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AT: Auswege aus der Armutsfalle

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦                                  

 

Die zum Teil enormen Preissteigerungen werden zunehmend zu einer Belastung für die in Österreich lebenden Menschen, gerade für einkommensschwache Haushalte können sie existenzbedrohend werden. Schon die Covid-19-Pandemie führte zu einem Anstieg der Kundinnen und Kunden von Sozialmärkten um 25 Prozent, der Ukrainekrieg und die Inflation verschärfen die Lage noch zusätzlich. Die Politik ist nun gefordert, Maßnahmen zur Entlastung zu setzen.

 

Was die Politik zu tun hat, damit aus dieser Teuerungswelle keine Armutswelle wird, darüber diskutierten gestern in der von Gerald Groß moderierten Internet-TV-Sendung des Parlaments Politik am Ring Vertreter:innen der fünf Parlamentsfraktionen mit Oliver Picek vom Momentum Institut, Christine Mayrhuber vom Wifo sowie Martin Schenk von der Armutskonferenz.

 

Pro und Contra Sozialhilfegesetz Neu

Die Regierungsparteien brachten im April eine Novelle des unter der schwarz-blauen Regierung beschlossenen Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes im Parlament ein. ÖVP-Abgeordneter Peter Weidinger, Bereichssprecher für Konsumentenschutz, führte aus, die ÖVP folge dem Grundsatz, dass in Not geratene Menschen zu unterstützen seien, daher werde nun auch mit dieser Novelle der Kreis der Bezieher:innen erweitert. Der ursprünglichen Idee des damals gemeinsam mit der FPÖ beschlossenen Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes, Einwanderung aus anderen Ländern in das Sozialsystem zu verhindern, bleibe man weiterhin treu. Grünen-Bereichssprecher für Arbeit und Soziales Markus Koza betonte, seine Partei habe dieses Gesetz immer kritisiert, es sei aber nun mit dieser Novelle ein wichtiger Schritt gesetzt worden, dem Gesetz würden damit "einige Giftzähne gezogen". Es müssten aber weitere Schritte folgen, um die nach wie vor bestehenden großen Mängel zu beseitigen, so Koza. Die Novelle bringe Verbesserungen für Tausende Menschen wie für Bezieher:innen von Ausgleichszulagen, Mindestpensionist:innen, in Gewaltschutzeinrichtungen lebende Frauen oder pflegende Angehörige. Auch seien nun Härtefallregeln im Gesetz verankert, da man gesehen habe, dass in der Coronakrise etliche Menschen aus der sozialen Hilfe herausfielen.

 

Seitens der Opposition wurde die Gesetzesnovelle stark kritisiert, was mitunter zu heftigen Debatten führte. FPÖ-Sprecherin für Arbeit und Soziales Dagmar Belakowitsch unterstrich, dass trotz anderer Darstellung viel vom damaligen Gesetz übrig bleibe. Ihrer Partei sei es damals in erster Linie darum gegangen, die Zuwanderung ins Sozialsystem hintanzuhalten, davon habe sich die ÖVP mit dem neuen Koalitionspartner allerdings nun verabschiedet. Der Novelle des Gesetzes habe man im Ausschuss zugestimmt, so NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker, Bereichssprecher für Arbeit und Soziales, weil man die Anrechnung des 13. und 14. Gehalts bei Erwerbstätigen für sinnvoll halte. Wichtig sei, Notstandshilfe und Mindestsicherung in ein gemeinsames System der sozialen Absicherung zusammenzuführen, was auch der Rechnungshof empfohlen habe, denn das derzeitige System sei "den Menschen gegenüber schikanös". In diese Richtung würden jedoch überhaupt keine Schritte gesetzt.

 

Deutliche Worte fand SPÖ-Abgeordneter Alois Stöger, Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Die Einführung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes sei die "größte Gemeinheit gegenüber Menschen mit wenig Einkommen" gewesen, man habe, so der Abgeordnete in Fortführung der Zahnmetapher, den Menschen damit das "Kiefer gebrochen". Man habe seitens der SPÖ der Novelle nicht zugestimmt, weil insbesondere die Definition von Höchstgrenzen ein völlig falscher Ansatz sei. Was es stattdessen brauche, sei eine bedarfsorientierte Mindestsicherung, so wie sie 2011 von der SPÖ mit der ÖVP eingeführt worden sei.

 

Experte Martin Schenk von der Armutskonferenz sowie stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich kritisierte die Novelle ebenfalls. Drei große Problembereiche seien ungelöst: Erstens werde die Wohnbeihilfe auf die Sozialhilfe angerechnet, wodurch die Wohnungssicherung nicht gegeben sei. Zweitens seien Menschen mit Behinderung weiterhin ein großes Tabu; man rede nicht darüber, obwohl man wisse, dass viele von ihnen Sozialhilfe beziehen. Drittens werde im neuen Gesetz der Zuverdienst von den sozialen Leistungen "beinhart" abgezogen, was bei der damaligen Mindestsicherung nicht so gewesen wäre.

 

Maßnahmen zur Bewältigung der Teuerung

Ökonomin Christine Mayrhuber vom Wifo merkte an, Maßnahmen seien dringend notwendig, da das untere Drittel der Haushalte die laufenden Konsumausgaben nicht mit dem Einkommen abdecken könne und daher auf Ersparnisse zurückgreifen oder sich verschulden müsse. Besonders dramatisch sei die Situation in den lebenswichtigsten Bereichen Wohnen und Ernährung, die von den Preissteigerungen enorm betroffen seien.

 

Oliver Picek, Ökonom des Momentum Instituts, führte aus, dass die Reallöhne dieses Jahr um 2,5 Prozentpunkte sinken würden, was der "höchste Verlust an Kaufkraft für die breite Masse in Österreich seit Jahrzehnten" sei. Gerade die Kaufkraft der unteren Schichten müssten zum Beispiel mit der Erhöhung von Mindestlöhnen gesichert werden. Auch sollten die Belastungen innerhalb der Gesellschaft besser verteilt werden, da zum Beispiel Energiekonzerne derzeit sogar Rekordgewinne schrieben. Was ihm fehle, so Picek, sei das "Management dieser Teuerung". Zentral für die Armutsbekämpfung sei die Valorisierung der Sozialleistungen sowie das Abbremsen der Teuerung, unter anderem mit Höchstpreisen und einem Deckel für den Gas- und Strompreis. Der Experte erklärte weiters, dass die Abschaffung der kalten Progression – die NEOS-Abgeordneter Loacker als notwendige Maßnahme anführte – nur Menschen mit mittlerem und hohem Einkommen zugutekomme, nicht den hauptsächlich von der Teuerung Betroffenen.

 

Auf die Frage nach den wichtigsten Maßnahmen zur Armutsbekämpfung führte NEOS-Abgeordneter Loacker die Auflösung der "Nichtarbeitsfalle und Teilzeitfalle, damit die Menschen die Möglichkeit haben, aus eigener Kraft zu Wohlstand zu kommen", an. SPÖ-Abgeordneter Stöger hingegen wiederholte die Notwendigkeit einer bedarfsorientierten Mindestsicherung und der Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Laut FPÖ-Abgeordneter Belakowitsch brauche es ein ganzes Bündel an Maßnahmen, wie das Vorziehen der Pensionserhöhung, eine Lohnsteuersenkung oder eine Stabilisierung der Preise vor allem im Lebensmittelbereich. Man dürfe auch nicht den Mittelstand vergessen, da sich in diesem die Armut ebenso ausbreite. Man müsse das "Sozialsystem möglichst armutsfest machen", betonte Grünen-Abgeordneter Koza, und mittel- und langfristige Strategien wie den Energiewandel, der zu einem Beschäftigungswunder führen werde, verfolgen. Die sozial-ökologische Transformation des Wirtschaftssystems sei das beste Mittel gegen die Teuerung und die Abhängigkeit von autoritären Regimen. ÖVP-Abgeordneter Weidinger verwies auf die Notwendigkeit, auch die Wirtschaft stark zu entlasten sowie Bürokratie abzubauen und den Zugang zum Arbeitsmarkt zu vereinfachen, um der Armut entgegenzutreten zu können.

 

Notwendigkeit von strukturellen Reformen zur Armutsbekämpfung

Laut Expertin Mayrhuber gebe es aus ökonomischer Sicht strukturelle Probleme, die zwecks Armutsbekämpfung zu lösen seien und mit denen sich die Politik zu wenig auseinandersetze. In der Pandemie haben sich prekäre Beschäftigungs- und Einkommensverhältnisse verstärkt. Es zeige sich deutlich, dass die Einkommen offensichtlich nicht mehr zur Lebenshaltung ausreichend seien. Auch sei die Sozialhilfe von der Höhe her zu gering. Man müsse sich daher die Zeit nehmen, mittel- und langfristig Politik zu machen, um diese strukturellen Probleme zu beseitigen.

 

Auch Ökonom Picek stimmte dem zu, dass die Sozialleistungen nicht ausreichend seien, das habe man in der Pandemie gesehen. Beispielsweise sei jede:r zweite Langzeitarbeitslose armutsgefährdet. Die Sozialleistungen seien in den letzten 20 Jahren nicht angepasst worden und werden durch die Teuerung immer weniger wert. Man müsse, so Picek, weg von den Einmalzahlungen und hin zur Anhebung der Leistungen zumindest bis an die Armutsschwelle. Der Sozialstaat sei "toll", aber es gebe "immer noch Löcher und Lücken, die es laufend zu füllen" gelte, da von 100 Menschen in Österreich 15 armuts- und ausgrenzungsgefährdet seien.

 

Die Abgeordneten stimmten dem Experten Picek bezüglich der gegebenen strukturellen Probleme zu. FPÖ-Abgeordnete Belakowitsch betonte, diese müsse man angehen, jedoch brauche es rasch Hilfestellungen, man könne die Bürger:innen nicht auf später vertrösten. Gerade im Lebensmittelbereich sei nichts geschehen, da fehle ihr "eigentlich ein bisschen die Fantasie dieser Regierung". Man müsse diese Probleme auch strukturell angehen, so SPÖ-Abgeordneter Stöger, da habe Mayrhuber recht. Die Leistungen müsse man auf ein vernünftiges Maß erhöhen, damit man, wenn man sie beziehe, nicht mehr arm sei. Grünen-Abgeordneter Koza führte aus, dass es das Problem der Armutsgefährdung seit Jahrzehnten gebe, man habe "bedauerlicherweise nie armutsfeste Sozialleistungen gehabt", das gehöre angegangen, wie eben die Valorisierung von Sozialleistungen.

 

Welche Leistung soll sich lohnen?

Wichtig sei, so ÖVP-Abgeordneter Weidinger, "dass das Prinzip: Leistung muss sich auszahlen, auch umgesetzt wird". Wer arbeite und mehr leiste, solle auch mehr bekommen, deshalb wolle man arbeitende Menschen entlasten. Es brauche eine aktivere Arbeitsmarktpolitik, auch das degressive Arbeitslosengeldmodell sei von besonderer Bedeutung. Expertin Mayrhuber entgegnete, dass es auch andere Formen von Arbeit gebe als Erwerbsarbeit. In der durch die Pandemie ausgelösten Krise habe sich ein Teil der Arbeit in die Haushalte verlagert, in denen gerade Frauen sehr viel leisten. Man müsse sich diese nicht bewertete, nicht bezahlte Arbeit ansehen, denn diese sei ebenfalls eine bedeutende Leistung. In diesem Bereich wirken gezielt höhere Sozialleistungen wie die Indexierung der Familienbeihilfe – besonders kinderreiche Familien seien stark armutsgefährdet.

 

Experte Schenk von der Armutskonferenz hob hervor, dass es die "soziale Hängematte" so nicht gebe. Studien zeigten, dass sich die missbräuchliche Verwendung von sozialen Leistungen im Promillebereich bewegten. Man müsse sich die andere Seite ansehen, denn da gebe es wirklich Probleme: 30 Prozent jener Menschen, die soziale Leistungen benötigten, beanspruchen sie aus Scham nicht – dagegen müsse man etwas unternehmen.

 

Reduktion der Armutsfalle und der (Langzeit-)Arbeitslosigkeit

NEOS-Abgeordneter Loacker merkte an, die "beste Prophylaxe gegen Armut ist Arbeit". Dennoch müsse man die Relationen zurechtrücken, denn in den zehn Jahren der Krise habe sich die Armut halbiert und es gebe so viele offene Stellen wie schon lange nicht mehr. Man müsse Arbeitslose "wieder ein bisschen aktivieren", wie die Chefin des AMS Wien in einem Interview gesagt habe. Expertin Mayrhuber führte an, dass empirische Studien zeigten, wie wichtig die Vermittlungsbemühungen des AMS seien, eine bessere Betreuung der arbeitslosen Menschen führe zu einem schnelleren Jobeinstieg.

 

Es benötige, so Ökonom Picek, eine Jobgarantie für jene Menschen, die länger arbeitslos sind, da diese enorme Probleme am Arbeitsmarkt hätten. Das koste zwar mehr Geld, sei aber eine effektive Maßnahme gegen Langzeitarbeitslosigkeit und damit gegen Armut. Auch Grünen-Abgeordneter Koza betonte die Wichtigkeit von Beschäftigungsgarantien im Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit. So falsch könne die Arbeitsmarktpolitik während der Pandemie aber nicht gewesen sein, da man derzeit die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 14 Jahren verzeichne. Mayrhuber führte aus, man müsse auch die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen, damit diese langzeitarbeitslose oder weniger leistungsfähige Menschen aufnehmen. SPÖ-Abgeordneter Stöger betonte, die Erhöhung des Arbeitslosengeldes sei zentral, zudem müsse man den Menschen Hilfen am Arbeitsmarkt anbieten.

 

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 

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