RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Urin, zweiter Teil

Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)
Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦                         

 

Es fliesst weiter. Herzlich willkommen zum zweiten Teil meiner Kolumne über den Urin. Es bleibt spannend, sehr spannend. Denn ja, auch in dieser Kolumne wird viel hiervon getrunken. Aber wusstet Ihr, dass der Harn auch für die Krebstherapie, für die optimale Produktion von Apfelsaft und die Gewinnung von grüner Energie verwendet werden kann? Urin steckt voller Ressourcen und Überraschungen. Und ist definitiv der Stoff, aus dem die Zukunft gemacht wird.

 

Wer den ersten Teil der Kolumne verpasst hat, kann ihn gerne hier nachlesen:

https://bit.ly/3OCGjvv

 

Die meisten Menschen nehmen keinen wohlriechenden Duft beim Verrichten ihrer Notdurft wahr. Verwehrt bleibt ihnen in der Regel der liebliche Geruch von Rosen, Zitronen, Zimt und Vanille. Denn sie sind chronisch dehydriert und zwingen ihren Körper dazu, Feuchtigkeit aus dem Dickdarm zu pressen. Aus diesem Grund, kündet das Produkt ihrer Blase auch nicht vom nahenden Frühling, sondern viel eher vom olfaktorischen Tod. Will man dies ändern, muss man wesentlich mehr Wasser trinken.

 

In China wird die Urintherapie auf vielerlei Weise angewandt. Besonders geschätzt wird hier der Harn von Säuglingen und Kleinkindern. Der Urin kleiner Jungen wird dabei sogar im Internet gehandelt. Ein Glas hiervon kann manchmal mehrere hundert Euro kosten.

 

Wer ihn nicht gerne trinkt, kann sich aber auch ein Ei in der goldenen Delikatesse kochen. In der Stadt Dongyang, unweit von Shanghai, wird hierzu der Natursekt von Schülern verwendet. Den in Urin gekochten Eiern werden hier vielfältige Kräfte nachgesagt. So sollen sie angeblich gegen die Sommerhitze und gegen Sonnenstich schützen. Auch wer Verletzungen aufweist, sollte ganz unbedingt von ihnen kosten. Wer von ihren Wirkungskräften überzeugt ist, nimmt dann auch den sehr salzigen Geschmack in Kauf.

Und was meint die westliche Medizin hierzu? Aus ihrer Perspektive kann Pisch (jiddisch für Urin) dabei helfen, Tuberkulosebakterien abzutöten und die Mikrozirkulation anzuregen.

 

Das Dorf Wuzhuang ist in ganz China für seine hundertjährigen Urintrinker bekannt. Denn hier werden die Bewohner*innen besonders alt. Zwei Mal täglich sollen sie den lebensspendenden Saft zu sich nehmen und so ihr Lebensalter verlängern. Dass dies möglich ist, soll an der Urokinase im Harn liegen, das Trombosen auflösen und so die Blutzirkulation verbessern kann.

 

Ist das Trinken von Urin also tatsächlich gut für unsere Gesundheit? Hier gehen die Meinungen auseinander. In kleinen Mengen schadet er den meisten Menschen wohl nicht. Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass er wirklich ein Allheilmittel für viele unsere Leiden ist. Vorurteilsfreie Wissenschaftler, die sich mit dem Harn beschäftigen, machen jedoch mitunter erstaunliche Entdeckungen: Die ehrenwerte chinesische Akademie der Wissenschaft hat eine originelle wie revolutionäre Methode entwickelt und patentieren lassen: die Gewinnung von Stammzellen aus menschlichem Pisch.

 

Bis anhin wurden Stammzellen für die Forschung ja hauptsächlich aus Embryos gewonnen. Durch dieses Verfahren werden die Kleinstmenschen allerdings zerstört. Daher greifen einige Staaten zu einem Trick. In der Schweiz dürfen Stammzellen nur aus sogenannt überzähligen Embryonen gewonnen werden. Also solche, die im Rahmen einer künstlichen Befruchtung entstehen, aber nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft genutzt werden können. Eine andere Quelle zur Gewinnung von Embryonen ist das Knochenmark oder die Filterung aus dem Blut. Will man aber unbegrenzt spezialisierte Körperzellen reproduzieren, um die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung neuer Therapien zu ermöglichen, war es bis anhin unerlässlich, auf die Vorläuferzellen des sich gerade entwickelnden Menschen zurückzugreifen. Denn das Ziel dieser Forschung ist es, jede Zelle im Körper nachzubauen, um sämtliche seiner Bestandteile auswechseln zu können.

 

Durch das Pinkeln sondert unser Körper zahlreiche Zellen aus dem Nierengewebe ab. Täglich werden so auf natürlichem Wege bis zu 7000 von ihnen abgestossen. Das Überraschende dabei ist: sie sind alle gesund und vollkommen funktionstüchtig. Auch wenn sie sich genetisch nicht so leicht manipulieren lassen wie Embryonalzellen, so bildet diese Entdeckung doch ein Meilenstein für die Forschung. Umstritten wird die Idee der Stammzellenforschung bleiben, aber durch solche neuen Wege kann zumindest ein Teil der ganz offensichtlichen ethischen Probleme gelöst werden.

 

Ist unser Urin also das langgesuchte Lebenselixier? Ob Pisch uns helfen kann, Unsterblichkeit zu erlangen, ist eine sehr interessante Frage. Was er auf alle Fälle kann, ist durch die Forschung dazu beitragen, uns gesünder und länger leben zu lassen.

 

Das Kamel, das in der Wüste lebt, besitzt das stärkste Immunsystem der ganzen Tierwelt und ist gegen Infektionen aller Art geschützt. Im endlosen, heissen Sand kann es 40-45 Tage ohne Wasser überleben. Forscher haben nun festgestellt, dass der gelbe Strahl der Trampeltiere eine wirksame Substanz gegen Krebs enthält. Und zwar unabhängig davon, was diese fressen.

 

Dieser Hemmstoff hindert Tumorzellen daran, Blutgefässe zu bilden. So lassen sich diese aushungern und das krankhafte Wachstum stoppen. Kamelharn könnte somit die Krebsmedizin erweitern. Und er kann noch mehr: Kamelurin ist bei Zimmertemperatur lange Zeit haltbar und kann gekühlt jahrelang aufbewahrt werden. Und dies, ohne dass es zu Kontaminationen mit Bakterien kommt. Denn in Kamelpisch kann sich nichts vermehren, seine Bestandteile sind wachstumshemmend und wirken antibakteriell. Mit ihm lassen sich daher auch zahlreiche andere Krankheiten behandeln, wie z.B. Infektionen der Haut. Die Patient*innen müssen sich nur darauf einlassen. Zurzeit wird eine akzeptable pharmazeutische Darreichungsform entwickelt, denn allzu viele Menschen wären wohl nicht dazu bereit, den goldenen Quell aus 1001 Nacht zu trinken.

 

Zweifelslos ist dies aber nur noch eine Frage der Zeit, denn Medikamente auf Urinbasis sind in unseren Arzneischränken bereits vorhanden. Wenn auch inkognito. Urokinase, ein Produkt, das Blutgerinnsel auflöst, wird schon aus Urinproteinen hergestellt. Premarin ist ein Medikament gegen Wechseljahrbeschwerden. Für seine Produktion wird der tägliche Harn von 75’000 trächtigen Stuten benötigt. Das strahlende Arzneimittel findet auch in der Homöopathie Anwendung und bestimmte Schlafmittel und Kosmetikprodukte enthalten Urinderivate wie etwa Harnstoff.

 

Weniger bekannt ist, dass Urin auch auf unseren Tellern landet. Pflanzen benötigen Phosphor um zu wachsen und das Gemüse zu liefern, das unseren Planeten ernährt. Und unser Pisch ist sehr reich an Phosphor. Wir Menschen sind die beste Lieferquelle. Wäre es da nicht an der Zeit, unseren Urin auf intelligentere Weise zu verwenden?

 

In China wird der Nutzen des Stickstoffs und des Phosphors im menschlichen Harn derzeit wiederentdeckt. Denn die natürlichen Phosphorvorräte der Erde gehen bald zur Neige. Eine gute Lösung bestünde also darin, den Phosphor in unserem goldenen Lebenselixier zu recyceln. Doch um das kostbare Nass als Dünger nutzen zu können, darf es nicht mit unseren Exkrementen verunreinigt sein und in der Toilette verschwinden. Da Millionen von Menschen weltweit noch immer keinen Zugang zu sanitären Anlagen haben und unsere aktuellen Toiletten eine Trennung nicht möglich machen, wird man in naher Zukunft wohl Toiletten entwickeln, die ein Recycling des Urins ermöglichen.

 

Das grösste Problem dabei sind unsere modernen Toilettenspülungen. Wir spülen ab und vergessen, wo das alles landet. Wir verbrauchen zu viel Wasser, das wir zudem auch noch verschmutzen. Fast 80% der Nährstoffe, die z.B. ein Apfelbaum benötigt, sind im Urin enthalten. Ein solch biologischer Anbau würde auch eine Umgehung von Kunstdüngern zulassen. In Europa allerdings verbietet sich das Düngen mit Urin, da unser Harn als auch derjenige unserer Nutztiere oftmals Spuren von Hormonen enthält. Die Forschung arbeitet aber bereits an einer Lösung dieses Problems.

 

Und dann lässt sich unser flüssiges Gold auch noch in grüne Energie umwandeln, indem man aus ihm Wasserstoff gewinnt. Wasserstoff ist der sauberste Kraftstoff der Welt, denn bei der Verbrennung von Wasserstoff wird lediglich Wasser erzeugt, respektive dieses bleibt dann als Reststoff übrig. Mit 5kg, also einem vollen Tank, kommt ein Auto z.B. 480 km weit. Die grossen Automobilhersteller testen derzeit die ersten Autos mit Wasserstoffantrieb. In Deutschland und den USA wird der Kraftstoff sogar schon an Tankstellen angeboten. Der einzige Haken dabei ist: Wasserstoff wird heutzutage noch zumeist aus Erdöl gewonnen.

 

Bald werden aber hoffentlich Urinwaschmaschinen (sogenannte Greenboxes, ein Urinrecyclingsystem) das Wasser der Kläranlagen reinigen und dabei nicht nur Wasserstoff produzieren, sondern gleichzeitig auch Strom, indem der gewonnene Wasserstoff verbrannt wird. Dies erzeugt dann nicht nur Energie, es spart auch Energie ein, denn die Kläranlage muss das Wasser nicht mehr zusätzlich reinigen.

Ich hoffe meine Kolumne hat Euch gefallen. Nächste Woche geht es dann darum, wie ich anderen Menschen beim Essen zuschaue. Ganz liebe Grüsse Euer Alon

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    fritze (Samstag, 25 Juni 2022 18:23)

    genialer beitrag!!!!!