Abgeordnete Schwarz bei, die betonte, dass man noch viel vorhabe und das Regierungsprogramm abgearbeitet werde.

 

Die nächste Sendung von Politik am Ring findet am Montag, dem 21. März 2022, statt. Sie wird wieder live ab 21 Uhr in der Mediathek des Parlaments übertragen. Alle Folgen von Politik am Ring sind dort dauerhaft abrufbar.

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 

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