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Die Gaskrise ist eine Gaskrise und keine Stromkrise

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Das Energiethema gehört leider zu den besonders stark parteipolitisch besetzten. Das geht wohl auf die Atomkraftdebatte zurück, aus der die Grünen entstanden sind. Ausgerechnet in einer Energiekrise müssen wir erleben, dass das trotz der unter der GroKo erfolgten und mit dem Atomausstieg verbundenen Energiewende immer noch so ist. So finden insbesondere um die Kernkraft plötzlich wieder Debatten statt, in der jede Seite der anderen Dogmatismus oder Religion vorwirft und dabei selbst dazu neigt.

 

Die seriöse Planung einer Energieversorgung ist gewiss ein Thema, das nicht irgendwie technologisch eindeutig zu beantworten ist. Hier geht es also immer um notwendige politische Entscheidungen. Das gilt umso mehr, wenn dies aus der Bewältigung einer Energiekrise heraus zu passieren hat. Wir kommen also nicht um parteipolitische Auslegungen herum, aber gerade in einer Krise sollte das nicht zum Rückfall in alte Narrative führen, mit denen man gute Erfahrungswerte beim Wählerfang gemacht hatte. Es geht also dringend um Versachlichung der Debatte.

 

Das sollte zumindest bei der Bewertung des Status quo gelingen, denn wenigstens der kann zweifelsfrei erhoben werden. Aber selbst das passiert nicht. Schamlos werden vermeintliche Verantwortlichkeiten behauptet und vollkommen falsche Debatten um angeblich mögliche Lösungen geführt. Dabei ist die Gesamtlage recht einfach zu bewerten!

Das hatte ich bereits Ende März (https://dirkspecht.de/…/die-folgen-eines-gas-embargos…/) mit dem Hinweis auf Chart1 versucht, welches ich hier nochmals zeige. Wir sehen hier den Gesamtenergieverbrauch nach Sektoren und Energieträgern. Demnach erfordern Haushalte, Verkehr und Industrie jeweils etwas weniger als 30% der Gesamtenergie und Gewerbe, Handel und Dienstleistungen den Rest.

 

Das nun in der geopolitischen Energiekrise so besonders im Fokus stehende Gas wird dabei mit Ausnahme des Verkehrs jeweils zu mehr als einem Drittel benötigt. Dahinter verbirgt sich vor allem Prozesswärme in der Industrie sowie Heizungsanlagen in allen Sektoren. Das ist der alles überragende Einsatzbereich von Gas in Deutschland und das hat mit der Stromproduktion absolut nichts zu tun.

 

Es ist richtig, dass wir diese Nutzungsformen in einer zukünftigen Energieplanung unbedingt elektrifizieren müssen, um dann über die Stromerzeugung eine ökologisch, geopolitisch und damit auch ökonomisch endlich erfolgreiche Energiewende zu erreichen. Dahinter verbergen sich aber viele Millionen Gasheizungen und Tausende industrieller Produktionsstätten, für die es überwiegend zwar bereits elektrisch betriebenen Ersatz gibt, der aber jenseits der Finanzierung nicht einfach in ein paar Monaten installiert ist, für den insbesondere in der Industrie Stand heute aber nicht mal elektrisch betriebene Technologien existieren. Wir sprechen hier also von einem Transformationsprozess, der viele Jahre dauert und auch noch neue Technologien erfordert.

 

Das Thema gehört also für die Planung einer Energiewende langfristig sehr wohl auf den Tisch, ist aber bezüglich der Bewältigung der aktuellen Energiekrise ganz anders zu bewerten: Es geht leider nur darum, wie dieses Gas auf Sicht der nächsten Jahre zu beschaffen (und zu bezahlen!) ist und nicht, wie es durch Strom ersetzt werden kann. Namentlich mit Kernkraft ist an der Stelle schlicht kein Gramm Honig zu gewinnen.

 

Richtig ist ferner, dass wir uns ebenfalls sowohl kurzfristig zur Bewältigung der Energiekrise als auch langfristig zur Planung einer Energiewende den Stromsektor anschauen müssen. Hier ist zunächst der Hinweis wichtig, dass wir nur über einen kleineren Teil der Gesamtenergie und über einen de facto unbedeutenden Teil des Gasbedarfs sprechen.

 

Deshalb kann klar festgestellt werden, dass die Stromerzeugung in zwei komplett unterschiedliche Sichten zerfällt: Zur Bewältigung der aktuellen Energiekrise spielt das Thema kaum eine Rolle, während es zukünftig für eine Energiewende endlich die Hauptrolle spielen sollte. Man sieht daran, dass diese Debatte schon immer falsch war.

 

Wir streiten – parteipolitisch vermutlich gerne und absichtlich provoziert sowie in der Tat dogmatisch – seit Jahrzehnten über die Stromproduktion und haben sträflich vernachlässigt, die weit wichtigere Debatte über den Gesamtenergieverbrauch zu führen, die aber für eine Energiewende die alles entscheidende Ebene ist. Nun driften wir ausgerechnet bei der Frage, wie wir eine sehr ernste Energiekrise bewältigen können, in genau denselben Streit über die Stromproduktion ab und übersehen, dass dieser Streit an der Stelle sogar noch irrelevanter als jemals zuvor ist. Das ist sogar genau deshalb der Fall, weil wir bei der Energie in der öffentlichen Debatte so lange nur auf den Strom geachtet haben, so dass die Abhängigkeiten von Öl und Gas unbeachtet weiter wachsen konnten.

 

Wenn man auf die Irrelevanz der Stromdebatte und hier auf den dogmatischen Atomkraftstreit hinweist, kommen gerne die Hinweise auf die Bedeutung von Gas bei der Stromerzeugung. Das ist grundsätzlich richtig, ohne Quantifizierung und genauere Nutzungsanalyse aber falsch. Wenn man also meint, man müsse im Kontext der Gaskrise auf die Stromerzeugung achten, so sollte man da dann wenigstens genauer hinsehen. In der Stromproduktion (Chart 2) finden wir für das erste Quartal 2022 Kernkraft mit 6% und Gas mit 13%.

 Wenn man darüber nun so heftig Streit führen möchte, sollte schon vorausgeschickt werden, dass diese Energieerzeugung beim Strom bereits geringfügig und im Gesamtenergiemix vernachlässigbar ist. Aber wir führen halt auch gerne vernachlässigbaren Streit, leider oft, um den relevanten zu übersehen. Die Tabelle erläutert zudem, das selbst dieser Streit gerne in dogmatischen Positionen untergeht. Denn: Zu den politischen Verantwortlichkeiten gehört die Feststellung, dass der Atomstrom gegenüber dem Jahresende 2021 um die Hälfte zurück gegangen ist, weil hier im Rahmen der GroKo-Energiewende drei weitere Kernkraftwerke außer Betrieb genommen wurden. Daher haben wir seit Jahresbeginn nur noch drei Kraftwerke im Betrieb, die nun diesen „heiligen“ Streit auslösen.

 

Die Außerbetriebnahme zum Jahresende ist hingegen in der Stromproduktion schlicht unbemerkt geblieben. Nahezu alles, was dazu gerne behauptet wird, ist sachlich falsch. Die Gesamtproduktion ist um 3,7% gestiegen, wir haben knapp 14% weniger importiert und knapp 17% mehr exportiert. Es ist also weder zu einem Engpass gekommen, noch musste mehr Strom aus dem Ausland bezogen werden, das Gegenteil ist eingetreten. Ermöglicht wurde das durch die Erneuerbaren Energien, deren Anteil um 21% gestiegen ist, während die konventionellen Energieträger um 8% zurück gingen.

 

Diese Q1-Bilanz verhindert aber nicht, dass jetzt über die verbliebenen 6% Atomkraft an der Stromerzeugung sowie die 13% Gas ein Streit entbrannt ist, bei dem nicht wenige behaupten, es gehe dabei um eine Lösung der Gaskrise, um dann die jeweils gewollten Verantwortlichkeiten herzuleiten. An der Stelle muss man aber noch ein Stück tiefer graben und das hängt die meisten endgültig ab. Hier geht es nämlich um den Unterschied zwischen Grundlast und Spitzenlast sowie, um auch das letzte Detail dieses insgesamt irrelevanten Streits zu beleuchten, um Wärmeerzeugung.

 

Wir haben in unserem Stromnetz nämlich zwei ganz unterschiedliche Rollen der konventionellen Kraftwerke: Zunächst die gerne als besonders relevant bezeichnete Grundlast, die ebenso gerne behauptet zum Ausgleich der schwankenden Erneuerbaren Energien erforderlich sei. Das ist aber nur halb richtig, denn tatsächlich wird eine sogenannte Grundlast konventionell und hier immer noch primär durch Kohle produziert. Das war aber schon immer so, es hat mit Erneuerbaren Energien ursächlich gar nichts zu tun. Es wird nämlich oft übersehen, dass nicht nur der Output Erneuerbarer Energien schwankt, sondern auch unser Verbrauch. Gerne wird auf die nachteiligen Schwankungen der Erneuerbaren hingewiesen, zugleich sollte aber genauso erkannt werden, dass Kohle- und Atomstrom den Nachteil haben, sehr träge zu sein. Diese Kraftwerke können ihre Leistung nämlich technisch bedingt nicht agil hoch und runter fahren. Damit sind sie per se schlecht geeignet, die schwankende Nachfrage gut zu bedienen.

 

Tatsächlich sind über Jahrzehnte Überkapazitäten konventionell produziert worden, weil man sich an Spitzennachfragewerten orientieren musste. Wenn die nicht abgenommen wurden, ist in der Vergangenheit Kohle- und Atomstrom produziert und sofort vernichtet worden. So ganz super klasse sind diese Kraftwerkstypen nämlich keineswegs. Daher wurden bereits lange vor der Rolle der Erneuerbaren Energien Gaskraftwerke hinzu genommen. Diese können aus dem Stand hoch und runter gefahren werden – sie eignen sich daher nicht nur für Grundlastbetrieb, sondern insbesondere für den Ausgleich von Spitzenlasten, um die Überproduktion von Grundlast zu vermeiden. Das ist bis heute so und die schwankenden Erneuerbaren führen übrigens dazu, dass diese Spitzenlastproduktion insgesamt rückläufig ist.

 

Mit Blick auf die Gaskrise muss man leider feststellen, dass eine komplette Substitution von Gaskraftwerken technisch gar nicht möglich ist. Die sind zur Deckung von Spitzenlasten weiter erforderlich und das lässt sich auch nur begrenzt planen, weil das Stromnetz selbst diese Produktion bedarfsweise abruft. So ist es im Mai schlicht aufgrund unseres Verbrauchs- und Produktionsprofils zu einer relativ hohen Gasproduktion beim Strom gekommen, was in den Medien vollkommen unsachlich ausgeschlachtet wurde. Das war weder beabsichtigt, noch konnte das irgendwie verhindert werden. Daran wird sich auch nichts ändern, komplett ohne Gas geht es nicht. Das gilt leider auch für die in der dritten Tabelle als letztes Detail beigefügten Wärmekraftwerke. Das sind oft Kombinationen aus Strom- und direkter Wärmeerzeugung. Diese Kraftwerke erzeugen also Strom und versorgen mit ihrer Abwärme unmittelbar Verbraucher mit Wärmeenergie. Manche erzeugen auch nur Wärme. Diese Kraftwerke laufen überwiegend mit Gas und das ist auch an der Stelle nicht durch Kohle- oder Atomkraft ersetzbar.

Zusammenfassend ist die Situation rund um die Gaskrise also vollkommen unstrittig und es sollte aufhören, die politisch zu nutzen. Wir haben in der Stromproduktion schlicht kein Problem durch die Abschaltung der Kernenergie, die zudem nicht durch die jetzige Regierung und auch nicht unter der Beteiligung der Grünen erfolgte. Auch die verbliebenen drei Atomkraftwerke bzw. deren 6%-Anteil an der Stromproduktion sind irrelevant. Der Gasanteil an der Stromproduktion ist beim gesamten Gasbedarf ebenfalls zu vernachlässigen. Zudem ist nur sehr schwer planbar, wie viel davon durch die jetzt geplante Aufstockung von Kohlestrom tatsächlich gespart werden kann. Wegen Spitzenlast- und Wärmeproduktion kann Gas hier leider nicht komplett raus genommen werden, weder durch Kohle, noch durch Atomstrom.

 

Die Gaskrise ist also nicht durch Eingriffe bei der Stromproduktion zu beheben. Die einzigen Hebel sind die Beschaffung durch andere Lieferanten sowie Einsparungen beim Verbrauch. Wenn Russland die Lieferungen in den nächsten Wochen nicht wieder steigert oder gar weiter senkt, wird das nicht reichen. Es ist also von Putin abhängig, ob es bei uns zu Rationierungen kommt. Wir sollten damit rechnen und das wird eine ernste Energiekrise, die wegen der Bedeutung sowohl für private Haushalte als auch in der Industrie sehr folgenreich sein wird, gesellschaftlich, politisch, ökonomisch.

 

Wenn das passiert, so war es durch die Energiepolitik der letzten 20 Jahre überhaupt erst möglich und wird kausal unmittelbar durch Russland ausgelöst. Man kann durchaus der Meinung sein, dass es in der Situation um jedes Prozent der Energieversorgung geht und dass man dann auch die verbliebenen Kernkraftwerke verlängern sollte. Diese Diskussion wird leider auch von Kreisen der Grünen dogmatisch geführt, denn die Aussage, das leiste keinen Beitrag ist genauso falsch wie die, es sei die Lösung.

 

Richtig ist, dass die Atomkraft an der Stelle nur einen Beitrag im kleineren Prozentbereich leisten kann, der nicht mal sicher berechenbar ist. Das hat zudem mit Entscheidungen dieser Regierung nichts zu tun. Man kann also die Laufzeiten verlängern oder man kann es lassen, beides ist sachlich betrachtet eine Marginalentscheidung, deren Bewertung vermutlich wirklich nur Experten mit öffentlich nicht bekannten Detaildaten treffen können, denen man das aus meiner persönlichen Sicht schlicht überlassen sollte.

 

 

Ein politischer oder gar gesellschaftlicher Streit über diese Frage ist sachlich vollkommen unangemessen. Wir haben andere Themen und die bleiben leider mal wieder liegen. Das könnte erneut absichtlich betrieben werden – von allen Parteien.

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