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Totenruhe missachtet – Ein Fernsehturm mit Symbolcharakter

DMZ –  POLITIK / Urs Berger ¦                                                  

KOMMENTAR

 

Vor 80 Jahren war die Ukraine bereits einmal ein Friedhof, ein Schlachtfeld und ein Geröllfeld. Damals fand ebenfalls ein Genozid statt, wie dies Vladimir Putin als Vorwand für seinen Einmarsch in die Ukraine braucht. Nun griff er eines der Mahnmale dieses Genozid vor 80 Jahren an.

Die Nachricht war eine Fussnote in den Nachrichten. Ein Fernsehturm wurde angegriffen, fünf Menschen starben. Die Bilder dieses Einschlages gingen um die Welt. Zu Beginn der Berichterstattung war sich niemand bewusst, wo dieser Kommunikationsturm genauer stand. Erst nach und nach sickerte die Meldung durch, dass dieser an einem besonderen Ort stand. Ein Ort, welcher eine besonders grausame, unvergessliche und tödliche Vergangenheit hat.

 

Rückblende – September 1941, der Krieg Nazideutschland gegen Russland hatte vor drei Monaten begonnen. Die Deutschen stiessen auf ihrem Weg auf die Krim schnell voran. Mitte September eroberten die Nazis die Hauptstadt der heutigen Ukraine, Kiew. Nach dem der Widerstand in der Stadt mit Explosionen und Bränden nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte, trafen sich die neuen Machthaber unter der Führung von Kurt Eberhard als Stadtkommandant zu einer Sitzung. In dieser Zusammenkunft beschlossen die Nazis und die Wehrmacht zusammen, als Vergeltungsaktion die noch verbliebenen rund 55000 Juden zu bestrafen und diese zu erschiessen. Das grausige Vorhaben wurde am 29. Und 30. September 1941 in die Tat umgesetzt. In der Schlucht von Babyn Yar begann das Massacker von über 33000 Juden. In 36 Stunden wurden diese Erschossen.

 

«Vergewaltigungen und Babys die in die Schlucht geworfen wurden»

Die Augenzeugin Dina Pronitschewa*, schildert das Grauen so: «Sie (die Juden) mussten sich bäuchlings auf die Leichen der Ermordeten legen und auf die Schüsse warten, die von oben kamen. Dann kam die nächste Gruppe. 36 Stunden lang kamen Juden und starben. Vielleicht waren die Menschen im Sterben und im Tod gleich, aber jeder war anders bis zum letzten Moment, jeder hatte andere Gedanken und Vorahnungen, bis alles klar war, und dann wurde alles schwarz. Manche Menschen starben mit dem Gedanken an andere, wie die Mutter der schönen fünfzehnjährigen Sara, die bat, gemeinsam mit ihrer Tochter erschossen zu werden. Hier war selbst zum Schluss noch eine Sorge: Wenn sie sah, wie ihre Tochter erschossen wurde, würde sie nicht mehr sehen, wie sie vergewaltigt wurde. Eine nackte Mutter verbrachte ihre letzten Augenblicke damit, ihrem Säugling die Brust zu geben. Als das Baby lebendig in die Schlucht geworfen wurde, sprang sie hinterher.»

 

Unter der Führung der Einsatzgruppe C unter Brigadeführer Otto Rasch ermordeten diese 33000 Juden in 36 Stunden. Und ernteten Lob dafür. „Es ist der Einsatzgruppe gelungen, zu sämtlichen Wehrdienststellen vom ersten Tag an ein ganz ausgezeichnetes Einvernehmen herzustellen. Hierdurch wurde es auch ermöglicht, daß die Einsatzgruppe von Beginn ihres Einsatzes an sich niemals im Raum des rückwärtigen Heeresgebietes aufgehalten hat, daß vielmehr von der Wehrmacht immer wieder die Bitte ausgesprochen wurde, die Einsatzkommandos möchten sich möglichst weit vorne bewegen.*“

 

Der TV-Turm ist mehr als ein Symbol gegen den Neonazismus

Kehren wir ins Heute zurück. Nach langem hin und Her konnte die Israelische Gemeinde ein Denkmal auf dieser Stätte errichten. Ebenfalls wurde dort ein TV-Turm zu Zeiten der Sowjetunion errichtet. Dieser ist nun zerstört worden. Und wurde so zu einem Symbol des ukrainischen Widerstandes.

Es ist die Ironie der Geschichte, dass Putin öffentlich sagt, dass er einen Krieg gegen den Neonazi Selenskyi führt, welcher Jude ist und gleichzeitig ein Mahnmal aus dieser Zeit angreift und vernichtet. Allein dies zeigt auf, das der russische Präsident nicht versteht oder die Geschichte nicht kennt, welche die Ukraine bereits erleidet hat.

 

Das die Einnahme von Kiev nicht einfach wurde, mussten die Deutschen 1941 erfahren. Russland macht nun diese Erfahrung auch. Kiev und deren Bewohner werden in den kommenden Tagen und Wochen weiteren Widerstand leisten. Sollte die Hauptstadt der Ukraine fallen, ist dies keineswegs das Ende des Krieges. Die Einwohner werden in den Untergrund gehen. Und Russland weiter das Leben schwer machen. Auch aus Rache der missachteten Totenruhe von Babyn Yar.

 

 

*Zitat aus dem Wikipedia Artikel Babyn Yar

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