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AT: Kaufkraftverlust bei armutsgefährdeten Haushalten

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦                                    

 

Dem Nationalrat liegt erstmals ein Bericht zur Inflationsentwicklung vor. Darin unterstreicht die im März 2022 eingerichtete Expert:innengruppe zur Beobachtung und Analyse der Inflationsentwicklung, dass der Anteil jener, die sich die Befriedigung von Grundbedürfnissen nicht leisten können, weiterhin ansteigen wird.

 

Demgegenüber werden laut Bericht die Preissteigerungen für Menschen mit höheren Einkommen ein geringeres Problem darstellen.

Die Expert:innen aus rund 20 Institutionen, insbesondere Vertreter:innen von Bundesministerien, Interessensvertretungen und unabhängigen Expert:innen-Organisationen, haben 105 Vorschläge zur Bekämpfung der Inflation eingebracht, diskutiert und kommentiert. Der Bericht zeigt zudem erste Einschätzungen zur Entwicklung der Teuerung sowie zu potenziellen Gegenmaßnahmen (681 d.B.). Die Expert:innengruppe hat im Vorfeld zwei Sitzungen abgehalten und den vorliegenden Bericht gelegt.

Im Vordergrund der vorgenommenen Bewertung stand die Beurteilung der sozialen Treffsicherheit der Maßnahmen, unter der Prämisse, dass Menschen mit geringen Einkommen und fehlenden Ersparnissen besonders stark von den Auswirkungen der Teuerung betroffen sind. Auch die fiskalische Nachhaltigkeit wurde dabei berücksichtigt. Die meisten Vorschläge betreffen einkommensstützende Maßnahmen für private Haushalte, beispielsweise die Erhöhung oder Wertanpassung von Sozial- und Familienleistungen sowie die Abschaffung der kalten Progression. Die Vorschläge haben keine Bindungswirkung. Sie sollen der Politik als weitere Entscheidungsgrundlage dienen.

 

24,8% aller armutsgefährdeten Personen sind Kinder

Laut Bericht sind 20% aller Kinder von 0 bis 17 Jahren armutsgefährdet. In Zahlen handelt es sich dabei um 320.000 Kinder in Österreich, deren Haushalt armutsgefährdet ist. Die Expert:innen ziehen daraus Schlüsse für potentielle Maßnahmen gegen die Teuerung. Wird beispielsweise die Familienbeihilfe für alle Familien erhöht, würden 80% der Mittel bei Kindern ankommen, die nicht armutsgefährdet sind, so der von Sozial- und Finanzministerium erstellte Bericht.

Die Exptert:innen beziehen sich des Weiteren auf Studien, wonach die Konsumausgaben in den ärmeren Haushalten im Durchschnitt höher sind als die verfügbaren Einkommen. Dies bedeute, dass der Anteil jener, die sich die Befriedigung von Grundbedürfnissen nicht leisten können, weiterhin ansteigen werde. Steigende Preise führen bei ärmeren Haushalten laut Analysen tatsächlich zu Konsumverzicht bzw. zu steigender Konsumverschuldung.

 

Für Menschen mit höheren Einkommen würden die Preissteigerungen ein geringeres Problem darstellen. Erst ab dem 4. Einkommensdezil decke das Einkommen die Konsumausgaben. Zur Bildung der Einkommensdezile werden die Haushalte anhand ihrer gewichteten Einkommenshöhe in zehn gleich große Gruppen geteilt. Im untersten Dezil (1. Dezil) befinden sich somit die 10% der Haushalte mit dem geringsten Einkommen, im obersten bzw. 10. Dezil die 10% der Haushalte mit dem höchsten Einkommen. Bei den wohlhabendsten 10% der Haushalte werde das verfügbare Einkommen zu 60% für die Konsumfinanzierung ausgegeben. 40% der Einkommen können hier gespart werden. Haushalte mit höheren Einkommen könnten demnach auch bei Preisanstiegen ihren Lebensstandard aufrechterhalten, so die Einschätzung der Expert:innen. Steigende Preise würden hier zulasten der Ersparnisbildung gehen.

 

Kaufkraftverlust und soziale Treffsicherheit von Maßnahmen

Die Expert:innengruppe widmete sich ebenfalls der sozialen Treffsicherheit von Maßnahmen, da Menschen mit geringen Einkommen und fehlenden Ersparnissen besonders stark von den Auswirkungen der Teuerung betroffen seien. Auf Basis der Wirtschafts- und Inflationsprognosen des WIFO vom März 2022 schätzte das Finanzministerium den Kaufkraftverlust der Konsument:innen im Jahr 2022 auf 12 Mrd. €. Der Gesetzgeber habe bereits auf den Preisanstieg reagiert und Abfederungsmaßnahmen im Umfang von 4,37 Mrd. € gesetzt.

 

Laut dem im Juni 2022 veröffentlichten Bericht weist die Inflation gemäß dem Verbraucherpreisindex (VPI) seit dem dritten Quartal 2021 einen Anstieg auf, die seit fast 50 Jahren in Österreich nicht mehr beobachtet wurde. Für Mai 2022 wurde von Statistik Austria die Inflationsrate auf 8,0% geschätzt und ist weiter gestiegen. Die Schnellschätzung der Statistik Austria für die Inflation im Juli 2022 ergab eine Inflationsrate von 9,2%. Grund für diese Entwicklung sei vor allem der massive globale Anstieg der Preise für Energie und Rohstoffe. Laut Bericht trug auch die Pandemie dazu bei und der Angriff Russlands auf die Ukraine verschärfe diese Lage.

 

Im europäischen Vergleich lag der vergleichbare Inflationswert (HVPI) Österreichs im April bei 7,1% und lag damit im unteren Viertel der Inflationsraten aller EU-Länder. Die Inflationsrate der Europäischen Union (laut HVPI) lag bei 8,4%. Besonders stark wirkte sich dabei der Bereich Energie mit einer Jahresinflationsrate von 37,5% aus. Die niedrigsten jährlichen Raten wurden in Frankreich, Malta (jeweils 5,4%) und Finnland (5,8%) gemessen. Die höchsten jährlichen Inflationsraten traten in Estland (19,1%), Litauen (16,6%) und Tschechien (13,2%) auf.

 

2021: 369.000 Menschen konnten Wohnung angemessen warm halten

Dass sich insbesondere armutsbetroffene und armutsgefährdete Haushalte in Österreich die Mehrausgaben durch die hohen Preissteigerungen nicht leisten können, zeige sich bei finanziellen Konsumeinschränkungen, so der Bericht. Zum Jahresende 2021 seien 1,7 Mio. Menschen (28% der Bevölkerung) nicht in der Lage gewesen, unerwartete Ausgaben von 1.300 € aus eigenen Mitteln zu bezahlen, ohne etwas zu leihen oder in Raten zu zahlen.

 

Regelmäßige kostenpflichtige Freizeitaktivitäten (z.B. Sport, Konzerte, Kino, Restaurant) konnten sich 17% nicht leisten. Rund 12% konnten abgenützte Möbel aus finanziellen Gründen nicht ersetzen. Sich jede Woche kleinere persönliche Ausgaben zu leisten (z.B. für eine Kinokarte oder ein Eis), war für 628.000 Personen (10% aller Befragten) nicht möglich.

 

369.000 Menschen konnten es sich im November und Dezember 2021 nicht leisten, ihre Wohnung angemessen warm zu halten. Das entspreche einem Anteil von 6%. 363.000 konnten sich 2021 laut Bericht aus finanziellen Gründen keine angemessene Ernährung (jeden zweiten Tag eine warme Hauptmahlzeit mit Fleisch/Fisch oder vegetarisch) leisten. Als Datenquelle wird im Bericht die Statistik Austria genannt.

 

Entlastungspaket I wirkt für Geringverdiener:innen

Der Bericht geht auch auf die bisher gesetzten Entlastungsmaßnahmen ein. Mit dem Entlastungspaket I (Energiekostenausgleich, Teuerungsausgleich für vulnerable Gruppen, Aussetzung des Erneuerbaren-Förderbeitrags) werden laut einer Analyse des parlamentarischen Budgetdienstes insbesondere Personen im 1. bis 3. Einkommensdezil begünstigt. Den Energiekostenausgleich von 150 € würden alle Haushalte bis zum 9. Dezil erhalten. Vom Entfall der Erneuerbaren-Förderung würden mit Ausnahme der bereits vorher befreiten Niedrigeinkommensbezieher:innen alle Haushalte und Unternehmen profitieren.

 

Das Entlastungspaket II (Senkung der Erdgas- und Elektrizitätsabgabe, Pendlerpauschale- & -Euro, Preissenkungen im öffentlichen Verkehr, Agrardiesel-Kostenausgleich) begünstigte den Strom- und Gasverbrauch. Die Maßnahmen für Pendler:innen/Mobilität hätten keinen direkten sozialpolitischen Bezug, stellte die Expert:innengruppe fest. Durch die Änderungen bei den Werbungskosten für Pendeln ergebe sich eine (befristete) Entlastung von 400 bis etwa 1.000 €/Jahr. Der höchste Wert der Entlastung trete ab dem 8. Einkommensdezil ein. Über die Negativsteuer würden aber auch niedrige Einkommen begünstigt. Die Förderung des Ausstiegs aus fossilen Energieträgern setze in der Regel einen finanziellen Eigenbeitrag der Unternehmen voraus, stellten die Expert:innen fest.

 

105 Vorschläge zur Bekämpfung der Inflation

Insgesamt werden 105 Maßnahmen zur Bekämpfung bzw. Abfederung der Inflation durch die Mitglieder der Expert:innengruppe vorgeschlagen. Diese Vorschläge und Ideen beinhalten sowohl kurzfristige als auch langfristige, strukturelle Maßnahmen.

 

Die meisten Vorschläge betreffen einkommensstützende Maßnahmen für private Haushalte. Breit wirken würden sowohl die Vorschläge zur Erhöhung oder Wertanpassung von Sozial- und Familienleistungen wie auch verschiedene Vorschläge zur Abschaffung der kalten Progression, heißt es. Weitere Maßnahmen beziehen sich auf das Nachjustieren bestehender Hilfen. Außerdem wurden Vorschläge zur Senkung von Arbeitnehmer:innenbeiträgen, für steuer- und SV-befreite Prämien und steuerliche Entlastungen spezifischer Gruppen (Pensionist:innen, Kinder und Jugendliche, Arbeitnehmer:innen, Pendler:innen) diskutiert. Einige der Maßnahmenvorschläge seien spezifisch auf Bezieher:innen geringer Einkommen ausgerichtet. Viele Maßnahmen sollen private Kaufkraftverluste kompensieren. Die budgetären Kosten wären bei den meisten Maßnahmen erheblich.

 

Es werden auch einige preissenkende/inflationsdämpfende Maßnahmen zu Energieprodukten bzw. Lebensmittel vorgeschlagen, etwa durch die Senkung der Umsatzsteuer. Wobei dem möglichen temporären dämpfenden Effekt auf die Inflationsrate (sofern die Steuersenkung an die Verbraucher:innen weitergegeben wird) Argumente der sozialen Treffsicherheit und der hohen budgetären Belastung gegenüberstehen würden.

 

Weitere Vorschläge betreffen u.a. die Verschiebung von Mieterhöhungen, Preisdeckelungen, Senkung von Gebühren und die Verbilligung des KlimaTickets. Außerdem werden Vorschläge zur Unterstützung der Unternehmen und der Landwirtschaft eingebracht. Diese betreffen die dauerhafte Senkung von Arbeitgeberbeiträgen, sonstige steuerliche Maßnahmen bzw. Energiekostenunterstützung sowie Pauschalzahlungen für die Landwirtschaft und Haftungen. 

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 

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