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Die europäische Energieversorgung ist ein strategisches Zukunftsthema mehr

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

In einem kurzen MM-Beitrag wird das ganze Dilemma der europäischen Energieversorgung zwar gar nicht mal angesprochen, aber implizit deutlich – inklusive einiger Detailprobleme bis in unsere aktuelle Regierung.

 

Ich habe diese Themen, von den Gasmärkten über die Strompreisbildung bis zur Energiewende und der Frage erforderlicher Importe hier seit Wochen vorgestellt. Die Debatten sind oft leider nicht über die üblichen Pole hinaus gekommen, die entweder eine Lösung durch mehr Erneuerbare im Inland oder eben deren Verteufelung mit der Atomkraftkeule bedeuten.

 

Richtig sind beide Positionen nicht, aber die beherrschen wohl zunehmend unsere gesellschaftliche Debatte, die damit einmal mehr jenseits der Wirklichkeit statt findet.

Tatsächlich spricht alles dafür, den Ausbau Erneuerbarer im Inland endlich voran zu bringen. Das ist aber keine Lösung, sondern ein Baustein und nicht mehr. Es reicht nicht, das zu tun und wer das behauptet, liefert nicht nur Stückwerk, sondern macht die Sache leider zurecht angreifbar. Nicht weniger verkürzt sind die Atomkraftfans, die eine Lösung propagieren, die mit den realen Problemen wenig zu tun hat und die sich dann auch noch oft darin verlieren, ausgerechnet den Ausbau Erneuerbarer zu negieren, diese gar für unsere Probleme verantwortlich zu machen.

 

Nein, kein Pol dieser Debatte ist wirklich nützlich. Der MM-Beitrag zeigt vielmehr, dass wir es auch mit einer Marktstörung zu tun haben, die nicht mit dem tatsächlichen Bezug von Energien und deren Beschaffungspreisen zu erklären ist. So haben wir beim Strom derzeit weniger ein Produktions- als ein Preisbildungsthema.

 

Habeck will das nun angehen, aber das macht wenig Hoffnung. Wenn da von „mittelfristig“ die Rede ist, so zeigt das die Erwartung, dieses auf europäischer Ebene angesiedelte Thema nicht schnell lösen zu können. Die Idee scheint zu lauten, Merit Order als Preismechanismus an den Börsen zu belassen, ihn aber von der Preisbildung für Endkunden zu entkoppeln. Das Konzept würde bedeuten, im Börsenhandel mit Spitzen an Überschüssen und Defiziten weiter die teuerste Energie zu bezahlen und die billigeren zu belohnen. Man scheint die Lenkungseffekte daraus für die Kraftwerksplanung nicht verlieren zu wollen. Zugleich soll das aber durch Regulierung bei den Endkundenpreisen nicht mehr durchschlagen. Es dürfte sich in der Tat daher um ein nur „mittelfristig“ erreichbares Unterfangen handeln. Kurzfristig will man die Übergewinne, die dadurch bei vielen Akteuren anfallen, offensichtlich besteuern, mittelfristig sollen die wohl gar nicht mehr entstehen. Die Übergewinnsteuer aber will der Finanzminister bekanntlich nicht. Leider muss man feststellen, dass bereits unsere Regierung nicht mal einig ist, wie man das lösen möchte – und deren Weg nach Brüssel kommt erst danach. Wenn man nun sieht, dass diese Fragen weitaus komplexer sind, als beispielsweise die Gestaltung der – durchaus sinnvollen – Gasumlage, so muss man wohl nicht zwingend optimistisch werden.

 

Zugleich lenkt dieser Beitrag einen kurzen Hinweis auf die zukünftigen Themen – und auch hier hatte ich zuletzt das Erlebnis, diese kaum diskutieren zu können. Denn tatsächlich wird der Bedarf an Strom natürlich steigen, das ist immanenter Bestandteil der Energiewende und niemand sollte die Idee, weiter fossile Energien zu importieren aus irgendeiner Perspektive weiter verfolgen. Hier wird aber zurecht darauf hingewiesen, dass eben dieses Thema gerade global zu sehr vielen Handelsabkommen führt, die letztlich bereits jetzt zum Ziel haben, weltweite Flächen zur Erzeugung von Erneuerbaren zu allokieren.

Europa hat insgesamt in seiner Energiepolitik sowohl die Substitution von fossilen Energieträgern durch Erneuerbare als auch die Sicherstellung von Importen versäumt. Genau das droht sich fortzusetzen und es ist leider ein Spiegel unserer Debatte. Denn: Sowohl die Idee, wir würden halt ein paar Wind- und PV-Parks aufstellen als auch die Vorstellung, jede Menge neue Atomkraftwerke zu bauen, perpetuieren exakt das Versäumnis, die tatsächlich relevanten Themen voran zu bringen. Und nein, ich bin nicht dogmatisch gegen Kernkraft, aber sie ist genauso als Baustein zu diskutieren, wie die Windkraft – und da kann man eben auch zum Ergebnis kommen, sie zu nutzen oder zu lassen. Auch diese Diskussion gehört an die richtige Stelle, niemand sollte sie per se verweigern.

 

Richtig ist, dass wir inländische Produktion und neue Importe erschließen müssen sowie unsere Märkte komplett neu zu regulieren haben. Wenn nicht ALLE drei Ebenen betrachtet werden, wird es scheitern. Jede dieser Perspektiven hat nämlich das Potenzial, das Gesamtwerk zu beschädigen. Ohne ausreichende inländische Produktion ist die Importabhängigkeit zu groß, ohne Sicherstellung von Importen reicht die Energie nicht, ohne klug regulierte Märkte wird es unbezahlbar und es gibt nur Fehlanreize für die Akteure, die es letztlich tatsächlich umsetzen sollen.

 

Das Ergebnis wäre übrigens nichts anderes als eine Fortsetzung der Importabhängigkeit von fossilen Brennstoffen mit allen entsprechenden Folgen: Das ist politisch unsicher, das ist preislich unsicher, das ist endlich, das zerstört unsere ökologische Lebensgrundlage.

 

Übrigens sollten diejenigen, die selbstverlogen argumentieren, es sei woanders auf dem Planeten alles viel dringlicher, nicht übersehen, dass die Mehrzahl der Länder auf dem Planeten dasselbe grundsätzliche Energieproblem hat. Gerade die von Europa bereits verschlafenen Themen wie Lithium-Kapazitäten, Solar- und Batterieproduktion und Elektromobilität zeigen, dass der weltweite Wettbewerb längst genau diese Themen adressiert. Bei der Sicherstellung von Flächen über Handelsabkommen geht das gerade weiter. Selbst die etwas klüger aufgestellten Länder, die derzeit noch vom Export fossiler Stoffe leben, arbeiten längst an einer nicht fossilen Zukunft.

 

Europa hat also auch aus Wettbewerbsgründen keinerlei Grund, sich zurück zu lehnen und zu glauben, man könne das Thema vorübergehend mal anderen überlassen. Das hat Europa bei genug Innovationsthemen getan und dabei nur Rückstand geerntet. Das wird bei der Energieversorgung ganz genauso laufen wie bei der Digitalisierung, wenn wir weiter so arrogant sind, uns als die Fortschrittlichen zu sehen.

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