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Die Opfer des Zuckerrohrschneidens

DMZ – INTERNATIONAL ¦ Patricia Jungo ¦                      

 

In Maharashtra, einem Bundesstaat im mittleren Westen Indiens läuft jeden Oktober die Rekrutierung für die Saison des Zuckerrohrschneidens auf Hochtouren. Diese wird im 500 Kilometer entfernten Süden des Landes beginnen und sich über sechs Monate hinziehen.

 

Eine Million Arbeiter werden dabei eine Beschäftigung finden. Die Anwerber, "Mukadam" genannt, erhalten von den Plantagen den Auftrag, ganze Familien in eine Region namens "Zuckergürtel" im Nachbarstaat Karnataka zu bringen. Vor Ort sind sie dafür verantwortlich, ihre Produktivität zu überwachen. Natürlich werden sie dafür entlöhnt. Die Hälfte der Arbeiter sind Frauen, die manchmal schon seit ihrem zehnten Lebensjahr auf den Feldern unter extrem harten Arbeitsbedingungen schuften: Aufstehen um 3 Uhr morgens, zehn Stunden Arbeit unter sengender Sonne und nur ein freier Tag pro Monat. In dieser landwirtschaftlichen Region rund um den Beed-Distrikt leiden viele von ihnen an einer mysteriösen Krankheit. Die französische Sendung „Envoyé spécial“ ist diesem Phänomen auf die Spur gegangen und hat die entsprechenden Erkenntnisse im Mai der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es ist sehr auffällig, dass im Zuckergürtel 36% der Landarbeiterinnen keine Gebärmutter mehr haben. Häufig werden sie bereits mit 20 Jahren einer totalen Hysterektomie (mit Entfernung der Eierstöcke) unterzogen, was bei so jungen Frauen sehr selten vorkommt. Mit 30 Jahren sehen sie aus wie 50, Gesicht und Körper sind vorzeitig gealtert. Die Operation führt zu einer sehr frühen Menopause, da die Hormonproduktion gestoppt wird und die Frauen unfruchtbar werden. Warum unterziehen sich so viele Frauen diesem folgenschweren Eingriff?

 

Um das herauszufinden, folgte das Team von "Envoyé spécial" einigen Landarbeiterinnen in eines der von den Zuckerfabriken errichteten Zeltlager, das ohne fliessendes Wasser und Strom, während des Erntehalbjahres ihr Zuhause ist. Auch die 20 Jahre alte Reka spielt mit dem Gedanken, sich die Gebärmutter entfernen zu lassen. Wie sehr viele Zuckerschneiderinnen ist sie ständig müde, hat einen schmerzenden Bauch und andere wiederkehrende, heftige Schmerzen. Der Mukadam bestätigt, dass dies viele Frauen betrifft. Sein Rat ist das Entfernen der Gebärmutter, um Krebs zu vermeiden. Dieses Risiko ist sehr gering, wird jedoch von den Ärzten der Region als Rechtfertigung für den Eingriff ausgenutzt.

 

Nach der selber bezahlten Operation geht es wieder zurückk aufs Feld und erst dann setzt der Lohn wieder ein. Weiter führt der Mukadam aus, es sei ein grosses Problem, wenn die Frauen die Gebärmutter nicht entfernen liessen, da sie dann weniger produktiv seien. Und komme dann noch Krebs dazu, seien die Frauen ohne jeglichen Nutzen. Was er nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass die Frauen geschlagen und erniedrigt werden, wenn sie die geforderte Leistung nicht erbringen können. Sie werden ihrer Gebärmutter beraubt, um produktiv zu bleiben. Keine Kinder mehr, keine Menstruation, keine Schmerzen. So beschreibt es der Mukadam, für den die Hysterektomie anscheinend ein banaler Eingriff ist. Zu bemerken ist, dass im übrigen Indien und auch in anderen Teilen der Welt nur knapp 3% der Frauen die Gebärmutter entfernt wird. In der Regel sind diese über 50 Jahre alt. Tausende von Zuckerrohrschneiderinnen, die unter grossem Druck stehen und Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren, lassen sich zu einer irreversiblen Operation überreden. Sie müssen ihren Körper opfern, um die harte Arbeit auf den Feldern bewältigen zu können. Dieses Opfer ist zudem keine Lösung und völlig unnötig, dass die vorzeitige Menopause ihr Martyrium noch verschlimmert.

 

 

 

Quelle:

+Francetvinfo.fr+

+"Les sacrifiées du sucre" - "Envoyé spécial"±


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