RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Ein schwerer Unfall Teil II

Potrait von Olivia Aloisi
Potrait von Olivia Aloisi

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦                        Potrait von Olivia Aloisi 

 

Fahrradhelme schützen uns bei Unfällen. Warum zum Teufel hatte sie dann keinen getragen? Sonst hatte sie doch auch immer einen an. Eine müssige Frage, aber dennoch eine, die ihr unablässig im Kopf herumspukte. Herzlich willkommen zum zweiten Teil meines schaurig schönen Sommermärchens, das sich als Kolumnen Serie tarnt. Wer den ersten Teil verpasst hat, kann ihn hier gerne nachlesen: https://bit.ly/3cC7FDP

 

Und dabei, hatte sie doch einen wunderschönen von Yakkay. Einer Firma, die sich darauf spezialisiert hatte, Fahrradhelme unter besonders gelungenen Hutimitationen zu verstecken. Von solchen, die an Reitkappen gemahnten bis zu Schirmmützen, Strohhüten und eleganten Kopfbedeckungen, die die Frau von Welt an Galadinners trug, bot das Modeunternehmen eine grosse Palette zur Auswahl an. Olivias breitkrempige Version aus schwarzem Filz, war eine Spezialanfertigung und hatte nicht nur einen Durchmesser von 90 cm, sondern wurde auch von einer riesigen weissen Masche gekrönt. Seltsamerweise, hatte sie auch die schwarzen Handschuhe, die ihr bis zum Ellenbogen reichten, zu Hause gelassen. Wie auch das silberne Zigarettenetui, ihre katzenaugenartigen, dunklen Sonnenbrillen und das schwarz-weiss karierte Halstuch. Wohin wollte sie an diesem Abend bloss hin? Was war so wichtig gewesen, dass sie so überstürzt ihre Wohnung verlassen hatte? Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern...

 

In der Woche nach der Einlieferung in die Notfallaufnahme hatte sie hauptsächlich geschlafen. Fast durchgehend, pausenlos. Unterbrochen nur von wilden Gedanken und Leopolds liebevoller Fürsorge. Ihre wenigen Gespräche kreisten nur um ein einziges Thema: ihren Unfall. Leopold war der festen Meinung, dass an diesem Abend ein besonders schöner Sonnenuntergang die Stadt beseelt hatte und sie hinauswollte, um ihn besser einzufangen. Aus dem überwältigten Rot liess sich Zinnober herstellen, wodurch manche Bilder an Tiefe gewinnen würden. Und aus dem erlegten Gelb könnte man Ocker erzeugen, um die Strahlkraft des Gemalten zu erhöhen. Die so produzierten Farbpigmente wären natürlich viel effektvoller als diejenigen aus dem Kaufhaus und würden ihre Palette optimal ergänzen. So wirklich überzeugte Olivia diese Theorie allerdings nicht...

 

Zum Ende der Woche, stellten sich dann die versprochenen Kopfschmerzen ein. Aus dem Nichts. So, wie ungebetene Verwandte. Sie erschienen in der Nacht und überfielen ihre Stirn. Es fühlte sich an, als ob ihr jemand ein rostiges Messer senkrecht über den Kopf gezogen hätte und dieses auf der Höhe des Ohransatzes stecken geblieben wäre. Alles, was sich vor der Klinge abspielte, befand sich in heller Aufruhr. Panzer und Kanonen blitzten und donnerten, dass einem klamm und bang wurde, und ein ganzes Kavallerieregiment galoppierte ununterbrochen zwischen ihren Lauschern hin und her. Hinter der Scheide war die Welt verstummt und fühlte sich seltsam taub an. Ihr Kopf schien wie gespalten.

 

Leopold reagierte sofort und brachte sie wie im silberverpackten Geschenk des Chefarztes angeordnet (siehe erster Teil der Geschichte), zurück in den Notfall. Das Einzige was ihr von diesem Aufenthalt in Erinnerung blieb, war, dass der Taxichauffeur sie in die Station hineinbegleitet hatte und die Schlussdiagnose der Neurologin, das heisst der Austritt. Dass sie da einen ganzen Tag herumlag, eine Computertomographie gemacht wurde und sie wahrscheinlich auch etwas zu essen bekommen hatte, diese Ereignisse waren wie aus ihrem Gedächtnis gelöscht.

 

Als ob jemand einen Wecker gestellt hätte, erlitt sie exakt eine Woche später nochmals zwei Anfälle. Der erste erfolgte wieder in der Nacht. Nur handelte es sich dieses Mal nicht um alles zertrümmernde Kopfschmerzen, sondern um eine einseitige Lähmung. Schlagartig wachte sie auf und stellte fest, dass sie die Fingerspitzen ihrer linken Hand nicht mehr spürte. Und dann, begann es zu wandern... Zu ihrem grossen Schrecken, setzte die Taubheit dazu an, ihren Körper zunächst hoch und dann hinunterzukriechen. Von den Fingerspitzen in die Glieder und von da in die Handfläche, den Unterarm, den Ellenbogen, den Oberarm, die Schulter, den Rücken hinunter, am Gesäss vorbei und in das Bein hinein war gerade ein totes Wesen dabei sich in ihrem Körper auszubreiten. Man kann sich das Unbehagen, den Schock, das Grauen das sie befiel, nicht genügend ausmalen.

 

Nach nur fünfzehn Minuten war der Spuk vorbei. In der nun eintretenden Stille, dachte sie zuerst an einen Herzinfarkt, aber Google setzte zur Entwarnung an... So schlief sie erschöpft wieder ein und hätte den Vorfall bestimmt vergessen, hätte er sich nicht am darauffolgenden Nachmittag wiederholt.

 

So schnell war noch keine Ambulanz in den Notfall des Basler Universitätsspitals geflogen. Mit weit ausgespreizten Flügeln und Leopold aufrecht im Nacken sitzend hielt die Ambulanz Olivia fest in ihren Krallen. Und liess erst von ihr, als sie sicher vor dem riesigen Tor ankamen. Nach einem mehrstündigen MRI und nicht weniger lange dauernden EEGs wurde festgestellt, dass die sich bei ihrem Unfall zugezogene Gehirnverletzung eine Epilepsie verursacht hatte. Diese sei wohl nur temporär, genau könne man dies aber nicht sagen... Diese Anfälle sollten sich nicht wiederholen. Während einem Jahr konnte sie aber weder Auto- noch Fahrradfahren, weder Schwimmen noch irgendwelche Gewässer betreten und an keinen Wanderungen oder sonstigen sportlichen Aktivitäten teilnehmen. Die Medikamente gegen Epilepsie, die zahlreichen Schmerz- und Schlafmittel nimmt sie bis heute ein.

 

Das schlimmste aber war, der Verlust ihrer Erinnerung, derjenige ihres Wortschatzes und eine sich einstellende Sehstörung. Plötzlich fehlten ihr nicht nur die Worte, sondern auch...

Weiter, geht es nächste Woche.     

 

Ganz liebe Grüsse - Euer Alon

 

Hier findet Ihr mich auf Social Media:

Facebook: Alon Renner

Instagram: alon_renner

Inhalte von Powr.io werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell und Marketing), um den Cookie-Richtlinien von Powr.io zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Powr.io-Datenschutzerklärung.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0