RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Was wirklich mit Van Goghs Ohr geschah

Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)
Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦                         

 

Mit einem silbernen Wattestäbchen in der Hand möchte ich Euch recht herzlich zu meiner neuen Kolumne willkommen heissen. Heute geht es um die Geschichte, die ich anlässlich der Maiausgabe des Literaturfestivals www.dierahmenhandlung.com geschrieben habe. Ihr wisst schon, das Festival, das bei mir Zuhause stattfindet. Ich erlaube mir, sie in den nächsten Wochen als Kolumnenserie zu veröffentlichen.

 

Was wirklich mit Van Goghs Ohr geschah

Als Van Gogh sich kurz vor Weihnachten 1888 das Rechte Ohr mit einer Rasierklinge abschnitt, um es seiner Lieblingsprostituierten Rachelle als Geschenk ins Bordell zu tragen, stand seine kleine Welt still. Denn er hatte sich in großer Trauer getrennt. Getrennt von seinem Ohr, das ihm ein gutes und treues war, sein ganzes Leben lang, und das so sehr an ihm hing.

 

Dieses Ohr, das ihn seit seiner Geburt begleitet und so manche Geschichte gehört, so manche Lektion erlernt und so manches Liebesgeflüster vernommen hatte, war nun ganz alleine auf sich gestellt.

In Zeitungspapier gewickelt, hatte es Rachelle zunächst zaghaft und dann doch voller Neugierde entgegengenommen. Denn vor ihr stand ein unrasierter, schlecht riechender Van Gogh, dessen Kopf von einem riesigen Verband umhüllt war. Nur schwer erkannte sie darin ihren Freier wieder, der allwöchentlich für ein ausgedehntes Stündchen 3 Franc auf ihr Nachttischchen legte.

 

In Arles, am Ufer der Rhone, im Süden Frankreichs, in dem wir uns zu Beginn unserer Geschichte befinden, wurde zum Ende des 19ten Jahrhunderts so mancherlei in Zeitung verpackt. Nicht gerade Fish’n’Chips, das zu dieser Zeit eine kulinarische Revolution in England auslöste, aber doch mannigfaltiges Gemüse vom Markt, Blumen, Spielzeug und auch das eine oder andere Buch. So war es also viel eher die zerrüttete Gestalt Vincents, der einen Hauch von Argwohn in ihr wachrief, als die belesene Verpackung, mit der sich das frischgepflückte Ohr umgab.

 

Auf dem roten Diwan hatte Rachelle seitwärts Platz genommen, die Beine weit von sich gestreckt. So, dass ihre lüsternen Schenkel mitsamt der strammen Waden im flauschigen Plüsch ein Bad zu nehmen schienen. Um sie herum standen Mimi la Cocotte, Paulette la Saloppe und Céline Hophop. Alle drei über den Rücken des Diwans gebeugt und voller Spannung auf das kleine Paket blickend, das sich in ihrem Schoss befand.

Sachte, ganz sachte wurde dieses nun geöffnet, die Todesanzeigen zur Seite geschoben und auch das Inserat für Parfum von Guerlain.

 

Der Anblick, des in einer getrockneten, roten Lache liegenden Ohres verschlug ihnen den Atem. Und noch viel mehr, als sich dieses erhob, sich vor ihnen verneigte und die vermeintliche Lache sich als purpurner Mantel entpuppte.

 

Schon wollte Paulette la Saloppe einen Schrei ausstossen als sich ihr das Ohr beschwichtigend zuwandte, sie freundlich anlächelte und meinte:

Herzlich willkommen zur fünften Ausgabe unseres Literaturfestivals «Die Rahmenhandlung». Herzlich willkommen bei mir Zuhause. Mein Name ist Alon Renner und ich bin zusammen mit Anita Negele Euer Gastgeber. Ihr befindet Euch gerade im Wohnzimmer des Hauses, in der praktisch alle meine Texte entstehen.

 

Lehnt Euch zurück und geniesst den Abend, denn heute haben wir ein ganz wunderbares Programm für Euch zusammengestellt. Es treten auf: Alfred Bodenheimer in der Bibliothek des Hauses, Christoph Simon in meinem Schlafzimmer, Sunil Mann im Keller, Wanda Wylowa die sich mit mir in der Wohnstube abwechselt und zum Abschluss Andryy, der ab 22:00 Uhr ein Konzert in der Bibliothek gibt.

Worauf ich Euch ebenfalls aufmerksam machen möchte, ist die ganz fabelhafte Ausstellung mit der Walliser Kunstmalerin Helga Zumstein. In praktisch sämtlichen Räumen finden sich die tollen Bilder wieder. Und das Beste ist: man kann sie kaufen, man kann sie erstehen. Überall liegen Preislisten auf. Hier im Raum seht Ihr die beiden Werke: «Silberfäden», ein stilles, ruhiges, in sich versunkenes dunkles Porträt und das Gruppenbild mit fünf Nonnen namens «In the Cloud».

Hat sie Euch bis anhin gefallen, meine kleine Geschichte? Fein. Nächste Woche geht es weiter. Versprochen.

 

Ganz liebe Grüsse

Euer Alon

 

 

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