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Es ist mehr als ein Schachspiel

DMZ –  POLITIK / INTERNATIONAL ¦ Dirk Specht ¦    

KOMMENTAR

 

Der jüngste Zug Putins wird vermutlich erfolgreich sein. Er hat sich seit der Krim-Krise auf die Sanktionen des Westens besser eingestellt und dessen Uneinigkeit als wesentlichen strategischen Vorteil gesehen. Die hektischen, kontroversen und widersprüchlichen Diskussionen über Art und Umfang der Sanktionen unter den westlichen Regierungen bestätigen ihn. Es war absehbar, dass es dazu kommt. Zu unterschiedlich sind die Folgen für die einzelnen Länder. Deutschland und Italien haben eklatante Abhängigkeiten von russischen Energielieferungen, zusammen mit Österreich zudem engere Wirtschaftsbeziehungen als viele andere Europäer. Die Schweiz nimmt ohnehin eine Sonderrolle ein, sie ist bekanntlich „Abwicklungsbörse“ für sehr viele Transaktionen zwischen den Wirtschaftsblöcken. Davon will sie nicht lassen, viele geißeln das – aber wissen wir, wie viele westliche Länder hinter dieser Entscheidung stehen, die schließlich für viele Seiten eine willkommene Hintertür ist?

 

Insbesondere die Europäer müssen sich endlich kritisch sagen lassen, dass sie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik fahrlässig unterlassen haben. Spätestens mit den erkennbaren Änderungen der Außenpolitik beider Mächte, USA und Russland, war die überfällig. Es war auch ein Fehler, dass die europäischen Staatschefs und Außenminister sich in Moskau der Reihe nach haben vorführen lassen. Leider war es erkennbar, dass diese Inszenierungen nur Putin selbst nutzten. Es war selbstverständlich trotz der nun erkennbaren Sinnlosigkeit richtig, jeden diplomatischen Weg zu gehen, aber es wäre aus vielen Gründen besser gewesen, wenn Europa dafür genau einen Vertreter oder ein Gremium mandatiert hätte, der/das diese Verhandlungen für alle führt. So eine Struktur ist der Finanzkrise in wenigen Tagen aufgebaut worden, als die Troika entstand, die durch den Rat der Finanzminister in die nationalen Regierungen verlängert wurde. Dazu waren keine Reformen erforderlich, keine neuen Gesetze, sondern lediglich die Erkenntnis, dass Gemeinsamkeit erforderlich ist und dass die auch organisatorisch sofort abzubilden ist. Warum nicht hier?

 

Das ist nun vergossene Milch. Dieser Schachzug Putins wird gelingen, weil er die Figuren der Gegner sehr genau sehen konnte und zunächst auch richtig eingeschätzt hat. Aber es ist kein Schachspiel, denn es kann zu fundamentalen Änderungen der Regeln kommen. Es ist Spieltheorie – und hier hat Putin vielleicht übersehen, dass er exakt seinen strategischen Vorteil, nämlich die Uneinigkeit des Westens, selbst zerstören könnte. Ich bin optimistisch, dass es nun genau dazu kommt. Die Reaktionen in Europa werden massiv sein, sie werden fundamental sein. Sie werden dauern, aber sie werden dazu führen, dass Russland diesen Schritt irgendwann sehr bedauern wird.

 

Der deutsche Kanzler kündigt nun also binnen weniger Tage einen Paradigmenwechsel seiner Militärpolitik an. Der Planet würde Homo Sapiens wohl gänzlich andere Projekte als Aufrüstung vorschlagen, aber das geht nun mal nur, wenn es vielleicht irgendwann doch ein Schachspiel wird und alle sich auf ihre Figuren beschränken sowie die verabredeten Regeln einhalten. Es ist insofern keine Meldung, über die man sich freuen kann. Sie wird auch die militärische Lage in Europa nicht nennenswert ändern, das sollte klar sein. Aber es ist ein starkes Signal, dass gerade ein fundamentaler Sinneswandel eintritt. Es gibt diese Signale aus allen europäischen Hauptstädten.

 

Es bleibt zu hoffen, dass es nicht zu einer Wiederholung des Wettrüstens aus dem Kalten Krieg kommt. Kurzfristig ist das wohl die erforderliche Antwort. Es muss klar werden, dass dieser militärische Zug durch Putin nicht wiederholbar ist. Dem sollte eine gemeinsame Position Europas folgen, wie genau dieser Weg so schnell wie möglich auch wieder beendet werden kann. Das wird trotzdem dauern, zunächst müssen wir uns auf eine längere Phase einer vollkommen überflüssigen Krise einstellen, die uns Ressourcen kostet, die wir anderweitig viel besser einsetzen könnten.

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