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Hat die EZB eine Politik für Südeuropa betrieben und damit die Inflation ausgelöst?

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Die Debatte zu dieser Frage kippt in Deutschland zunehmend in die Einseitigkeit. Spätestens mit der aufkommenden Inflation geht die Mehrheit der Stimmen in diese Richtung. Vermutlich deshalb, weil Inflation für die Deutschen eine besondere Dimension hat und die Bundesbank in so großartiger Erinnerung ist. Im deutschen geldpolitischen Grundverständnis bewegt sich zwischen Hyperinflation und harter Stabilitätspolitik wenig.

 

Das ZEW hat eine Studie beauftragt (https://www.zew.de/…/ZEWKurz…/EN/ZEW_Shortreport2205.pdf), in der die aktuelle EZB-Bilanz aufbereitet wird. Erstaunlicherweise wird auch diese Studie, sogar seitens des ZEW selbst, im Sinne einer Bejahung der Eingangsfrage diskutiert: Bevorzugung der Südländer, ausufernde Bilanz, inflationstreibend. Diese Interpretationen sind wenig differenzierend und den aktuellen, immer komplexer werdenden Herausforderungen nicht angemessen.

 

Die Studie zeigt zunächst, dass in der Tat die gigantische Summe von knapp 4,5 Billionen Euro alleine durch die Aufkaufprogramme „PSPP“ (Public Sector Purchase Programme) und „PEPP“ (Pandemic Emergency Purchase Programme) an neuem Notenbankgeld geschaffen wurde. „PSPP“ wurde zur Stabilisierung des Euro-Sektors als Reaktion auf die Finanz/Eurokrise aufgelegt, „PEPP“ kam wegen der Corona-Krise hinzu (Chart1). Diese Programme beinhalten den Aufkauf von überwiegend Staatsanleihen und in geringerem Umfang weiterer Papiere der Euro-Länder durch die EZB selbst.

 

 

Was zu wenig gewürdigt wird, ist die Tatsache, dass diese Mittel keineswegs willkürlich, sondern gemäß der Anteile/Größen der Euro-Staaten proportional verteilt wurden und werden. Das ist aus Gründen der Liquidität der Kapitalmärkte nicht vollständig möglich. Die EZB geht im Unterschied zur FED in den USA nämlich einen Umweg: Da die direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbank der EZB verboten ist, kauft sie die Anleihen an den Kapitalmärkten, also nicht direkt bei den Staaten selbst.

Das daraus resultierende Problem: Von manchen Staaten gibt es an den Kapitalmärkten gar keine ausreichenden Bestände, um den Verteilungsschlüssel korrekt einzuhalten. Die Abweichungen sind jedoch nicht erheblich, sondern im einstelligen Prozentbereich, wie Chart 2 zeigt. Insgesamt sind die Kaufprogramme also den Euro-Staaten weitgehend proportional zugeflossen und die geringen Abweichungen begünstigen zwar am stärksten in der Tat Italien, aber auf dem zweiten Rang folgt bereits Deutschland. Gerade hierzulande kein Grund von Bevorzugung zu sprechen.

 

 

Diese proportionale Verteilung hat hingegen ganz andere Folgen, denn die EZB kauft eben nicht nach dem Kreditbedarf der Länder, sondern nach Größe. Das führt bei Ländern mit geringerer Neuverschuldung dazu, dass die Quoten der Staatsschulden, die heute in der Bilanz der EZB stehen, besonders hoch sind. Hier führen (Chart 3) die sogenannten soliden „Nordländer“ mit Anteilen von um die 40%, während der Mittelwert bei ca. 30% liegt. Mit anderen Worten: Knapp ein Drittel der europäischen Staatsschulden liegen bei der EZB, deren Eigentümer die Europäer selbst sind. Wir schulden uns also ein Drittel selbst. In Ländern wie den Niederlanden oder Deutschland ist es noch mehr, hier sind es um die 40%.

 

 

Zugleich ist festzustellen, dass die Anleihen der „Nordländer“ fast durchgehend mit negativen Renditen gehandelt wurden. Die EZB hat also Deutschland & Co über Jahre dafür bezahlt, ihre Staatsschulden zu mehr als einem Drittel übernehmen zu dürfen. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit diesen Maßnahmen die Zinslasten aller Länder erheblich gedrückt wurden. Auch die positiven Zinsen der „Südländer“ waren deutlich geringer als bei einer Staatsfinanzierung über die Kapitalmärkte. In Simulationsrechnungen eigentlich realistischer Zinssätze streiten Ökonomen seit Jahren, welche Länder hier in welcher Höhe profitierten, aber letztlich darf man sachlich feststellen: Das war eine gigantische Subvention aller europäischen Staatshaushalte und es ist schwierig, hier eine Bevorzugung nachzuweisen.

Was diese Zahlen insbesondere nicht ausdrücken, sind die Anteile der EZB an den seit Auflage der Programme entstandenen Staatsschulden. Die Quote von im Mittel einem Drittel bezieht sich auf die Gesamtschulden der Euro-Länder, die jedoch überwiegend bereits vorher bestanden haben. Bekannt ist beispielsweise eine Studie der italienischen Notenbank, die zu dem Ergebnis kommt, dass seit Auflegen dieser Programme fast 80% der italienischen Staatsschulden letztlich durch die EZB finanziert wurden. Man darf vermuten, dass es in den anderen Euroländern nicht anders aussieht, in den „Nordländern“ eher sogar noch mehr war.

 

Es ist insofern sachlich falsch, zu behaupten, die „Südländer“ hätten von dieser Politik stärker profitiert. Alle europäischen Steuerzahler wurden durch die Aufkaufprogramme erheblich subventioniert. Die Diskussion sollte sich also eher der Frage widmen, welche Folgen diese Geldpolitik hatte und erst an der Stelle mag dann auch berechtigt hinterfragt werden, wie Nutzen und Lasten verteilt sind.

 

Um sich dem zu nähern, muss deutlich tiefer gegraben werden. Gerne wird an der Stelle das Narrativ aufgezogen, der deutsche Sparer finanziere die italienische Schuldenpolitik. Das ist so natürlich Unfug, denn diesen kausalen Zusammenhang gibt es nicht. Gerade die weitgehend symmetrische Verteilung der Aufkaufprogramme bedeutet, dass letztlich in allen Ländern jeweils eigene und voneinander unabhängige Effekte festzustellen sind. Gleichermaßen sind überall Zinslasten geringer, für die Steuerzahler, für Unternehmen, für private Schulden. Zugleich sind die Zinserträge jeglicher festverzinslicher Anlageformen entsprechend geringer. Ob diese Effekte nun im Süden stärker als im Norden wirkten, ob also der Steuerzahler in Italien stärker profitierte als der in Deutschland, ob der Sparer in Italien weniger leiden musste als der in Deutschland, mögen Wirtschaftshistoriker mal herausfinden, aber wir sollten nicht einen kausalen Zusammenhang behaupten, der nicht da ist. Es ist ein geldpolitisches Subventionsprogramm, welches in jedem Land für sich wirkt.

 

Die genannten Effekte sind in den einzelnen Ländern also strukturell sehr ähnlich und die dazu eingesetzten Beträge an Zentralbankgeld symmetrisch verteilt. Man sollte sich daher darauf fokussieren, die Folgen für jedes Land isoliert zu bewerten und nicht länger aufeinander zu verweisen. Das kann selbstverständlich zuletzt dazu führen, dass es Interessenunterschiede gibt und insofern die Feststellung resultieren, diese Programme seien für die einen Länder vorteilhaft und für die anderen eher von Nachteil.

Diese Bewertung von nationalen Vor- und Nachteilen geht leider in den gerne daher geredeten gesamteuropäischen Pauschalurteilen unter. Insbesondere bezogen auf Deutschland werden die Vorteile gerne übersehen. Die Zinslasten der Staatshaushalte, der Unternehmen und nicht zuletzt der Privathaushalte werden selten benannt, waren aber genauso relevant wie in allen Ländern Europas. Die meist zitierte Folge sind die demgegenüber geringen Erträge des sogenannten deutschen Sparers. Das drückt aber vor allem die mangelnde Flexibilität der Geldanlage in Deutschland aus. Der Privatsektor legt leider sein Geld in sehr hohen Quoten festverzinslich an. Das ist angesichts der Angst vieler vor Inflation und der historischen Erfahrungen mit unseren Währungssystemen maximal widersprüchlich. Diese Merkwürdigkeit findet sich auch in unserer Gesetzgebung, die insbesondere unseren kapitalgedeckten Altersvorsorgesystemen ebenfalls eine hohe Quote festverzinslicher Anlagen vorschreibt.

 

Es ist daher richtig, dass viele private Geldanleger und große Teile der privaten Altersvorsorge in Deutschland ganz erheblich unter dem Niedrigzins leiden. Aber niemand außer Deutschland selbst entscheidet über diese Anlagestruktur. Mit Blick auf die Effekte der Notenbankpolitik kann daraus eine generelle Feststellung abgeleitet werden: Das ist letztlich überall eine Umverteilung zugunsten der Schuldner und zulasten der Sparer. Das mag für Deutschland nachteiliger sein, als für andere Länder Europas, aber niemand außerhalb Deutschlands kann dafür verantwortlich gemacht werden. Das schmälert die sozialen Folgen dieser Umverteilung keineswegs, denn es bedeutet eine noch stärkere Bevorzugung des eher auf wenige verteilten Sachbesitzes zulasten des viel breiter verteilten Geldbesitzes.

 

Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass diese Niedrigzinspolitik dafür ursächlich und nicht im Interesse Deutschlands sei. Das ist aber bereits verkürzt, denn eine Folge dieser Politik ist global eine vergleichsweise schwache oder zumindest nicht stark aufwertende Währung, was insbesondere für den Kern des deutschen Geschäftsmodells, die Exportwirtschaft, ausgesprochen positiv wirkt. Fans der guten alten Bundesbank sollten in dem Zusammenhang mal einen Blick auf die Politik der Notenbank in der Schweiz werfen, die wegen des enormen Aufwertungsdrucks auf den Franken eine noch viel aggressivere Negativzinspolitik als die EZB betrieben hat bzw. ökonomisch betreiben musste. Was Deutschland sich zudem vorwerfen lassen muss, ist seine mangelnde Reaktionsfähigkeit auf diese Niedrigzinsphase, die – wie die Beispiele vieler kleinerer Notenbanken zeigen – sehr wahrscheinlich ohnehin nicht zu vermeiden war, wenn die großen Notenbanken und hier allen voran wie immer die amerikanische FED das nun mal so vorgeben.

Tatsächlich darf man annehmen, dass in den letzten Dekaden eine signifikant andere Geldpolitik auch für eine autonome Bundesbank nicht möglich gewesen wäre und die Kritik eher der fehlenden nationalen Anpassungsfähigkeit gelten sollte. Es wurde und vor allem wird in Deutschland zu sehr über die Rahmenbedingungen geklagt, gerne verbunden mit der Suche nach Schuldigen, die zudem im südeuropäischen Ausland identifiziert werden. Dass viele private Vermögen und unsere kapitalgedeckte Altersvorsorge auf die Niedrigzinsen nicht reagierte, ist alleine unser Versäumnis. Darüber hinaus hat diese Notenbankpolitik seit Jahren weltweit eine Inflation der Sachpreise erzeugt, die kaum zu verhindern war, auf die man aber längst hätte reagieren müssen. Die damit verbundene Spreizung der Vermögensverteilung ist ein sozialpolitisches Thema, das gerade in Deutschland mit seinem geringen Eigenheimanteil bei den Wohnkosten besonders brisant wirkt.

 

Statt also stereotyp über die niedrigen Zinsen zu klagen und dafür anderswo Schuldige auszumachen, wäre es dringend geboten gewesen, seitens der Geldanlage in Deutschland zu reagieren und Maßnahmen insbesondere gegen die hohen Wohnkosten zu ergreifen. Ferner sollten Kritiker der Zinspolitik erklären, ob angesichts der globalen Geldpolitik überhaupt eine Alternative bestand und welche Folgen das für die deutsche Volkswirtschaft gehabt hätte, wenn man sich denn weiter mit der Vergangenheit und deren Verantwortlichkeiten beschäftigen möchte.

 

Denn: Nun haben wir tatsächlich über die Sachvermögenpreise hinaus eine breite Inflation mit sehr komplexen Ursachen, die geld- und sozialpolitisch zu noch viel größeren Herausforderungen führen, als die bisherigen – in denen gerade Deutschland nicht sehr intelligent reagiert hat. Die wesentliche Ursache für die Inflation liegt in einer – hoffentlich vorübergehenden – Deglobalisierung in Verbindung mit selektiven Kapazitätsengpässen seitens der Anbieter. Der russische Angriffskrieg kommt nun verschärfend hinzu. Er beschleunigt aber nur, was vorher bereits in Gang kam. Es ist politisch teilweise bequem, nun in Putin einen weiteren Schuldigen zu präsentieren, aber das ist auch wieder verkürzt und daher keineswegs hilfreich.

Der Inflationsprozess ist sehr komplex und hat sich lange aufgebaut. Vermutlich beginnt das sogar mit der aggressiven deglobalisierenden Wirtschaftspolitik Trumps. Die Corona-Krise hat das dann beschleunigt. Die viel zitierte Lieferkettenproblematik ist dabei auf zwei Ebenen zu betrachten: Die eine betrifft die Störungen in Produktion und Logistik. Wenn wegen Lockdowns Fabriken, Häfen und Transporteure nicht arbeiten, kommen die filigranen Lieferwege schneller durcheinander, als viele das vermutet hatten. Wir mussten lernen, dass diese Ketten sehr schnell brechen und sich nur langsam regenerieren, zumal dies durch die nicht endenden Lockdowns in allen Teilen der Welt auch nicht ohne Rückschläge geht.

 

Sowohl diese Erfahrungen als auch die politischen Unsicherheiten führen aber auf der zweiten Ebene dazu, dass die existierenden Lieferbeziehungen zunehmend in Frage gestellt werden. Während Produktionsausfälle und logistische Störungen vorübergehend sind, ist darüber hinaus eine Deglobalisierung in Gang gekommen, deren Dauer und Umfang noch unklar ist. Hier spielt die geopolitische Entwicklung eine maßgebliche Rolle, die bereits durch die Spannungen zwischen den USA und China gekennzeichnet war und nun durch Putins Krieg weiter eskaliert. Wenn sich dieser Konflikt geopolitisch ausweitet und China einbezieht, kann das lange und tief wirken.

 

Daher ist die Entwicklung der Inflation so schwierig zu beurteilen. Corona führte zu einem Einbruch der Nachfrage, aber auch zu Engpässen im Angebot. Ersteres hat eine kurze und heftige Rezession ausgelöst, verbunden mit deflationären Tendenzen. Die Preise sind also sogar für eine kurze Phase gesunken. Die daraufhin gestarteten geldpolitischen Maßnahmen wurden bereits vor zwei Jahren von Kritikern zwar als grundsätzlich richtig, aber zu hoch dimensioniert bewertet. Ich war auch in diesem Lager und es sieht so aus, dass wir hier tatsächlich eine Beschleunigung der jetzt eingetretenen Inflation feststellen können. Denn die massive Stützung und Stimulation führt zu einer sehr schnellen Erholung der Nachfrage, während wegen der beschriebenen logistischen und politischen Deglobalisierung das Angebot sich keineswegs so schnell erholt hat. Dass dabei die Energiepreise aus vielen strukturellen Gründen dieser Märkte besonders eskalierten und ausgerechnet mit Russland nun einer der größten Energieproduzenten zum geopolitischen Problemfall wird, wiegt besonders schwer, weil Energiekosten letztlich hinter fast allen Preisen als Bestandteil stecken.

 

Welchen Anteil die vermutlich überdimensionierten geldpolitischen Maßnahmen der letzten zwei Jahre haben und welche Asymmetrie von Angebot und Nachfrage durch Corona auch so entstanden wäre, mag Wirtschaftshistoriker mal interessieren, es ist zur Bewältigung der Herausforderungen nun vollkommen uninteressant.

 

Die Notenbanken haben inzwischen weltweit beschlossen, die Ausweitung der Bilanzen zu stoppen und es wird vermutlich auch bald zu einer Verkürzung kommen. Ferner wird die Zinspolitik geändert, steigende Zinsen sehen wir weltweit. Vielen geht das nicht weit genug, diese geldpolitischen Änderungen verhindern nicht, dass weiter die Notenbanken monokausal für die Inflation verantwortlich gemacht werden – leider auch für deren weitere Eindämmung.

 

Das ist in der Form sachlich unzutreffend. Die Deglobalisierung haben die Notenbanken weder verursacht, noch können sie diese durch ihre Geldpolitik revidieren. Die Entwicklung der Inflation wird maßgeblich von der weiteren Entwicklung der globalen Handelsbeziehungen bestimmt. Die erste Ebene, Produktions- und Logistik-Störungen, wird sich wenngleich zäh und im absehbar kommenden nächsten Corona-Winter auch nicht ohne weitere Rückschläge irgendwann regenerieren. Es ist dann möglich, dass die Verhältnisse von Angebot und Nachfrage sogar in die andere Richtung ausschlagen. Es wäre typisch, dass so massive Störungen eines ursprünglichen Gleichgewichts durch eine Pendelbewegung wieder zur Balance finden. Das sind Szenarien, die für eine rückläufige Inflation sprechen und diese sollten nicht übersehen werden.

Weitaus schwieriger sind die geopolitischen Entwicklungen einzuschätzen. Es gibt inzwischen unverkennbar auch eine gewollte Deglobalisierung, die nichts mit den Corona-Störungen zu tun hat, durch diese aber teilweise ausgelöst wurde. Das beginnt bei vielen Unternehmen, die neben den Kosten nun auch die Zuverlässigkeit ihrer Lieferbeziehungen auf den Prüfstand stellen. Das sind vollkommen rationale, aber zumindest vorübergehend leider preistreibende Überlegungen. Es reicht jedoch weit in den politischen Bereich. Auch hier gibt es zunächst ganz rationale und auch richtige Überlegungen, mit welchen anderen politischen Systemen breitere Handelsbeziehungen überhaupt erstrebenswert und falls ja, wie gestaltbar sind.

 

Die politische Ebene reicht aber leider viel weiter. Es ist kaum absehbar, welchen Aufwind rechtspopulistische Strömungen nun erfahren, die sich überwiegend als Globalisierungsgegner positionieren. Das bezieht durchaus auch die Länder Asiens, namentlich China ein. Hier reden wir zwar nicht von der Frage, welche Wahlergebnisse eine nationalistische Wirtschaftspolitik fördern könnten, aber auch das Regime in Peking zeigt sich überraschend nationalistisch und scheint aus welchen partei- oder innenpolitischen Gründen auch immer zunehmend Freude daran zu finden, die ehemals so wichtigen globalen Handelsbeziehungen in Frage zu stellen.

 

Die weitere Inflationsentwicklung ist daher kaum absehbar. Es gibt durchaus Potenziale für eine Entspannung und die kann auch überraschend schnell kommen, wenn die geopolitische Lage sich zumindest nicht weiter verschlechtert. Es gibt aber auch Risiken für eine längere Phase der Deglobalisierung und dann ist eine Entspannung kaum in Sicht.

 

Bereits diese Ursachen- und Szenarienanalyse zeigt, dass die Rolle der Notenbanken sehr begrenzt ist. Vor allem wäre es wichtig, dass die Geopolitik jetzt nicht noch auf das Feld ausufernder Wirtschaftskriege eskaliert. Politische Überlegungen sollten sich darauf fokussieren und nicht die Notenbanken ins Schaufenster stellen. Die stärksten Hebel zur Dämpfung der Inflation liegen in der globalen Außen- und Wirtschaftspolitik, nicht in den Gremien der Notenbanken.

 

Zugleich ist es ganz besonders wichtig, sich nicht nur mit den Ursachen, sondern sehr rasch mit den Folgen der Inflation zu befassen. Das beginnt mit einer drohenden Spirale aus Trittbrettfahrerei und den Reaktionen darauf. Ich hatte kürzlich berichtet, dass die Unternehmensgewinne bereits seit längerem überproportional steigen. Die Unternehmen weiten dazu insbesondere ihre Margen aus, das tut nicht nur die Mineralölindustrie. Auch das ist keine Ursache der Inflation, aber einer ihrer Treiber. Viele Unternehmen geben halt nicht nur die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weiter, sondern setzen ein paar Margenpunkte oben drauf.

 

Das ist, wie wir bei den Treibstoffpreisen sehen, in vielen Bereichen kaum in den Griff zu bekommen. Das einzige Mittel besteht darin, die Nachfrager diesen Preisen auszusetzen, das transparent zu machen und so einen Nachfragerückgang zu erzeugen, der den erforderlichen Preisdruck bringt. Alle breiten Subventionen, wie der misslungene „Tankrabatt“, verhindern die einzig wirksame Medizin, nämlich den Preisdruck. Da Inflation zugleich ein eklatantes soziales Problem ist, muss der Staat diese Folgen abmildern, aber so gezielt und begrenzt wie möglich. Es ist daher geboten, finanzschwache Haushalte zu entlasten und finanzstärkeren die Belastungen zu überlassen. Sofern die Situation sich verschärft, muss sogar umverteilt werden. Das ist nicht ungerecht, sondern ordnungspolitisch geboten. Wenn dazu vorübergehend Eingriffe in die Tarifstruktur der Einkommensteuer erforderlich werden, sollte das nicht generell ausgeschlossen werden. Also Anhebung des Grundfreibetrags, Senkung des Eingangssteuersatzes sowie ggf. Kompensation durch einen höheren Spitzensteuersatz.

 

Wenn wir uns nicht einigen, die Lasten der Inflation durch einen effizient funktionierenden sozialen Ausgleich zu mildern, wird es für alle nur umso teurer. Dann gibt es kaum eine Grenze für die Profiteure steigender Preise, es bleibt Gewerkschaften und dort nicht organisierten Arbeitnehmern gar nichts anderes übrig, als Lohnzuwächse durchzusetzen, was die Preise weiter treibt und wir müssen letztlich durch erhebliche soziale Transfers umso mehr umverteilen.

 

Die Erfahrung lehrt leider, dass eine effiziente und intelligente Reaktion wohl eher nicht gelingen wird. Die innenpolitischen Muster sind überall gleich. Getroffene Maßnahmen wie der „Tankrabatt“ finden sich weltweit. Eine selektive Unterstützung nur der wirklich Bedürftigen ist keiner Regierung gelungen. Überall Gießkanne, überall die Forderung, dass bei staatlichen Maßnahmen gefälligst alle zu profitieren haben. Dass das auch von allen bezahlt werden muss, scheint kaum jemand wirklich zu begreifen. Ebenso gewinnen rechtsnationalistische Strömungen, die Freude daran, irgendwo auf der Welt Schuldige für die Situation auszumachen, ist ungebrochen. Das spricht leider nicht für eine klügere globale Außen- und Wirtschaftspolitik.

 

Es ist daher möglich, dass es bei den üblichen Schuldigen und Rezepten bleibt. Die Inflation verursachen demnach Geldpolitiker, meistens die woanders und das ist mit einer restriktiven Zinspolitik zu heilen. Schurken wie Putin kommen hinzu. Damit sich das nicht wiederholt, macht zukünftig besser jeder sein nationales Ding.

 

Eines wird bei so einer Politik gelingen und wird dann so oft vermutlich als Erfolg verbucht: Deglobalisierung plus restriktive Geldpolitik dürfte stark rezessive Entwicklungen auslösen und die werden letztlich die Inflation stoppen. Das kann passieren, wenn alle über Preise reden, Inflationsbekämpfung fordern und den wichtigsten Preis, nämlich den für den Kampf gegen die Inflation, übersehen.

 

 

Natürlich kann man die Preisentwicklung dämpfen, indem man die Wirtschaft runter fährt. Das hat immer funktioniert. Leider wurde selten nach dem Preis dafür gefragt und daher sind Alternativen nie besonders weit entwickelt worden. Daher wäre es zunächst wichtig, klarzustellen: Die Notenbanken sind weder der wesentliche Verursacher der Inflation, noch bieten ihre Mittel die beste Lösung. Sie sollten gewiss ihre Rolle bei der Staatsfinanzierung reduzieren und die zu stark ausgeweiteten Bilanzen verkürzen, aber gerade wegen der Krisen geht das nur sehr moderat. Sonst sinkt die Inflation zwar irgendwann, aber es wird durch Einkommens- und Vermögensverluste umso teurer.

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