AT: Pflege: Nationalrat diskutiert Erfolgschancen des Reformplans

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦                                  

 

Die von der Bundesregierung anvisierte Pflegereform war heute erstmals Thema im Nationalrat. Bei einer Aktuellen Stunde mit Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch streuten die Koalitionsparteien ÖVP und Grüne dem Plan der Regierung Rosen: Das Reformpaket biete mit insgesamt 20 Maßnahmen und einem Volumen von 1 Mrd. € nachhaltige Verbesserungen für Pflegeberuf und -ausbildung sowie für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige. Dementsprechend lautete der Debattentitel: "Die Zukunft der Pflege jetzt sichern!". Von den Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS hagelte es dagegen Kritik. Vor allem angesichts noch nicht ausverhandelter Details, etwa bei der Finanzierung, vermisst die Opposition eine echte Reform des Pflegebereichs im Regierungsplan. Vielfach wurde zudem eine zeitliche Befristung der angepeilten Verbesserungen befürchtet. Ungeachtet der inhaltlichen Differenzen drückten die Abgeordneten aller Fraktionen ihre Wertschätzung für die Arbeit von Pflegenden aus.

 

Rauch: Pflegemilliarde muss jetzt eingesetzt werden

Als "Gebot der Stunde" bezeichnete es Bundesminister Rauch, die Reform der Pflege jetzt anzugehen. Pflegekräfte müssten in ihrer Arbeit gehalten werden, verwies er auf den wachsenden Bedarf in diesem Bereich. "Wir brauchen jede einzelne Person". Mit 1 Mrd. € würden in den nächsten zwei Jahren daher deutliche Verbesserungen bei Gehältern und Arbeitsbedingungen umgesetzt.

 

Gemäß Regierungsplan soll jede Pflegekraft in den kommenden zwei Jahren einen monatlichen Gehaltsbonus erhalten. Für Auszubildende werden zumindest 600 € pro Monat bzw. pro Praktikumsmonat angepeilt. Umsteiger:innen und Wiedereinsteiger:innen sollten unter gewissen Bedingungen 1.400 € monatlich erhalten, pflegende Angehörige 1.500 € ab dem Jahr 2023, wenn sie eine:n schwer Pflegebedürftige:n unterstützen und selbst- oder weiterversichert sind. Auch der Rechtsanspruch auf Pflegekarenz würde nach dem Fahrplan der Regierung bei Betriebsvereinbarung oder im Kollektivvertrag auf drei Monate erweitert. Erleichterungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte für ausländische Pflegekräfte sollten dabei helfen, den zusätzlichen Fachkräftebedarf von 100.000 Personen bis 2030 zu decken.

 

Hinsichtlich Ausbildung schaffe man mit dem Pflegestipendium und Umschulungserleichterungen die Grundlage zur Attraktivierung des Berufs, betonte Bundesminister Rauch. Auch vom Pilotprojekt der Pflegelehre erhofft er, mehr junge Menschen für den nach seinen Worten erfüllenden Beruf der Pflege zu begeistern. Angesichts des wachsenden Anteils von Demenzerkrankungen und psychischen Erkrankungen unter den pflegebedürftigen Personen sehe der Regierungsplan zudem einen 20%-igen "Demenzzuschlag" für Pflegende vor, ging er näher auf die erhöhten Herausforderungen des Pflegeberufs ein.

 

Vieles in der Pflege liege allerdings in der Zuständigkeit von Ländern, Städten und Gemeinden, umriss Minister Rauch noch auszuverhandelnde Details wie Personalschlüssel. Dennoch sei der mit einer Milliarde Euro ausgestattende Reformplan für die nächsten zwei Jahre ein "schlagender Beweis" für das Funktionieren der Regierung. "Enorm viel positive Rückmeldungen aus der Pflege" habe er zudem erhalten, berichtete Rauch über die Vorstellung des Reformplans in Fachkreisen. Pflegende hätten das Vorhaben als "überaus wichtiges Signal der Wertschätzung unseres Berufsstandes" bezeichnet, da es die Voraussetzungen schaffe, die Bedeutung des Berufs zu verdeutlichen.

 

Grüne: Wir setzen die Pflegereform um

Grünen-Klubobfrau Siegrid Maurer unterstrich, schon seit Jahren gebe es in Österreich einen Pflegenotstand. Gesundheits- und Sozialminister Rauch wolle nun nachhaltige Maßnahmen gegen die vielfach unzumutbaren Zustände in der Pflege setzen, die über zwei Jahre hinaus auch für kommende Generationen wirken würden. "Die Bezeichnung Meilenstein ist hier angebracht". Ribo Bedrana (Grüne) ergänzte, "wir setzen um", anders als alle Vorgängerregierungen. Die 520 Mio. € zusätzlich für Gehaltserhöhungen der Pflegekräfte müsse die Regierung aufgrund der Zuständigkeitsverteilung in Österreich gemeinsam mit Sozialpartnern und Ländern sicherstellen, räumte Maurer ein. Sie appellierte deswegen an die Bundesländer beziehungsweise an involvierte Vertreter:innen der Oppositionsparteien, konstruktiv am Erfolg der Pflegereform mitzuarbeiten. Einen großen Durchbruch in der Reform sieht Maurer nicht zuletzt in der Gleichstellungspolitik, da zu 80% Frauen in diesem Bereich arbeiteten und auch in den meisten Fällen zu Hause die Pflege von Angehörigen übernehmen.

 

ÖVP: Pflege zentral für Gesellschaft

Die gesamtgesellschaftliche Komponente bei der Pflege hob ÖVP-Klubobmann August Wöginger hervor: "Pflege geht uns alle an". Pflegekräfte und pflegende Angehörige leisteten einen unglaublich wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. Gerade in der Pandemie sei die Pflege extrem gefordert gewesen, eine halbe Milliarde Euro zur Aufstockung der Gehälter sei daher mehr als notwendig. Außerdem bringe der Reformplan der Regierung eine zusätzliche Urlaubswoche für Pflegekräfte ab dem 43. Lebensjahr und zwei Stunden Nachtschwerarbeit wolle man künftig anrechnen.

 

"Diese Reform liefert!", fasste Ernst Gödl (ÖVP) zusammen, nachdem Wöginger auf offene Punkte wie die Neugestaltung der EU-konformen Arbeitszeitregelungen bei der 24-Stunden-Pflege eingegangen war, die mit den Sozialpartnern ausgearbeitet werde. Zur Implementierung der Pflegelehre sagte Wöginger, diese werde mit einem "altersspezifischem Curriculum" ausgestattet.

 

SPÖ: Pflege ist Schwerstarbeit

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch beschied dem Reformprojekt bereits jetzt ein Versagen. Die Regierung habe bislang in der Pflege nur Ankündigungen getätigt, aber nichts umgesetzt, skizzierte er anhand einer Chronologie an Plänen zur Pflegereform der letzten fünf Jahre. Finanzierungsfragen würden an die Länder übertragen, die 24-Stunden-Pflegereform sei unausgegoren. Die Vorstellungen der SPÖ zu einer zielführenden Reform seien dagegen klar: "Pflege und Betreuung ist Schwerstarbeit", eine entsprechende Verordnung des Gesundheitsministers sei auf den Weg zu bringen, so Muchitsch. Die SPÖ habe entsprechende Forderungen an die Regierung gerichtet. Ansonsten würden noch mehr Pflegekräfte kündigen, da sie angesichts der Teuerung bei der derzeitigen Entlohnung sich das Leben nicht mehr leisten könnten.

 

Die von der Regierung geplante Gehaltserhöhung für pflegende Angehörige bezeichnete Muchitsch als "Almosen" und rechnete vor, tatsächlich ergäben sich daraus lediglich 150 € pro Monat oder 4,11€ pro Tag mehr. Sein Fraktionskollege Christian Drobits kritisierte in diesem Zusammenhang, ein Ausbildungsbonus von 600 € für Einsteiger:innen in die Pflege reiche niemals zum Überleben aus.

 

FPÖ: Regierung macht nur Schlagzeilen

Dagmar Belakowitsch, Sozialsprecherin der Freiheitlichen, meinte, die Pflege sei ein wichtiges Zukunftsthema, das von der Regierung nur in Überschriften behandelt werde, ohne Details geklärt zu haben. Die Finanzierung sei völlig ungewiss, erinnerte sie an den letzten Budgetausschuss des Nationalrats, in dem die Einpreisung im kommenden Bundesvoranschlag nicht behandelt worden sei. "Was passiert 2024?", befürchtete Belakowitsch, das Reformprojekt werde in zwei Jahren enden. Die Anerkennung für pflegende Angehörige hielt sie für viel zu gering bemessen und FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak stellte die drastische Unterbesetzung der stationären Pflege deutlich dar, ohne konkrete Verbesserungen von Regierungsseite auszumachen. "Von dieser Pflegemilliarde ist nichts da", so Kaniak.

Er erwartet von der Regierung ebenso wie Belakowitsch eine nachhaltige Finanzierung der Pflege über die nächsten zwei Jahre hinaus, als Basis für essentielle Maßnahmen wie eine echte Ausbildungsoffensive und eine tatsächlich bessere Entlohnung. Lob von freiheitlicher Seite erhielt immerhin der Punkt im Regierungsplan, dass Menschen mit Behinderung durch die Streichung der Familienbeihilfe bei der Anrechnung des Pflegegelds finanziell besser gestellt werden sollen.

 

NEOS: Reform wird weiter verschoben

Als Gesundheitssprecherin der NEOS sagte Fiona Fiedler, ihre Fraktion freue sich zwar, dass die Reform nun am Papier präsentiert werde. Die Umsetzung liege jedoch weiterhin im Dunkeln. Offenbar erwarte die Regierung, so Fiedlers Vermutung, dass erst nach ihrer Legislaturperiode die Schritte für langfristige Verbesserungen gesetzt werden. NEOS-Abgeordnete Julia Seidl listete die aus ihrer Sicht noch "offenen Punkte" im Reformplan auf, angefangen bei den jugendlichen Pflegelehrlingen, für deren Ausbildung an Krankenhäusern schlicht das Personal fehle. Der Beruf der niedergelassenen und mobilen Pflege bleibe unattraktiv, hielt Fiedler dem Gesundheitsminister darüber hinaus vor. Attraktivere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter seien auch in der Unterstützung von Menschen mit Behinderung unabdingbar, erinnerte sie an den NEOS-Vorschlag einer bundeseinheitlichen Lösung zur persönlichen Assistenz, die im vorliegenden Reformpapier fehle.

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 

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