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Basiert das deutsche Wirtschaftsmodell auf günstiger Energie?

DMZ –  DIGITAL ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Das wird seit vielen Jahren von Interessenverbänden so behauptet. Günstige Preise für Energie seien ein wichtiger Standortfaktor und hohe Energiepreise würden energieintensive Produktionen ins Ausland verdrängen. Als Industrienation könne Deutschland sich das nicht leisten.

 

Folge ist eine enorme Importabhängigkeit. Da zugleich die Energiewende auf den Strom fokussierte wurde und der dadurch preislich nicht wettbewerbsfähig war, wurde die Elektrifizierung versäumt, während fossile Brennstoffe sogar Anteile gewonnen haben. Die Konsequenz ist Chart 1 zu entnehmen: Die Energieproduktion aus eigenen Ressourcen ist seit 1990 kontinuierlich gesunken. Positiv daran ist natürlich der Rückgang von Kohle als Brennstoff, aber die Gesamtbilanz zeigt trotzdem eine wachsende Abhängigkeit.

In Chart 2 sieht man, was das bedeutet: Fast zwei Drittel des Energieverbrauchs entfällt auf Öl und Gas, die wiederum fast vollständig importiert werden. Die kaum importierten Erneuerbaren Energien liefern lediglich gut 16% unseres Energiebedarfs. Die höheren Quoten von phasenweise über 50% gelten nur für den Stromsektor.

 

Im Unterschied zu Deutschland und Europa sehen wir mit den USA eine Ökonomie, die weit weniger auf Energieimporte angewiesen ist. Auch hier sind die Preise gestiegen, aber das ist dort ökonomisch zunächst ein Nullsummenspiel, eine Umverteilung von Energieverbrauchern zu Erzeugern. Aus der deutschen und den meisten europäischen Ökonomien fließen hingegen Jahr für Jahr viele Milliarden für Energieimporte ab.

 

Es wäre nun an der Zeit, sowohl wegen der ökologischen als auch der politisch/ökonomischen Herausforderungen zu prüfen, ob die These der billigen Energiepreise als ökonomischer Treiber noch stimmt und wenn ja, ob vielleicht ein Modellwechsel angezeigt wäre. Zumal das mit den „billigen“ Preisen möglicherweise endgültig Vergangenheit ist.

 

Nimmt man nun beispielsweise den Bayer-Konzern, so darf man aufhorchen: Auf der jüngsten Bilanzpressekonferenz berichtete das Unternehmen von 2% Kostenanteil für Energie in der Konzernbilanz. Das ist für einen Chemie- und Pharmakonzern überraschend. Natürlich ist das die globale Rechnung, natürlich sieht die für bestimmte Produktionen anders aus.

 

Aber ist das nicht ein Hinweis, zu hinterfragen, ob es Sinn macht, unsere Ökonomie durch Energieimporte zu belasten, um – vielleicht nur einzelne – energieintensive Produktionen im Land zu halten? Exportieren wir im Gegenzug hier hergestellte energieintensive Produkte, die es sonst nicht geben würde? Wäre es vielleicht klüger, insbesondere Produkte mit geringer Wertschöpfung und hohem Energieanteil auf den Weltmärkten einzukaufen, statt unseren gesamten Energiemix darauf abzustellen, dass die hier günstig produzierbar sind? Sofern es sich um wichtige Produkte handelt, bei denen wir keine neuen Importabhängigkeiten wünschen, wäre es dann nicht besser, diese Produktionen gezielt zu subventionieren?

 

Wir sehen aktuell eine ganze Reihe von Szenarien für die Substitution von Öl und Gas, die vielleicht gar nicht so klug sind, wie es klingt. So werden weltweit Wind- und Solarparks geplant, an denen Wasserstoff oder E-Fuels gewonnen werden soll, um diese Kraftstoffe dann bei uns in existierenden Verbraucherstrukturen zu verwenden. So sollen Verbrenner länger laufen und Industrieproduktionen mit hoher Prozesswärme weiter geführt werden. Erneut steht die Elektrifizierung dadurch weiter hinten.

 

Es ist aber an der Zeit, eine Gesamtstrategie zu entwickeln, wie die Energieversorgung in Deutschland zukünftig aussehen soll. Ein Parameter, der bisher nicht ausreichend gewürdigt wird, ist die Frage der Importabhängigkeit. Wenn die reduziert werden soll, was gesamtökonomisch möglicherweise ein großer Gewinn ist, muss auch offen diskutiert werden, welchen Verbrauch wir zukünftig zulassen wollen. Es dürfte zwar für betroffene Betriebe schmerzhaft sein, wenn höhere Energiekosten die Wettbewerbsfähigkeit schmälern, aber für unsere gesamte Volkswirtschaft könnte es ein Gewinn sein.

 

Für eine erfolgreiche Energiewende ist nicht nur die Produktion zu diskutieren, sondern auch der Verbrauch. Nicht alles, was in Zeiten billiger fossiler Brennstoffe möglich war, macht zukünftig gesamtstrategisch Sinn. Sowohl politisch als auch ökonomisch gehört ferner die Importquote auf die Agenda. Importe sind nicht automatisch besser, nur weil sie günstiger sind. Der Faktor der Abhängigkeit spielt seit der durch Corona zerrütteten Lieferketten sowie der geopolitischen Eskalation, deren Umfang wir noch gar nicht kennen, eine Rolle. Insbesondere bei systemrelevanten Ressourcen ist das zu beachten. Energie gehört dabei auf der Liste ganz nach oben.

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