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Die Gaskrise ist zu teuer, um sie weiter ohne jedes Grundverständnis zu diskutieren

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Ich hatte Anfang Juli die Gaskrise als komplexeste ordnungspolitische Aufgabe seit Jahrzehnten bezeichnet und die jährlichen Kosten auf einen dreistelligen Milliardenbetrag beziffert: https://dirkspecht.de/…/das-management-der-gaskrise…/

 

Es zeichnet sich leider ab, dass beide Eckwerte der Bewertung eintreten werden. Das bedeutet: Die Finanzkrise war bereits so teuer, wie keine vorher, die Corona-Krise war nochmals teurer und selbst das wird nun übertroffen. Die Menschen spüren das im vorliegenden Fall ganz besonders, weil es die eigene Energierechnung und auch die Preise in der Breite nun betrifft. Teilweise sind die Preissprünge nicht mehr kompensierbar, beängstigend sind sie in jedem Fall. Die Frage, wie das weiter geht, dürfte wohl an keinem spurlos vorbei gehen.

 

Anfang Juli hatte ich auch die Befürchtung geäußert, dass wir wie in den Krisen zuvor keine wirklich angemessene Debatte über die Krisenbewältigung, die Maßnahmen und deren Kosten erreichen werden. Auch das zeichnet sich leider ab. Viele aus der Politik nutzen das Thema schonungslos für die eigene Agenda. Leider muss man der Regierung vorwerfen, zu wenig Aufklärung dagegen zu setzen. Entscheidende Punkte bleiben unklar, Transparenz besteht nur mit viel eigener Recherche und die leistet nicht jeder. Die Medien berichten – auch deshalb – gerne über Mängel der Rettungsmaßnahmen, statt diese zunächst mal wirklich vollständig und korrekt zu erklären, was die Kernaufgabe und übrigens auch die journalistische Basis für jede Kritik wäre. Das Netz ist in Folge dessen voller unsäglicher Schimpftiraden über die hohen Preise, die Subvention von Großkonzernen und die Verschwendung von Geld zulasten der kleinen und zugunsten der tiefen Taschen. Natürlich ist das willkommene Nahrung für die politische Agenda rund um die Sanktionen, Nord Stream II und andere Themen, die in dem Zusammenhang gerne als ursächlich oder als Lösung genannt werden.

 

Kein Wirtschafts- oder Finanzminister wollte in den Jahren ab 2008 zweistellige Milliardenbeträge mobilisieren, um die ausgerechnet in Großbanken zu stecken. So will heute auch niemand Energiekonzerne oder deren Eigner mit noch höheren Beträgen bereichern. Die Intention ist in beiden Fällen richtig und leider notwendig: Die Stabilisierung der Versorgung durch eine systemrelevante Branche. Damals die Geld- und Kreditversorgung, heute die Gasversorgung und damit eine Säule unserer Energieversorgung. Wer diese Intention bezweifelt und dazu nicht mal einen Beleg liefert, hat schon beim Eingang den Ausgang einer angemessenen Debatte gewählt.

 

Dabei ist der Streit über die Frage, wie man diese Stabilisierung vornimmt, welche Kosten dabei in Kauf zu nehmen sind, wie die zu minimieren und vor allem zu verteilen sind, natürlich essentiell. Genau das findet aber kaum statt. So entsteht eine Gerechtigkeits-, Neid- und Verteilungsdebatte, die sich leider um viele Ankerpunkte dreht, die gar nicht existieren oder irrelevant sind.

 

Zum wie: Bereits vergessen ist, dass die Stützungsmaßnahmen keinesfalls bei Uniper begonnen haben, sondern bei der Gazprom Germania, die jetzt schon zehn Milliarden erforderte – und damit ist sehr wahrscheinlich nicht Schluss (https://dirkspecht.de/…/weitere-zehn-milliarden…/).

Alleine für Uniper wurden 15 Milliarden bereitgestellt, die teilweise Eigenkapital sind, teilweise Kredite. Das Unternehmen hat jedoch bereits eine Hochrechnung vorgelegt, die leider zeigt: Das wird nicht reichen. Es werden momentan noch vor Inkrafttreten der Gasumlage Anfang Oktober weitere 6,5 Milliarden Fehlbetrag erwartet.

 

Der Staat stützt also mit Beteiligungen, Krediten und Mischformen – Kredite mit Wandlungsrechten – bisher direkt den wichtigsten Infrastrukturbetreiber Gazprom Germania sowie den größten Gashändler, Uniper mit einem bisherigen Gesamtbetrag jenseits von 30 Milliarden. Das Geld stammt teilweise aus Steuermitteln oder es wird über Kreditlinie durch die staatseigene KfW bereit gestellt. Solche Maßnahmen kennen wir aus der Finanzkrise und jüngst beispielsweise von der Lufthansa. Die Frage, welche Kosten letztlich beim Steuerzahler hängen bleiben, lässt sich erst in Zukunft beantworten – das hängte maßgeblich von der Rückführung der Kredite ab. Dass damit die fraglichen Unternehmen oder deren Besitzer geschützt, entschädigt oder gar bereichert werden, hat sich in keinem Fall ergeben. Das Chart anbei zeigt die aktuelle Bewertung Fall Uniper: Zumindest schätzt die Börse es anders ein, da ist außer gigantischen Wertverlusten nichts in Sicht.

 

Leider wird über die konkreten Verträge nicht viel veröffentlicht, aber die bisherigen Beispiele zeigen schon, dass die damit befassten Leute in den Ministerien keine Anfänger sind und harte Konditionen aushandeln. Die oben genannten Schadenssummen sind durch Fehler im Vorfeld entstanden, sie den jetzt Handelnden zuzuordnen, ist nicht sachgerecht. Es wird an der Stelle auch zu viel über die „technische“ Gestaltung gesprochen. Viele profilieren sich damit, es wäre viel besser gewesen, beispielsweise Uniper in eine kurze Insolvenz zu schicken und dann vollständig durch den Staat zu übernehmen. Das sind Fragen, die sich von außen kaum wirklich beurteilen lassen. Die USA haben das beispielsweise bei General Motors mal genau so gemacht, in vielen anderen Fällen während der Finanzkrise aber eben nicht. Bei GM übrigens primär aus arbeitsrechtlichen Gründen, um also mit Entlassungen oder Gehaltsanpassungen anders umgehen zu können. Das gilt als der wesentliche Vorteil dieses Verfahrens – und man sollte vielleicht mal innehalten, bevor man darüber schreibt. Tatsächlich können die Interessen des Staats und des Steuerzahlers auch durch die vorliegenden Formen „technisch“ ausreichend abgebildet werden und es ist davon auszugehen, dass da keine wesentlichen Fehler gemacht wurden. Mehr Information wäre wie gesagt wünschenswert, aber das ist Handwerk und es ist bisher von den zuständigen Ministerien professionell gemacht worden.

 

Die Hoffnung besteht nun darin, dass mit der Gasumlage ab Oktober keine weiteren direkten Hilfen notwendig werden. Die soll bis zum Frühjahr weitere 34 Milliarden an direkten Hilfen für die Gasimporteure liefern, davon etwas mehr als die Hälfte für Uniper. Man sieht also, dass Uniper mit Abstand der größte Problemfall ist, weshalb die staatliche Intervention wohl angemessen war, aber die übrigen Händler wären demnach mit einem Defizit im Bereich von 16 Milliarden auch keine Kleinigkeit: Der Gasmarkt ist insgesamt in einer Schieflage, die er leider nicht von selbst überstehen kann. Die Stützung ist erforderlich, so unpopulär und teuer sie wird.

 

Diese bereits erheblichen Beträge entsprechen den direkten Hilfen für die beiden größten Unternehmen sowie die wesentlichen Gaseinkäufer. Hinzu kommt als Schaden natürlich der Mehrpreis, den die Gasverbraucher bereits ohne die Gasumlage, die dabei nur den kleinsten Teil ausmacht, zahlen müssen. Das sind bekanntlich im Mittel Verdopplungen bis Verdreifachungen der bisherigen Preise. Leider lässt sich dadurch hochrechnen, dass meine Schätzung von 100 Milliarden pro Jahr nicht so schlecht war. Mit etwas Glück, wird sich das im zweiten Jahr der Krise reduzieren und noch mehr Glück ist es dann auch bald mal vorbei. Aber wir sollten wohl mit 200 Milliarden Gesamtkosten zur Bewältigung dieser eklatanten Schieflage eines misslungenen Marktes rechnen.

 

Damit zur Frage, ob diese Kosten zu minimieren wären oder hingenommen werden müssen. Das ist Stand heute schwer zu bewerten, aber leider muss man feststellen, dass Europa und insbesondere Deutschland für diese Entwicklung geradezu perfekte Voraussetzungen geschaffen haben. Die Lieferquellen waren nicht diversifiziert, ein viel zu hoher Anteil entfiel auf Russland, zudem ist Gas oft an Infrastruktur gebunden und schon deshalb schlecht austauschbar, diese Infrastruktur wurde gleich mit verkauft und sie ist in weiten Teilen Deutschlands auch noch lückenhaft bzw. ausschließlich an die russischen Pipelines gekoppelt. Hinzu kamen dann, man muss es so sagen, eher schon neo-, denn marktliberale Träume, bei der Preisbildung irgendwelche Börsenmechanismen zu etablieren. Das ist, wie beim Strommarkt übrigens, ausgesprochen heikel, wenn es anders als beispielsweise bei Aktienmärkten um Bedarfsgüter geht, die viele Börsenteilnehmer unter Kaufzwang setzen und zugleich auf Anbieterseite zu wenig Akteure mit zudem auch noch sehr träger Volumenskalierung existieren. Da sind Knappheiten ein großes Risiko für Preisexzesse, die sich leider auch sehr lange halten können.

 

Nun berührt das die Diskussion über eine Ausweitung der russischen Lieferungen. Man muss dazu aber erkennen, dass Russland ziemlich gut erkennbar bereits lange vor dem Krieg exakt diese Schwächen des europäischen Gasmarkts ausgenutzt hat (https://dirkspecht.de/…/die-russische-strategie-kann…/).

 

Es besteht also nicht nur die Frage, ob Russland überhaupt liefern will, sondern natürlich auch die des Preises – und was dafür an politischer Gegenleistung gefordert würde. Dass wir nun aber sowohl maßgebliche Mengen als auch günstige Preise erzielen könnten, wäre kaum zu erwarten. Vielmehr ist erkennbar, dass hier eine Schieflage entstanden – genauer gesagt bewusst konstruiert wurde – deren Auflösung nun erforderlich ist und die ohne sehr hohe Kosten auch gar nicht möglich ist, mehr noch: Zu keiner Zeit möglich war. Ein Ausstieg aus diesem System konnte nicht mehr ohne genau die Preisexzesse erfolgen, die wir jetzt sehen. Wirtschaftshistoriker mögen lange streiten, ob man bei einer anderen taktischen Vorgehensweise vielleicht eine billigere Auflösung hätte erreichen können, aber das war weder verhinderbar, noch ist es jetzt irgendwie sinnvoll revidierbar.

 

Das Ziel muss nun sein, den Gasmarkt zu diversifizieren, redundante Lieferketten aufzubauen, um jedem einzelnen – ich meine wirklich jeden! – Lieferanten auch die Tür weisen zu können, ohne solche Phänomene auszulösen. Dazu ist es in so einem Markt auch sinnvoll, wieder auf längerfristige, aber eben gut diversifizierte Direktabnahmeverträge umzustellen und Börsenmechanismen auf den Handel von Spitzenlasten zu reduzieren, ohne dabei Einflüsse auf die allgemeine Preisbildung zuzulassen oder diese gar regulatorisch sogar vorzugeben. Das werden wir auch in vermutlich zwei Jahren erreicht haben und dann normalisiert sich das alles wieder. Da müssen wir durch und da kommen wir durch!

 

Abschließend zur Frage der Verteilung der Kosten. Hier habe ich die größten Schwierigkeiten mit der Umsetzung. Zunächst fehlen mir Mechanismen, die verhindern, dass die Maßnahmen ihrerseits preistreibend wirken. Das sehe ich als größtes Defizit überhaupt. Es ist gewiss nicht leicht lösbar, aber natürlich wissen die Lieferanten sehr genau, welche Mittel Deutschland mobilisiert, um hohe Preise zu bezahlen. Das schafft natürlich Potenziale, diese auch durchzusetzen. Diese vermuteten 100 Milliarden pro Jahr an reinen Mehrkosten fließen teilweise nun die Taschen Russlands, aber auch nach Norwegen, in die USA und alle weiteren hinzu kommenden Lieferanten. Es ist sicher einfach, hier mehr Initiative zu fordern, aber es gab dazu kaum etwas. Was wurde also getan, um die Preisexzesse als eigentliche Quelle des Schadens zu begrenzen? Antworten wären hilfreich.

 

Das setzt sich nun fort bei der Verteilung. Es ist sicher grundsätzlich richtig, dass ein Teil der Aufgabe gesamtgesellschaftlich definiert wurde und zulasten des Steuerzahlers läuft. Ein weiterer Teil entfällt auf die Gasverbraucher direkt und wird von denen über die – wie ich finde richtige – Idee der Gasumlage verteilt. Gesamtgesellschaftlich ist das deshalb begründbar, weil unsere Versorgung wegen der Bedeutung von Gas insgesamt in Frage gestellt ist und daher indirekt letztlich jeder auch davon abhängt, sie sicherzustellen. Wessen Heizung mit Strom, Öl oder Pallets läuft, will trotzdem, dass seine Bäckerei liefert und im Supermarkt die Regale gefüllt sind. Zugleich ist es richtig, einen Teil der Last den Gasverbrauchern selbst zuzuordnen und dies hier über alle zu verteilen, denn der Gesamtprozess erfordert nun mal auch Anreize, Gas zu sparen, egal aus welcher Quelle. Zudem haben wir nun mal in diesem fehlgestalteten Markt den Effekt, dass alle neuen Lieferungen teurer werden – es geht also auch die Verbraucher etwas an, die nicht aus Russland beliefert werden.

 

Bei der Gasumlage gilt nun aber dasselbe, wie bei der Mobilisierung der gigantischen Gesamtmittel: Wer erhält die für welche Zwecke und wie wird verhindert, dass sie preistreibend wirkt. Auch das wird kaum diskutiert. Wir streiten über die Höhe und die Verteilung, aber viel zu wenig über die Regelungen, wer sie bekommt und wie wir sicherstellen, dass sie nur notwendige Lücken deckt, statt nur weiter steigende Preise zu subventionieren. Ein Mechanismus dazu ist, dass nur 90% des entstandenen „Schadens“ durch neue Lieferverträge gedeckt werden. Die fraglichen Händler haben also einen Eigenanteil, weshalb sie den Schaden aus Eigeninteresse gering halten. Ist der Eigenanteil von 10% aber ausreichend? Wie wird der „Schaden“ festgestellt? Reicht das, um den Druck auf Lieferanten auszuüben, bessere Preise zu ermöglichen?

Das geht nun schließlich bei der leidigen Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) weiter, die rechtlich zwingend erhoben werden muss. Die Debatte findet viel zu breite Bedeutung, denn beim Gesamtschaden ist das der allerkleinste Teil. Daher nur kurz: Die EU hat tatsächlich sehr sinnvolle Vorschläge unterbreitet, wie Deutschland das handhaben kann. Die Wahl ist nun eine Senkung der Umsatzsteuer auf den Gaspreis insgesamt. Das ist aus meiner Sicht genau der falsche Weg, denn es ist wieder das Prinzip Gießkanne wie beim misslungenen Tankrabatt und es steckt wie bei diesem auch noch voller Fehlanreize. Sofern es mit Endkunden beispielsweise um Bruttopreise geht, ist das eine Einladung an Versorger, die Senkung der Umsatzsteuer in die eigenen Taschen zu stecken.

 

Die EU hatte als eine Lösung vorgeschlagen, die Umsatzsteuer unmittelbar durch Energiehilfen an finanzschwache Haushalte wieder zurück zu geben. Das wäre in der Tat die beste Lösung gewesen, denn die Preisanreize zum Sparen wären für alle Haushalte hoch gewesen und die Hilfen an der Stelle, wo sie gebraucht werden, hätten das sozial abgefedert.

 

Das ist auch meine generelle Kritik an den Maßnahmen: Zu wenig Initiativen, die Lieferpreise wieder runter zu bekommen. Zu viele Gießkanneneffekte mit Fehlanreizen. Steuerzahler und Verbraucher müssen die Preise leider tragen. Der Staat sollte nicht zu viel kompensieren. Wir alle sind der Staat, alles andere ist nur eine Imagination. Diese Krise ist zu teuer, um sie mit einer Illusion, sie sei nicht da, in Haushalten oder Schulden zu verstecken. Wir bewältigen sie am besten, indem wir sie ehrlich bezahlen und den Staat nur für diejenigen einsetzen, die es wirklich brauchen. Denn sonst kommen Fehlanreize und Verschwendung dazu, falsche Taschen profitieren und die Preise werden eher gestützt, als reduziert.

Es ist leider kompliziert und selbst dieser lange Text beleuchtet es nur oberflächlich.

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