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Wir müssen natürlich über Kernkraft reden!

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Es ist vollkommen richtig, dass in ganz Europa eine offene Diskussion über Kernkraft geführt wird. Umso wichtiger wäre es, dass diese Diskussion auch tatsächlich zustande kommt – und nicht dieses Hühnerhaufen-Chaos, das wir tatsächlich erleben. Es mag parteipolitisch und von den bekannten starken Lobby-Strukturen ausgehen, aber müssen wir das wirklich als Öffentlichkeit so fortsetzen, wie das in den letzten Jahrzehnten gelaufen ist – und damit auch unseren traurigen Beitrag leisten, in der so wichtigen Energiepolitik erneut nicht weiter zu kommen?

 

Tatsächlich wird die Debatte durch eine Vielzahl an Behauptungen und Thesen dominiert, die falsch bis verlogen sind. Leider führt das oft zu einer gänzlich überflüssigen Konkurrenzsituation zwischen Erneuerbaren Energien und Kernkraft – das ist einfach nur kompletter Unfug und genau das, was zwar einige wollen, aber gewiss nicht unseren allgemeinen Interessen dienlich ist.

 

Die Krönung der verfehlten Debatten sind Hinweise auf Dunkelflauten. Nur für´s Protokoll: Die Tatsache, dass nachts keine Sonne scheint, hat sich sogar in der Energiewirtschaft herumgesprochen. Gerne werden solche „Erkenntnisse“ genutzt, um Thesen zu widerlegen, die niemand behauptet. Es gibt keinen Plan ohne konventionelle Kraftwerke und auch keinen ohne Speicher – und auch keinen, der unter Speicher zwei Terrawatt Lithium-Batterien versteht, die man in der Tat nicht produzieren kann oder falls doch, sicher nicht bauen sollte. Es gibt aber Autoren – und ich nenne hier mit gutem Grund den Buchautoren und Vermarkter Vince Ebert -, die sich ganz gezielt an irgendwelchen oberflächlichen Thesen abarbeiten, die tatsächlich gar keine Rolle spielen. Eberts Beiträge lösen bei Experten nur die Frage aus, was diese Scheindebatten sollen und zugleich Betroffenheit über seine zahlreichen „Fans“.

 

Was solchen Beiträgen fehlt, sind jegliche Lösungsansätze. Meist verlieren sie sich in der gewünschten Meinungsbildung, es sei ohne fossile Energien nicht möglich oder Kernkraft erledige das alles. Das ist wohl die tiefere Absicht dahinter – oder vielleicht auch nur die Steigerung von Auflage und Rednerhonoraren. Es liegen wohl unterschiedliche Geschäftsmodelle dahinter.

 

Richtig ist, dass die gute alte Welt rein konventioneller Kraftwerke aus ökonomischen und ökologischen, aber auch energietechnischen Gründen nicht mehr existiert und niemand dahin zurück will oder auch nur könnte. Es war schon immer so, dass Produktion und Verbrauch dauernd gegeneinander geregelt werden mussten und das wird mit zunehmender Elektrifizierung, die wiederum essentiell ist, um aus den fossilen Energieträgern endlich auszusteigen, weiter zunehmen. Daher haben wir in allen modernen Stromnetzen, jenseits der Frage, welche Rolle Erneuerbare dabei spielen, eine immer komplexere Regelung der Erzeugung. Je schlechter man die macht, desto mehr Energie muss vernichtet werden, wenn man die Stabilität der Versorgung sicherstellen möchte. Das war schon immer so und es wird weiter zunehmen.

Daher haben Gaskraftwerke überall an Bedeutung gewonnen, denn nur diese lassen sich aus dem Stand agil hoch- und wieder runterfahren. Tatsächlich sind Gaskraftwerke rein energietechnisch die größte Innovation, verbunden mit besserer Netz- und Regeltechnik. Deshalb sind sie auch nicht mehr weg zu denken. Kein aktuell informierter und tatsächlich tätiger Experte, egal ob nun „Atom- oder EE-Fan“, plant ohne Gaskraftwerke und kein modernes Netz kann derzeit ohne diese stabil laufen.

 

Richtig ist, dass der Regelungsbedarf durch eine hohe Quote an Erneuerbaren weiter steigt. Dafür gibt es aber gute Lösungen, die ausgezeichnet funktionieren. Es wird seit 20 Jahren behauptet, das sei nicht möglich, die Stabilität der Netze sei nicht sicherzustellen und ein Kollaps nur eine Frage der Zeit. Ist halt nie passiert und das muss es auch nicht – denn, wie gesagt, ist der Bedarf an agiler Regelung mit allen dafür erforderlichen Technologien ohnehin steigend. Richtig ist in der Tat, dass Netze instabil werden, wenn sie diesem Bedarf nicht folgen. Das sehen wir überall auf der Welt und es passiert sogar in Netzen mit wenig Erneuerbaren häufiger, weil man dort die Regelungstechnik nämlich eher vernachlässigt.

 

In der Konsequenz gibt es schlicht keinerlei Grund, zwischen Atomkraft und Erneuerbaren eine Konkurrenz aufzubauen. Es ist auch schlicht falsch, mehr Atomkraft könnte bei uns den Preis senken, sei billiger und sicherer als Erneuerbare. Erneuerbare sind günstig, breit verteilt, eine gute Risikostreuung, unabhängig und sie senken den Importbedarf an Energie. Es ist auch schlicht falsch, zu behaupten, Atomkraft sei technisch unverzichtbar. Es ist im Gegenteil technisch viel vorteilhafter, Gaskraft einzusetzen – und genau das ist der Plan, den die eigentlich relevanten wissenschaftlichen Studien auch (bisher!) verfolgen: Erdgas als Brückentechnologie und zukünftig dann Betrieb der Gaskraftwerke durch synthetische Gase. Power-to-Gas ist das Stichwort und diese Gase sind übrigens die wichtigsten Langzeitspeicher für Strom.

 

Das große Problem bei dieser technisch und wissenschaftlich alle angeblich offenen Fragen der Vince Eberts beantwortenden Planung lautet: Kann Erdgas diese Rolle noch übernehmen?

 

Die offenen und die immer noch vorliegende grüne Energiepolitik herausfordernden Fragen lauten also: Wo soll das Erdgas herkommen? Was bedeutet es ökologisch, wenn das zunehmend Fracking- und LNG-Gas ist? Können wir die damit verbundene Import-Abhängigkeit eingehen? Wie sieht eine realistische Zeitplanung für einen europäischen (es geht nicht national!!) Ausbau von Erneuerbaren aus? Können wir das mit Gas als Brückentechnologie wirklich noch so lange planen? Lässt sich ein ökonomisch und politisch stabiler Import synthetischer Gase aufbauen?

 

Da diese – teilweise erst durch den russischen Angriffskrieg neuen oder brisanteren – Fragen unbeantwortet sind, ist an genau der und keiner anderen Stelle eine offene Debatte über Atomkraft erforderlich. Dabei sollten Atomkraft-Fans sich aber endlich von den falschen Behauptungen trennen, die dieser Erzeugungsform gerne zugeschrieben werden. Atomkraft kann Kohle verdrängen, sie ist aber teurer. Atomkraft kann Gaskraft nur im Grund- und Mittellastbereich verdrängen bzw. verhindern, dass Gas sich dort (noch) breiter macht. Sie kann tatsächlich die Abhängigkeit von Importen verringern, auch langfristig.

Das sind die Eigenschaften von Atomkraft. Vermutlich sind das eher strategische Vorteile, als preisliche. Die ökologische Rechnung ist halt schwierig, denn tatsächlich kann vor allem die Kohle damit schneller verschwinden, aber die Abfälle der heutigen Kernkrafttechnologie sind nicht die Petitesse, die gerne behauptet wird, zumal dann nicht, wenn man die Menge so ausbauen will, wie einige das gerne tun würden.

Dass die Kernforschung massiv weiter betrieben werden muss, ist aus meiner Sicht vollkommen klar und das zu versäumen ein Fehler in Deutschland. Ob aber die hier geplanten neuen, insbesondere bezüglich der Abfälle viel besseren Technologien gelingen, ist halt eine Wette auf den Fortschritt. Das gehört in diese Debatte, aber man darf schon die Frage erlauben, ob wir diese Wette eingehen wollen.

 

Es ist aber nur eine von sehr vielen Fragen, ich will die Debatte hier gar nicht führen, sie ist sehr komplex, vielschichtig und sie wird keine eindeutige Antwort, sondern Zielkonflikte ergeben, die politisch zu entscheiden sind. Es ist keine Frage von Wissenschaft oder fehlender Erkenntnis, die Eigenschaften der Energieerzeugung, ihre Kosten, die Vor- und Nachteile sind ausreichend erforscht und bekannt.

Leider werden diese Erkenntnisse nicht genutzt. Die Debatte bewegt sich im Gegenteil weitgehend in einem Nirwana, in dem die Vince Eberts ihre wie auch immer gearteten Geschäftsmodelle betreiben.

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