RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Ein schwerer Unfall

Potrait von Olivia Aloisi
Potrait von Olivia Aloisi

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦                        Potrait von Olivia Aloisi 

 

Ein schwerer Unfall! 76 Kolumnen lang wurden meine Texte von meinem Porträt begleitet, dass aus der Feder von Olivia Aloisi stammte. Nun ziert sie zum ersten Mal das Titelbild. In einem schaurig schönen Sommermärchen rollen wir die letztjährigen Ereignisse um ein schwerwiegendes Unglück auf, das ihr im April 2021 zugestossen ist. Aber lest selbst. Herzlich willkommen zu meiner neuen Kolumne.

 

Kennt Ihr den Moment, kurz bevor man die Augen öffnet und die Welt eine wohlige ist? Soeben hat man mehrere Stunden in der Waagrechten verbracht. Seitwärts, die Beine angewinkelt, die Arme um das Kissen gewickelt und den Kopf darin vergraben. Dieses Gefühl des Glücks, der Wärme und der Geborgenheit, in dem man noch eine Weile verbleiben möchte. Und sich deshalb nicht von der Stelle rührt, auch wenn man längst schon wach ist.

 

Genau so erging es Olivia an diesem Morgen. Bevor sie aus dem Bett springen würde, wollte sie noch einige Minuten vor sich hindösen. Der Wecker hatte zum guten Glück noch nicht geklingelt... Und dann drangen nach und nach diese seltsamen Geräusche an ihr Ohr.

 

Hinter der Wand schien ein breiter Flur sein Unwesen zu treiben. Nicht gerade wie auf dem Flughafen, wo sich solche mit grosser Eile fortbewegen. Auf ihnen die Passagiere, die sehnsüchtig darauf warten, den festen Boden unter ihren Füssen zu verlassen. Oder, nach langer Reise, endlich, endlich anzukommen. Aber dennoch schienen sich ihr hinter ihrem Kopf laufend irgendwelche Leute zu nähern und wieder zu entfernen. Ja, hin- und wieder klang es sogar so, als ob man quietschende Betten auf einem Gang verschieben würde. Und im Zimmer selbst konnte sie nun ganz deutlich schwere Atemzüge ausmachen...

Leopold! Mein Gott, Leopold schoss es ihr durch den Kopf! Er hatte sich doch nicht etwa erkältet? Dabei achtete sie jeden Abend darauf, ihren Plüschleoparden gut einzudecken. Seine Schlafkappe über beide Ohren hinunterzuziehen und insbesondere im Winter seinen Nacken mit einem selbstgestrickten, gelben Schal zu umhüllen. Im Winter, da tranken sie vor dem Schlafen oftmals noch eine Tasse heisse Schokolade... Es war doch Winter, oder?

 

Ganz langsam hob sie nun ihr rechtes Auge hoch, das höher lag und somit eine bessere Aussicht bot. Vor ihr erstreckte sich ein weisses Segel. Ein unendlich weisses Segel, das sie mit sanfter Stimme dazu aufforderte, sich doch auf den Rücken zu drehen. Und dann stand er da, dieser Engel mit seinen blond gelockten Haaren, den roten Lippen und den weit gespannten Flügeln. In der Hand hielt er ein grosses, langes, funkelndes und scheinendes... Thermometer. Kein Schwert? Oder zumindest eine weisse Lilie? Die andere Hand auf ihre Stirn gelegt, verkündete er von einem zurückliegenden Ereignis, das die Welt aus den Fugen gehoben hatte. Ihre Welt, ihre kleine Welt war beinahe durch einen Fahrradunfall zerstört worden.

Offenbar hatte sie ihr himmelblaues Damenfahrrad so richtig in die Scheisse geritten. Dabei sah es doch so unschuldig aus, mit seinem kleinen süssen Sattel, den dazu passenden Handgriffen und dem geflochtenen Korb auf dem Gepäckträger.

 

Ein Gehirntrauma mit Hirnverletzungen hätte sie erlitten. Die Platzwunde an der Schläfe sei genäht und die blutdurchtränkte Mütze gewaschen. Aber das, was sich im Inneren ihres Kopfes abspiele, dass könne sie noch eine ganze Weile beschäftigen...

 

Ungläubig starrte Olivia die weisse Erscheinung an und fragte sich, ob es sich hier nicht um ein grosses Missverständnis handelte... Denn an einen Fahrradunfall konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern. Ja, sie konnte sich nicht einmal richtig daran erinnern, gestern Abend mit dem Velo losgefahren zu sein... Alles was sie noch wusste, war, dass sie beim Verlassen des Hauses bemerkte, wie einige Tropfen vom Himmel fielen und sie dachte, dass es bald zu regnen beginnen würde...

 

Dies sollte den ganzen Tag so bleiben. Aber nicht nur den ganzen Tag, sondern die ganze Woche, die Woche darauf und auch die folgenden Monate. Olivia litt an einem Gedächtnisschwund. Sie hatte keine Ahnung, was sich in der Nacht ihres Unfalls zugetragen hatte. Und nicht nur diese Nacht war aus ihrem Gedächtnis gestrichen, sondern gar manch andere Dinge auch. Dieser Zustand, des sich nicht erinnern Könnens würde sie noch lange beschäftigen...

 

In der Zwischenzeit hatte sich Leopold grosse Sorgen gemacht, denn Olivia war unauffindbar. Spurlos war sie verschwunden... Einem Urinstinkt folgend, hatte er seine Lieblingsdecke zerbissen, den Katzenbaum in kleine Stücke zerlegt und sämtliche Kekse, die er in der Küche finden konnte, verdrückt. Erst der Anruf aus dem Unispital Basel konnte ihn einigermassen beruhigen. Als er sie dann am späten Abend von der Klinik abholte, musste sie im Rollstuhl nach Hause gebracht werden.

 

Bei allfälligem Auftreten von starken Kopfschmerzen und/oder Übelkeit solle sie sich unverzüglich wieder in den Notfall begeben. Diese Nachricht im silbrigen Geschenkpapier verpackt und mit einer grossen roten Schlaufe versehen, wurde ihr vom Chefarzt persönlich übergeben. Die dabei anwesende Blaskapelle war angehalten den Marsch nicht ganz so laut zu spielen. Dafür glänzten die Majoretten mit einer ganz wunderbaren Showeinlage, während Leopold Olivia über den roten Teppich aus dem Spital hinausschob.

In diesem feierlichen Moment hatten sie keine Ahnung, dass Olivia in nur sieben Tagen wieder im Notfall landen würde. Und in vierzehn Tagen gleich nochmals...

 

Hat Euch die Geschichte bis anhin gefallen? Falls ja, geht es nächste Woche weiter.

Ganz liebe Grüsse - Euer Alon

 

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