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Energiepreise, Fehlanreize und Putins Kreditwürdigkeit – drei Nachrichten jenseits der medialen Agenda

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Während die Agenda der Medien durch offene Briefe und „Experten“-Diskussionen über Waffentechnologie dominiert wird, gibt es drei kaum beachtete Nachrichten von nicht unerheblicher Bedeutung, die ich hier als Gegengewicht zur medialen Agenda erläutere.

 

Die ersten beiden kommen vom Statistischen Bundesamt. Das beigefügte Chart zur Preisentwicklung von Öl und Gas wurde vor einigen Tagen veröffentlicht. Es zeigt, dass die Krisenreaktion beider Energieträger in der Vergangenheit sehr ähnlich war. Mit Ausbruch der Ukraine-Krise ist der Gaspreis jedoch historisch einmalig eskaliert – und zwar bereits vor dem russischen Einmarsch. Vielleicht werden Wirtschaftshistoriker mal tiefer graben und herausfinden, warum dieser Markt den Krieg vorweggenommen hat und wer davon profitierte. Aufgrund er eklatanten versorgungstechnischen Abhängigkeiten durch die russischen Pipelines und die daran direkt angeschlossene Infrastruktur, die zudem nicht unerheblich auch noch in russischem Besitz war bzw. ist, kann man diese Preisreaktion als logisch einstufen – der Zeitpunkt ist es jedoch nicht.

 

Vorgestern veröffentlichte das Amt dann noch die Einzelhandelsumsätze für März, die leicht zurück gingen. Ein Signal für eine Wachstumsdelle oder vielleicht eine Rezession, mit der ich eher rechne. Wir sollten uns der Tatsache bewusst sein, dass die Energie- und Rohstoffpreise bereits das Potenzial haben, eine Rezession auszulösen. Ein Ölembargo oder gar ein Ausfall von Gaslieferungen ist da noch nicht eingepreist. Wir sehen hier also erst den Anfang einer Entwicklung, die sich eher weiter verstärken wird. Die Stagflation kommt und das wird „ungemütlich“.

 

Interessant ist in dieser Statistik der Umsatz freier Tankstellen, der im März um 11% zurück ging. Da hier kaum Shop-Umsätze anfallen, darf das auf einen Minderverbrauch an Treibstoff zurück geführt werden. Da zugleich die freien Tankstellen aufgrund des hohen Preisniveaus wohl eher Marktanteile gewonnen haben, kann man das als Indikator für den Gesamtverbrauch bewerten. Nun sind die Preise bekanntlich um fast 50% gestiegen, so dass die abgenommene Menge deutlich stärker als diese 11% gesunken sein muss. Branchenexperten gehen davon aus, dass Deutschlands Autofahrer tatsächlich mehr als 20% Treibstoff gespart haben, sei es durch Wegfall von Fahrten oder durch sparsamere Fahrweise.

 

Das ist ein gutes Signal für das Sparpotenzial, das offensichtlich existiert. Ein Fünftel so schnell ist eine Hausnummer! Zugleich ist es schade, dass es wie im ökonomischen Lehrbuch mal wieder über Preisanreize erfolgt, denn die haben trotz des wünschenswerten Ergebnisses immer eine soziale Schieflage zur Folge. Besser wäre es, wenn unsere Öko-Ratio und nicht die Finanz-Ratio zur Ersparnis führte.

 

Zudem zeigt die Entwicklung, dass die ab Juni kommende Spritpreisentlastung mehrdimensional Quatsch ist. Fiskalisch dürfte das teurer als kalkuliert werden, denn bereits jetzt sind trotz des hohen Preises die Einnahmen der Staatskasse gesunken. Wenn die Kalkulation von Lindner also aufgehen soll, müsste ab Juni zu geringeren Preisen wieder kräftig mehr getankt werden. Warum wir parallel mit viel Mühe um ein Ölembargo kämpfen und zugleich Anreize für mehr Verbrauch setzen, ist leider auch ein schönes Beispiel aus ökonomischen Lehrbüchern, Kapitel Fehlanreize. Es wäre definitiv besser gewesen, die krisenbedingten Preissteigerungen, die über Energie hinaus gehen, durch unmittelbare Förderung finanzschwacher Haushalte abzufedern.

 

So wird das deutlich mehr als die geschätzten 16 Milliarden kosten, einen sinnlosen Gießkanneneffekt über die Gesamtgesellschaft bedeuten und überwiegend unerwünschte Effekte erzielen. Da diese 16+ Milliarden nicht vom Himmel fallen, sondern von uns selbst bezahlt werden, sollte niemand sich über die geringeren Preise freuen. Das ist eine Umverteilung zugunsten viel verbrauchender Autofahrer, die von allen getragen wird und vermutlich dazu führt, dass wir wieder mehr verbrauchen, was die Einnahmen der Ölexporteure entsprechend steigen lässt.

Wenn alles daneben geht, fördern wir durch Mehrverbrauch in Kombination mit einem Ölembargo auch noch die Preisentwicklung an den Ölmärkten. Das würde auch für Russland über deren Drittmärkte zu Mehreinnahmen führen. Diese ganze Aktion ist haarsträubend sinnlos. Wenn man schon versucht, auf Preise einzuwirken, dann müsste dies bei den Beschaffungs- und nicht bei den Verbraucherpreisen passieren. Wer im Juni 30 Cent geringere Preise sieht (wenn er die denn sieht) und glaubt, Putin bekomme nun weniger Geld, sollte sich bewusst machen, dass exakt das Gegenteil wahrscheinlich ist.

 

Damit zur dritten Nachricht, die von den Finanzmärkten kommt und vollkommen zu unrecht von den Medien kaum verbreitet wird. Die Londoner Niederlassung der Citibank meldet, dass Russland seine am 4. April fällige Zinszahlung nun im Rahmen der gesetzten Nachfrist von 30 Tagen in Dollar beglichen hat. Vorangegangen war mal wieder ein Rubel-Dekret von Putin, der wegen der gesperrten russischen Devisenreserven und der Finanzsanktionen die „Anweisung“ erteilt hatte, die Schulden Russlands in Rubel zu bedienen. Die USA hatten für diese Fälligkeit nicht nachgegeben und keine russischen Devisenreserven frei gegeben.

 

Daher lief ab 4. April automatisch die Frist, da Rubel laut Bedingungen der Anleihen nicht vorgesehen war. Nun hat Russland aus den im Inland verfügbaren Devisenbeständen, die laut russischer Zentralbank noch bei 600 Milliarden liegen, ca. 500 Millionen Dollar für diese Anleihe bezahlt.

 

Während Putin der politische Kredit inzwischen reichlich egal zu sein scheint, sieht das beim finanziellen Kredit offensichtlich anders aus. Eine Staatspleite wurde trotz Rubel-Getöses also vermieden.

Auch hier scheint die Finanz-Ratio doch noch zu funktionieren. Wir sollten es als ermutigendes Signal sehen, wenn jemand, der mit Atomwaffen eine Angstkampagne betreibt, andererseits bei seiner Kreditwürdigkeit kein Spielchen riskiert.

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