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AT: EU-Ratsvorsitz Tschechien: Energieversorgung muss unabhängig werden

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦                                  

 

Die Energieversorgung in Europa sei unabhängig von russischem Gas sicherzustellen. Das sagte heute der Repräsentant der tschechischen Botschaft in Österreich, Jakub Novák, im EU-Ausschuss des Bundesrats und fügte an, die Dekarbonisierungsstrategie der EU zum Klimaschutz solle dabei keine Abstriche erfahren.

 

Der Kernenergie kommt hier aus tschechischer Sicht große Bedeutung zu. Von den Bundesrätinnen und Bundesräten gab es zwar keine Zustimmung für die tschechische Atompolitik, sie warnten vielmehr davor, Atomkraft als grüne Energieform zu sehen. Einig mit Novák waren sie jedoch in dem Punkt, dass Europa bei der Energiepolitik eigenständiger werden müsse. Dies ist auch eine der Prioritäten, denen sich Tschechien als EU-Ratsvorsitzland im zweiten Halbjahr 2022 verschrieben hat.

 

Ebenso sieht die Tschechische Republik die Bewältigung der Flüchtlingskrise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sowie den Wiederaufbau des überfallenen Landes als vorrangig an. Schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sei Tschechien ein "Magnet für Ukrainer:innen", die legal migrierten, gewesen, berichtete Novàk. Mittlerweile betrage die Zahl an Ukrainer:innen in Tschechien "eine knappe halbe Million". Die tschechische Bevölkerung sieht die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter ungebrochen positiv, getragen vom Bewusstsein, auf der "richtigen Seite zu stehen", so Novàk. Wie auch die Ausschussmitglieder unterstrich der tschechische Gesandte im Zusammenhang mit dem EU-Beitrittsstatus der Ukraine, dass die Beitrittsperspektive der Länder des Westbalkans dadurch keineswegs geschmälert werden dürfe. Prioritär sei weiters die Sicherstellung der Verteidigungsfähigkeit der EU, deren wirtschaftliche Stärkung und die Widerstandsfähigkeit ihrer demokratischen Institutionen.

 

Rethink, Rebuild, Repower

Ein Zitat des ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten und Menschenrechtlers Václav Havel diente als Grundlage für das Motto Tschechiens für seinen Ratsvorsitz, erläuterte Botschaftsvertreter Novàk dem Ausschuss: "Europa als Aufgabe: Rethink, Rebuild, Repower". Letzteren Begriff verknüpfte er mit dem Hinweis, dass als Ratsvorsitzland Tschechien die Bemühungen der EU, gemeinsame Gaseinkäufe zu realisieren, und gemeinsam die Gasvorräte zu füllen, intensiv unterstützen werde. Die Arbeiten am freiwilligen gemeinsamen Einkauf stünden jedoch erst am Anfang, weswegen nach seiner Auffassung die "Mitgliedstaaten auch nationalstaatlich tätig" werden sollten, etwa zur Sicherung von Lieferzugängen für Flüssiggas.

 

Den "Dissens" bei Österreich und Tschechien hinsichtlich Kernenergie, den Ausschussobmann Christian Buchmann (ÖVP/St) verdeutlichte, gebe es, räumte Novàk ein, er betonte aber, dass der engmaschige Informationsaustausch zwischen den beiden Ländern in diesem Bereich EU-weit einzigartig sei. Primärrechtlich könne jedenfalls jeder EU-Mitgliedstaat eigenständig über den von ihm gewählten Energiemix entscheiden. Mittelfristig müsse - ähnlich wie beim Gas - die Abhängigkeit von russischen Brennstäben gelöst werden, bestätigte Novak die Kritik von Johannes Hübner (FPÖ/W) und Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W), Uran sei bislang von keinem EU-Sanktionspaket gegen Russland umfasst gewesen. Vielmehr gebe es eine "Sondererlaubnis" für Lieferungen von russischen Kernbrennstäben. Über die Aufnahme von Atom und Gas in die Klassifizierung für klimafreundliche Investitionen, vulgo "Taxonomie", zeigten sich Ferdinand Tiefnig (ÖVP/OÖ) und Stefan Schennach (SPÖ/W) entrüstet; Österreich werde dagegen klagen. Adi Gross (Grüne/Vbg) unterstrich, dass das Streben nach Versorgungssicherheit nicht dazu führen dürfe, "dass die Ursachenbekämpfung verzögert wird", sich also der Ausstieg aus fossilen Energieformen verlangsamt. Die Grundlage für die Dekarbonisierung in der EU bildet das "Fit für 55-Paket" der Union, wonach die EU bis 2030 ihre Emissionen um mindestens 55% reduzieren soll.

 

EU-Länder müssen am Energiemarkt kooperieren

Um eine Neugestaltung der Energieversorgung in der EU ging es auch beim zweiten Tagesordnungspunkt der heutigen Ausschusssitzung, als die Bundesrätinnen und Bundesräte eine Mitteilung der EU-Kommission über die Energiemärkte debattierten. Darin werden die Maßnahmen erläutert, mit denen die Europäische Union den Mitgliedstaaten helfen will, den hohen Energiepreisen für Haushalte und Unternehmen durch Maßnahmen im Gas- und im Stromsektor beizukommen. Hinsichtlich der staatlichen Abschöpfung und sozialen Umverteilung der Übergewinne von Energiekonzernen, die mit geringeren Grenzkosten als fossile Erzeuger produzieren, meinte im Ausschuss ein Vertreter des Klimaschutzministeriums (BMK), dass das in Österreich teilweise bereits umgesetzt sei. So hätten Energieunternehmen auf Grundlage des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes Überförderungen, die sich durch die hohen Preise am Markt ergeben, zurückzuzahlen.

In einer mehrheitlich vom Ausschuss abgelehnten Stellungnahme erneuert die FPÖ vor dem Hintergrund der Energiekrise ihre Kritik an den Sanktionen gegen Russland, die mehr der EU als dem sanktionierten Land schaden würden, wie Johannes Hübner (FPÖ/W) und Andreas Arthur Spanring (FPÖ/St) ausführten. Die Bilanzen der Energiehändler zeigten hohe Gewinne, "auf Kosten der Allgemeinheit", ortete Hübner ein "eklatantes Marktversagen".

 

Gas: Gespräche über gemeinsamen EU-Einkauf laufen

Konkret schlägt die Kommission vor, über die EU-Energieplattform auf freiwilliger Basis eine gemeinsame Gas-Beschaffung zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang liefen derzeit auf EU-Ebene "Gespräche mit alternativen Lieferanten", erläuterte der BMK-Experte auf Fragen von Sebastian Kolland (ÖVP/T) und Günther Novak (SPÖ/K), wie weit das Projekt gediehen sei. Die komplexe Preisgestaltung am Energiemarkt thematisierten Adi Gross (Grüne/Vbg) und Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W), wobei Gross folgerte, dass die Konsequenzen nationalstaatlicher Markteingriffe "schwer kalkulierbar" seien. Grundsätzlich hielt er aber die Notwendigkeit sozialer Maßnahmen fest, um die massiven Preissteigerungen für vulnerable Gruppen abzufedern.

 

EU-Maßnahmen bei vollständiger Unterbrechung der Gasversorgung

Im Falle einer vollständigen Unterbrechung der russischen Gaslieferungen hätten die Mitgliedsstaaten ihre Notfallpläne anhand der EU-Vorsorgeüberprüfung zu aktualisieren, gibt die EU-Kommission zu bedenken. Erleichtern will die Kommission die Erstellung eines koordinierten EU-Plans zur Verringerung der Nachfrage mit präventiven freiwilligen Begrenzungsmaßnahmen. Dazu sollten weniger betroffene Mitgliedstaaten ihre Gasnachfrage zugunsten der stärker betroffenen Mitgliedstaaten reduzieren. Begleitend könnte nach Ansicht der Kommission als Reaktion auf eine vollständige Versorgungsunterbrechung eine administrative Preisobergrenze für Gas auf EU-Ebene erforderlich werden. Im Falle ihrer Einführung sollte eine solche Obergrenze auf die Dauer des Notfalls in der EU begrenzt sein und die Fähigkeit der EU, alternative Bezugsquellen für Pipelinegas- und Flüssiggas-Lieferungen zu erschließen und die Nachfrage zu verringern, nicht beeinträchtigen. Laut Kommission fußen ihre Empfehlungen auf dem jüngsten Bericht der Agentur für die Zusammenarbeit der europäischen Energieregulierungsbehörden (ACER).

 

Aus Sicht des Klimaschutzministeriums müssten Preisobergrenzen für den Handel mit Gas in der EU jedenfalls unionsweit in allen Marktsegmenten umgesetzt werden, um zielführend zu sein. Auch außerbörslich gehandelte bilaterale Verträge seien mitzunehmen, da sich der der Handel sonst in den unbeschränkten Bereich verschiebe, zuungunsten der Liquidität an den organisierten Handelsplätzen. Generell bestehe bei EU-Preisobergrenzen die Gefahr, dass Anbieter Gas zu höheren Preisen außerhalb Europas verkaufen.

 

Interventionsmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten auf den Strommärkten

Zu den Maßnahmen der Teuerungsabfederung auf den Strommärkten rät Brüssel, die Möglichkeit vorzusehen, Übergewinne von Energiekonzernen zur Unterstützung der Verbraucherinnen und Verbraucher umzuverteilen und regulierte Endkundenpreise vorübergehend für kleine und mittlere Unternehmen festzulegen. Für Regionen mit sehr begrenzter Verbindungskapazität könnte der Strompreis durch Subventionen für die Brennstoffkosten der Stromerzeugung gesenkt werden, meint die Kommission. Allerdings müssten derartige Regelungen mit den EU-Verträgen vereinbar sein, etwa in Bezug auf Vorschriften über staatliche Beihilfen. Aus österreichischer Sicht ist dieser Zugang laut BMK problematisch, weil am vernetzten EU-Strommarkt dadurch Energie aus Preiszonen mit durch staatliche Subvention reduzierten Preisen in höherpreisige Zonen transferiert werden könne.

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 

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