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Die globalen Nachrichten aus dem Energiesektor sind einfach einzuordnen, die nähere Zukunft umso weniger

DMZ – WIRTSCHAFT ¦ Dirk Specht ¦                           

KOMMENTAR

 

Die globalen Nachrichten aus dem Energiesektor sind einerseits spieltheoretisch hoch interessant und zugleich maximal „pervers“. Was Homo sapiens da mal wieder mit sich und dem Planeten treibt, ist einfach nur traurig.

 

Folgendes liefern die aktuellen Ticker und es gehört alles in einen Zusammenhang: Jo Biden kündigt an, strategische Ölreserven frei zu geben, um über das zusätzliche Angebot den Ölpreis zu drücken. Lawrow trifft sich mit der OPEC und gemeinsam verkündet man, keinen Grund zu sehen, die Liefermengen zu erhöhen. Russische Raffinerien müssen derweil die Produktion reduzieren, Gas muss dabei abgefackelt werden, nicht mal das bleibt dem Planeten erspart. Putin setzt seine doppelzüngige Kommunikation fort, indem er Scholz und Draghi gestern telefonisch zusichert, weiter Gas gegen Euro zu liefern, während er heute ein Dekret unterzeichnet, das sowohl den Zahlungsweg via Gazprom-Bank als auch die Währung Rubel festlegt.

 

Die Hintergründe sind recht klar: Die USA ist volkswirtschaftlich weder bezüglich der Versorgung, noch der Preise betroffen. Aber Biden hat Wahlen vor der Tür und die Verbraucherpreise stören ihn. Vielleicht kann er die kurfristig ein wenig deckeln, mittelfristig bringen die Ölreserven gar nichts. Die Gewinner sind also die OPEC-Staaten, die sich auf stabil hohe Preise freuen können. Russland hingegen hat kurzfristig ganz erheblich Einbußen. Da vor allem im Westen russische Energie gemieden wird, funktionieren die etablierten Lieferwege und deren Logistik nicht mehr. Daher müssen Produktionsstätten zurück gefahren werden. Der Aufbau neuer Lieferbeziehungen nach China und Indien, die zwar vollmundig verkündet werden, bei Lichte betrachtet aber bisher sehr geringe Mengen ausmachen, dauern lange.

 

Russland hat also bereits erhebliche Verluste zu tragen und die werden auch lange Zeit hoch bleiben. Dabei geht es vor allem um den vom Volumen dominierenden Ölmarkt, an dem die Sanktionen bereits sehr gut greifen. Der Gasmarkt ist dagegen klein, hier geht es nicht ums Geld, aber leider um die Macht.

An der Stelle ist es nun vorbei mit der Durchschaubarkeit. Während die genannten Effekte klar sind, kann niemand sagen, was beim Spiel mit dem Gas nun folgen wird. Die Einnahmen dürften für Putin keine große Relevanz mehr haben, dafür sind die unaufhaltsamen Verluste im Ölsektor zu groß und beim weit kleineren Gasmarkt hat er mittelfristig auch nur noch Verluste zu erwarten.

 

Er dürfte daher eher strategisch denken, wenn es um die Frage geht, wie hart er die Sache mit der Bezahlung in Rubel und dann ggf. die Einstellung von Lieferungen handhaben will. Vermutlich hängt seine Entscheidung primär davon ab, welchen politischen Nutzen er sieht, wenn er weiter liefert oder es eben nicht tut.

 

Die Regierungen in Europa reagieren mit gelassenen Aussagen auf die jüngste Scharade des Kreml. Man verweist auf Verträge und die mündlichen Zusagen. Von dieser Gelassenheit glaube ich kein Wort. Niemand weiß, was nun passieren wird. Vermutlich wird es so weiter gehen, wie bisher, nämlich ein Muskelspiel, das Unsicherheit streut und stetig weiter eskaliert. Welche große Karte Putin auch immer letztlich spielen will, er wird es wohl weiter schrittweise tun.

 

Gleichwohl muss das Szenario von Lieferausfällen bis zu einem Lieferstopp als ein mögliches vorbereitet werden. Vielleicht werden wir ganz praktisch in Erfahrung bringen, ob die optimistischen Modelle einiger Ökonomen zutreffen und letztlich die meisten Ausfälle russischer Lieferungen substituierbar sind.

Diese Modelle gehen vor allem davon aus, dass Preise für Energie und für in Lieferketten ausgefallene Produkte steigen, was dann aber zu entsprechenden Substitutionseffekten auf den Weltmärkten führt. Demnach würden durch steigende Preise und durch national ausfallende Produzenten unserer Ökonomie Schäden von ein paar Prozentpunkten entstehen, aber nicht mehr.

 

Spieltheoretisch betrachtet, geht es hier schon lange nicht mehr um Preise oder ökonomische Effekte. Es ist Krieg und der zielt auf Zerstörung ab. Niemand kann ahnen, welchen Nutzen Putin sich von einem Energieschock in Europa versprechen mag. Es sollte allen klar sein, dass er jeden Nutzen wahrnehmen wird, wenn er ihn sieht. Preise und Erlöse sind ihm offensichtlich egal. Diesbezüglich hat er nichts mehr zu verlieren. Die weitere Entwicklung hängt alleine davon ab, was er zu gewinnen glaubt. Wir sollten aufhören, mit unseren Augen durch seine Brille zu schauen. Und wir sollten uns hüten, unsere eigene Welt, die im Krieg ist, mit Modellen zu bewerten, die von Preisanreizen in redundant versorgten Märkten ausgehen.

Es ist komplizierter und es wird noch viel komplizierter werden.

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