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Kinderkrebsforschung: Wege suchen zur besseren Behandlung für Kinder mit Nierentumoren

Dr. med. Sabine Kroiss, Leiterin der Studie und Oberärztin am Kinderspital Zürich (Bildquelle: kispi.uzh.ch)
Dr. med. Sabine Kroiss, Leiterin der Studie und Oberärztin am Kinderspital Zürich (Bildquelle: kispi.uzh.ch)

DMZ – GESUNDHEIT / MEDIZIN ¦ David Aebischer ¦  Dr. med. Sabine Kroiss, Leiterin der Studie und Oberärztin am Kinderspital Zürich (Bildquelle: kispi.uzh.ch) 

 

Der aktuellen Medienmitteilung der Schweizerische Pädiatrische Onkologie Gruppe SPOG ist zu entnehmen, dass es eine neue Möglichkeit der Behandlung für Kinder und Jugendliche in der Schweiz, die an einem Nierentumor leiden, gibt.

 

Die SPOG ermöglicht den Zugang zu einer internationalen klinischen Studie. Diese klinische Studie «SIOP Randomet 2017» ist eine internationale Therapieoptimierungsstudie zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einem fortgeschrittenen bösartigen Nierentumor. Laut SPOG ist die Erkrankung zwar selten, trifft die Patientinnen und Patienten und ihre Familien aber schwer.

 

 

„Dank grosser Therapiestudien wie SIOP Randomet können wir heute nicht nur

mehr Kinder mit Krebserkrankungen heilen, sondern die Therapie auch bezüglich

möglicher Nebenwirkungen und Spätfolgen optimieren.“

Dr. med. Sabine Kroiss, Leiterin der Studie und Oberärztin am Kinderspital Zürich

 

Die derzeitige Standardtherapie für junge Patientinnen und Patienten mit einem Nierentumor mit Metastasen umfasst gemäss Angaben der SPOG eine kurze, aber intensive Chemotherapie, eine anschliessende Operation zur Tumorentfernung, sowie eine weitere, länger dauernde Chemotherapie nach der Operation. Einige Betroffene würden zusätzlich eine Strahlentherapie benötigen.

 

Ein Problem seien die schweren, potentiell lebensbedrohlichen Nebenwirkungen, welche die Chemotherapie vor der Operation im schlimmsten Fall verursachen könne. In dieser Studie werde untersucht, ob eine Vergleichstherapie, bei der Nebenwirkungen weniger häufig und weniger schwerwiegend auftreten, die Krankheit gleich gut eindämmen könnte wie die aktuelle Standardtherapie.

 

Von Dr. med. Sabine Kroiss, der Leiterin der Studie, wollten wir wissen, wie aktuell und künftig mit dem Problem bei einer Diagnose umgegangen werden kann, bei der die Patienten häufig völlig beschwerdefrei sind oder lediglich durch eine derbe Schwellung im Bauchraum auffallen.

 

Dr. med. S. Kroiss: Es ist in der Tat so, dass diese Nierentumore meist als Zufallsbefund entdeckt werden und die Tumore dann meist recht gross sind. Glücklicherweise haben die Kinder trotzdem sehr gute Heilungschancen. Da es sich um eine sehr seltene Krankheit handelt (jährlich sind ca. 5-10 Kinder in der Schweiz betroffen), ist es nicht sinnvoll bei allen Kindern regelmässig nach diesen Tumoren zu suchen. Einzelne Kinder mit genetischer Veranlagung haben aber eine erhöhte Anfälligkeit für diese Tumoren, bei diesen Kindern wird ein Screening empfohlen, d.h. regelmässige Ultraschalluntersuchungen der Nieren durchzuführen, um eine Tumorentwicklung frühzeitig zu erkennen. Da diese Nierentumore sehr schnell wachsen, muss das Screening alle drei Monate wiederholt werden.

 

In 10–15 % können Metastasen (vorwiegend in der Lunge) diagnostiziert werden. Wie lässt sich erklären, dass die Patienten (so lange) beschwerdefrei sind? Und was sind die aktuellen Bemühungen, hier bei der Diagnose Fortschritte erzielen zu können? Werden Ärztinnen und Ärzte sensibilisiert?

 

Dr. med. Sabine Kroiss: Die Metastasen verursachen in der Regel keine Schmerzen oder gesundheitlichen Probleme, zudem sind die Lungenmetastasen meist sehr klein. Diese Metastasen lassen sich in der Regel gut mit der Chemotherapie behandeln, müssen selten operiert und/oder bestrahlt werden. Es ist wichtig, dass bei Diagnosestellung eine Computertomographie durchgeführt wird, um diese Metastasen festzustellen und entsprechend zu behandeln.

 

Nierentumore können bei Kindern ein- und beidseitig auftreten. Ist das „beidseitige Auftreten„ häufig der Fall?

 

Dr. med. Sabine Kroiss: Meistens treten Nierentumore einseitig auf, nur selten beidseitig. Wenn aber in beiden Nieren bösartige Tumorzellen vorhanden sind, dann ist die Behandlung schwieriger. Bei einer einseitigen Erkrankung entfernt man meistens die befallene Niere operativ mit dem Tumor, bei beidseitiger Erkrankung versucht man, wenn immer möglich nierenerhaltend zu operieren.

 

Das Nephroblastom stellt den häufigsten kindlichen Nierentumor dar. Nur wenige Prozent der Nierentumoren im Kindesalter weisen eine andere Histologie auf. Das Neuroblastom ist die zweithäufigste Krebserkrankung im Kleinkindesalter. Ursprung dieses Tumors sind Nerven-Ganglienzellen, meist aus der Nebenniere oder den Nervenganglien entlang der Wirbelsäule. Welche Form stellt sich bei der Behandlung als „ungünstiger“ dar?

 

Dr. med. Sabine Kroiss: Das Neuroblastom ist kein Nierentumor, sondern entsteht aus Nervenzellen, in den Nebennieren oder in den Ganglien entlang der Wirbelsäule. Für die Behandlung ist die biologische Ausprägung des Neuroblastoms entscheidend. Mittels genetischer Untersuchungen können aggressivere Varianten des Neuroblastoms identifiziert werden. Diese benötigen dann eine intensivere Behandlung.

 

Dieser Tumor geht von embryonalen Geweberesten der Niere, dem sogenannten metanephrogenen Blastem, aus. Im Normalfall verschwindet dieses Gewebe spätestens bis zur 36. Schwangerschaftswoche. Weiss man, wieso dies trotzdem nicht immer der Fall ist?

 

Dr. med. Sabine Kroiss: Es handelt sich um einen Reifungsprozess in der Organentstehung, der verzögert ablaufen kann. Man spricht dann von nephrogenen Resten, die in der Niere bleiben und erst im Verlauf über Monate oder Jahre ausreifen. Von diesen Resten geht ein Tumorrisiko aus. Gewisse genetische Grunderkrankungen führen dazu, dass diese Ausreifung verzögert ist, oft ist die Ursache dafür noch nicht vollständig bekannt.

 

Sie schreiben in der Medienmitteilung, dass das Hauptziel von SIOP Randomet 2017 sei, die schweren Nebenwirkungen der Chemotherapie vor der Operation zu verringern. Deshalb prüfe diese Studie die derzeitige Standardtherapie vor der Operation gegen eine Vergleichstherapie. Wie sieht eine Vergleichstherapie im Konkreten aus?

 

Dr. med. Sabine Kroiss: In der Standardtherapie wie in der Vergleichstherapie werden Zytostatika eingesetzt mit etwas unterschiedlichem Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil. Von der Standardtherapie weiss man um die guten Heilungschancen. Es werden in der Vergleichstherapie zwei neue Medikamente eingesetzt, von denen man erwartet, dass sie bei gleichbleibender Wirksamkeit weniger Nebenwirkungen hervorrufen.

 

Die Standardtherapie besteht aus kombinierter chirurgischer Entfernung des Tumors, Chemotherapie und Bestrahlung. Das genaue Therapieschema ist vom Tumorstadium und der Tumorhistologie abhängig. Gibt es zu den aktuellen diagnostischen und therapeutischen Massnahmen in der Schweiz eine Leitlinie entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft, an der man sich orientiert?

 

Dr. med. Sabine Kroiss: Genau das ist das Ziel dieser Therapieoptimierungsstudien, sie stellen sozusagen die aktuellen Therapieempfehlungen dar und entsprechen dem anerkannten und erprobten Stand der Wissenschaft. Aufgrund der geringen Anzahl Erkrankungen in einem einzelnen Land ist die internationale Zusammenarbeit in der Kinderkrebsforschung äusserst wichtig. Die Studie werden von internationalen Expertengremien entwickelt, aus den Studienresultaten entsteht dann die jeweils aktuelle Standardtherapie. Leitlinien orientieren sich an diesen Studien.

 

In Ihrer Studie wird untersucht, ob eine Vergleichstherapie, bei der Nebenwirkungen weniger häufig und weniger schwerwiegend auftreten, die Krankheit gleich gut eindämmen kann wie die aktuelle Standardtherapie. Gibt es hier bereits Ansätze und Erfahrungen, die eine Tendenz aufzeigen?

 

Dr. med. Sabine Kroiss: Es ist mit der aktuellen Datenlage nicht zu beantworten, ob die eine oder andere Therapie besser ist. Dies soll mit der Studie überprüft werden. Bei den neuen Medikamenten der Vergleichsbehandlung gibt es Erfahrungen zur Wirksamkeit bei Nephroblastom-Patienten mit Rezidiven und aus anderen Studien. Wenn sich die Vergleichstherapie in der Studie als die bessere Behandlung herausstellt, zum Beispiel gleich wirksam ist bei weniger Nebenwirkungen, dann wird dies die zukünftige Standardtherapie.

 

Ein weiteres Ziel von Ihnen ist die Etablierung eines qualitätssichernden Netzwerks von Referenzgutachten und die Bereitstellung eines Behandlungsplanes auf höchstem wissenschaftlichen Niveau für die restlichen Therapiephasen. War bisher in der Schweiz so etwas gar nicht im Einsatz? Welche „Instrumente“ gab es bisher?

 

Dr. med. Sabine Kroiss: Aufgrund der geringen Anzahl an Erkrankungen ist die Zusammenarbeit länderübergreifend enorm wichtig. Das Einholen von Referenzgutachten in der Behandlung von Kindern mit Krebs stellt eine Qualitätssicherung dar. Ziel der klinischen Studie SIOP Randomet 2017 ist es dabei, diese Referenzgutachten zu standardisieren und, wo möglich, zu verbessern. In der Schweiz werden mittlerweile die meisten Krebserkrankungen bei Kindern im Rahmen von Studien behandelt - die SPOG ist hierfür das Netzwerk für die Kinderonkologischen Behandlungzentren in der Schweiz.

 

Im Deutschsprachigen Raum werden jährlich ca. 100 bis 120 Nierentumore im Kindesalter neu diagnostiziert. 85 % sind Nephroblastome. Patienten im Alter von 6 Monaten bis 16 Jahren werden primär bildgebend ohne Biopsie diagnostiziert und erhalten eine präoperative Therapie. Jüngere und ältere Patienten werden hingegen primär tumornephrektomiert, da bei ihnen der Anteil an anderen Tumoren höher ist. Untersucht Ihre Studie ebenfalls, ob dieses Vorgehen auch weiterhin so Bestand haben muss?

 

Dr. med. Sabine Kroiss: Dieses Vorgehen wird nicht mehr explizit überprüft. Es ist so, dass Kinder unter 6 Monaten generell öfter an Tumoren erkranken, die mit einer alleinigen Operation behandelt werden können (Beispiel mesoblastisches Nephrom). Bei Jugendlichen sollten die Tumore zuerst biopsiert werden, damit die Diagnose gesichert werden kann, da hier andere Tumorarten häufiger vorkommen.

 

Die 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit liegt bei über 90 % und hat im Verlauf der letzten 20 Jahre zugenommen. Trifft dies in Ihrer Praxiserfahrung so zu?

 

Dr. Med. Sabine Kroiss: Das entspricht der Praxiserfahrung, genau, aus der individuellen Erfahrung lässt sich aber keine verlässliche Statistik ableiten. Generell hat sich die Krebsbehandlung in den letzten Jahrzehnten rasant verbessert und wir können heute über 80% der Kinder mit Krebserkrankungen langfristig heilen.

 

Bis wann ist Ihr weiteres Ziel, die Etablierung eines qualitätssichernden Netzwerks von Referenzgutachten und die Bereitstellung eines Behandlungsplanes auf höchstem wissenschaftlichen Niveau für die restlichen Therapiephasen, zu erreichen?

 

Dr. Med. Sabine Kroiss: Beides ist bereits vorhanden, das Ziel der Studie ist die Fortentwicklung und Optimierung der Behandlungspläne und der Referenzgutachten.

 

 

Schweizerische Pädiatrische Onkologie Gruppe SPOG

Die Schweizerische Pädiatrische Onkologie Gruppe SPOG ist ein Verein mit dem Ziel, die klinische (d.h. direkt patientenbezogene) Kinderkrebsforschung zu fördern. Unsere Mitglieder sind Schweizerische Spitalabteilungen, welche Kinder und Jugendliche mit Krebs und Blutkrankheiten betreuen. Sie befinden sich an den Universitätsspitälern in Bern, Basel, Zürich, Lausanne und Genf sowie den Kinderspitälern St. Gallen, Luzern, Aarau und Bellinzona. Weitere Mitglieder sind das Kinderkrebsregister, sowie Vertreter der Kinderchirurgie, der Radiologie und der Pathologie.

Die SPOG ist schweizweit engagiert und pflegt eine intensive Zusammenarbeit mit international führenden Forschungsgruppen.

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