«Grundbedürfnis nach gestalteter Arbeit»

DMZ –  TIERWELT ¦ Urs Heinz Aerni ¦                                 

 

Thomas Dütsch legt ein neuer Gedichtband vor und gibt Auskunft über seine Arbeit an der Poesie.

 

Urs Heinz Aerni: Wenn ich richtig nachgesehen habe, erschienen Ihre letzten Gedichtbücher 2001 und 2011. Nun liegt ein neuer Band mit dem Titel «Zwischenhoch» vor. Herrschte seit dem letzten Band so ein langes schreibtechnisches Tief?

 

Thomas Dütsch:. Ich bin schon immer ein langsamer Schreiber gewesen: Seit meinen 18. Lebensjahr schreibe ich regelmässig Gedichte, mein erster Gedichtband erschien, als ich 43 Jahre alt war! Zu Ihrer Frage: Es gab tatsächlich ein kurzes «schreibtechnisches Tief» in den letzten Jahren, aus dem ich jedoch in der Schlussphase der Arbeit am «Zwischenhoch» gut herausgefunden habe, nicht zuletzt dank der Häuslichkeit und der Ruhe, zu der uns die Pandemie zwang.

 

Aerni: Sie entschieden sich für Ihr Schreiben die literarische Königsdisziplin, die Lyrik. Eigentlich perfekt im Zeitalter der Kurztextform von SMS bis Twitter, oder?

 

Dütsch: SMS- und Twitternachrichten sind sehr junge Kurzformen des sprachlichen Ausdrucks, Gedichte werden seit Jahrtausenden geschrieben und Gedichte wird es auch in ferner Zukunft geben.

 

Aerni: Warum?

 

Dütsch: Weil es ein Grundbedürfnis der Menschen nach gestalteter Sprache gibt. Denken Sie nur an die Lieder, die dem Gedicht verwandt sind, an Formeln bei religiösen Ritualen oder an Kinderverse. Ich sehe mich eher in dieser Tradition.

 

Aerni: Man wähnt sich in Ihren Gedichten im eigenen Kippzustand, zwischen Lebensfröhlichkeit und dem bitteren Ende oder dem berühmten «letzten Hemd» wie zum Beispiel im Gedicht «Am Strand». Liest man da und dort ein Hadern mit dem Leben heraus?

 

Dütsch: Kippzustand ist ein sehr passender Ausdruck: Vielen Dank dafür! Ich hadere weniger mit dem Leben, denn ich lebe nach wie vor gerne, aber ich hadere mit der Vergänglichkeit. Gerade weil ich das Leben als einen grossen Reichtum empfinde, macht mir das Älterwerden in seinen verschiedenen Facetten immer wieder zu schaffen. Obwohl mir vollkommen bewusst ist, dass es kein Leben ohne Wandel gibt. Das lehrt uns die Natur jeden Tag.

 

Aerni: In knappen Zeilen versuchen Sie literarisch die Welt zu fassen. Lässt es sich vielleicht lyrisch treffender philosophieren als in langen Diskussionen oder durch ausufernde Sachtexte?

 

Dütsch: Der Kern eines Gedichts ist die Metapher. Wir sind froh um sprachliche Bilder, wenn es darum geht, etwas zu verstehen, was sich unserer alltäglichen Begrifflichkeit entzieht. Ein gutes Liebesgedicht erreicht viel mehr Menschenherzen als eine Abhandlung über die Liebe, weil es das Gefühl der Liebe in eine treffende Metapher fasst.

 

Aerni: Es gab Zeiten, da durfte man in Literaturzeitschriften oder in Zeitungen ein Gedicht von Ihnen lesen. Wie erleben Sie als Autor das Erodieren des guten alten Feuilletons?

 

Dütsch: Es gibt noch ein paar tapfere Literaturzeitschriften, die regelmässig auch Gedichte drucken. Aber dass in den Feuilletons praktisch keine Gedichte mehr publiziert und rezensiert werden, empfinde ich als grosse Verarmung. Seit meiner Zeit als Gymnasiast in den siebziger Jahren habe ich immer wieder grossartige Entdeckungen in den Feuilletons gemacht. Das ist heute vorbei.

 

Aerni: Das Gedicht «Alte Geschichte» mündet es in «nach vollendeter Tat». Wann ist ein Gedicht für Sie vollendet?

 

Dütsch: Die Inspiration kann praktisch überall und zu jedem Zeitpunkt stattfinden. Dann ist es gut, wenn ich mein Notizbuch dabei habe. Aber erst am Schreibtisch wird aus einer poetischen Idee ein Gedicht. Jedes Gedicht durchläuft einen vielstufigen Prozess.

 

Aerni: Und wie viel Zeit kann so einem Prozess verstreichen?

 

Dütsch: Manchmal dauert er ein paar Wochen, manchmal über zehn Jahre. Wichtig ist, dass ich immer wieder die Musse habe, an einzelnen Versen und Strophen zu feilen.

 

Aerni: Mit 59 Gedichten versuchen Sie alltäglichen Momenten auf die Spur zu kommen. Kann ein eigenes Buch den Blick auf die Welt verändern?

 

Dütsch: Nein, aber es freut mich, wenn mein Buch den Blick meiner Leserinnen und Leser auf die Welt verändert.

 

 

Das Buch: «Zwischenhoch», Gedichte von Thomas Dütsch, 2022, Nimbus Verlag, 978-3-03850-087-2, 84 Seiten, Halbleinen, Fadenheftung

 

Thomas Dütsch, geboren 1958 in Zürich, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Zürich, Tübingen und Berlin. Auf Einladung des Berliner Kultursenats war er 1991 sechs Monate Stipendiat im Literarischen Colloquium Berlin (LCB). Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Lehrer und Sprachdozent an der Pädagogischen Hochschule Zürich publizierte er Gedichte in Literaturzeitschriften und Zeitungen wie «Neue Zürcher Zeitung», die «Zeit» und der «Tages-Anzeiger». Für den Lyrikband «Windgeschäft» (2001) erhielt er die Anerkennungsgabe des Kantons Zürich und für «Weißzeug» (2011) die Anerkennungsgabe der Stadt Zürich.

 

 

Am 15. September liest Thomas Dütsch aus seinem Buch und wird musikalisch vom Bassklarinettisten Chris Wirth begleitet. Um 19:30 Uhr im Atelier für Kunst und Philosophie, Albisriederstraße 162, Zürich

Ausflugstipps

In unregelmässigen Abständen präsentieren die Macherinnen und Macher der DMZ ihre ganz persönlichen Auflugsstipps. 

Unterstützung

Damit wir unabhängig bleiben, Partei für Vergessene ergreifen und für soziale Gerechtigkeit kämpfen können, brauchen wir Sie.

Rezepte

Wir präsentieren wichtige Tipps und tolle Rezepte. Lassen Sie sich von unseren leckeren Rezepten zum Nachkochen inspirieren.

Persönlich - Interviews

"Persönlich - die anderen Fragen" so heisst die Rubrik mit den spannendsten Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0