«Glaubst etwa auch du, dass Tell keine historische Figur war?»

DMZ –  POLITIK ¦ Dr. Peter Beutler ¦                              KOMMENTAR

 

«Das ist nicht eine Sache des Glaubens, sondern eine des Wissens. Der Freiheitsheld Wilhelm Tell ist eine Erfindung von Schweizer Geschichtsschreibern im ausgehenden Mittelalter.

 

Um 1760 veröffentlichte ich anonym eine Abhandlung über die wirkliche Geschichte dieses falschen Nationalhelden. Ich stellte darin die These auf, es handle sich beim schweizerischen Wilhelm Tell um die Nachbildung der Toko-Episode aus den ‹Gesta Danorum›, der Geschichte Dänemarks. Ich schrieb alles absichtlich in Latein, um zunächst eine Diskussion unter Gelehrten zu entfachen.»

 

«Und warum hast du dann trotzdem deinen Namen verheimlicht?»

«Einige, wenn auch verschwindend wenige der Gnädigen Herren waren des Lateins mächtig und alle meine Berufskollegen. Darunter gab es auch konservative Hohlköpfe.»

 

«Dann fandest du einen Weg, dass das Papier doch der Öffentlichkeit zugänglich wurde …»

«Ja, ich hatte einen Freund, der das für mich besorgte. Gottlieb Emanuel von Haller übersetzte meine Abhandlung ins Französische und veröffentlichte sie unter seinem eigenen Namen.»

«Dann war dieser Gottlieb Emanuel von Haller mutiger als du?»

 

«Das würde ich nicht so sagen. Von Haller war in der Hierarchie der Bernburger ganz weit oben und dadurch weniger angreifbar als ich, der lediglich ein Zuzüger dieser edlen Gesellschaft war. Mein Vater verdiente sein Brot und das der Familie noch als Schuhmachermeister. Ich heiratete eine Bernburgerin, die ihren Gatten im Söldnerdienst verloren hatte. Weitaus die meisten Absolventen der Hohen Schule zu Bern ohne gewichtigen Stammbaum bekamen damals die Bürgerrechte durch Einheirat in eine Patrizierfamilie. Nur so erhielt man eine Stelle als Pfarrer oder als Anwalt oder als Arzt im Dienste der Republik Bern.»

 

Ein breites Grinsen überzog Benjamins Gesicht. «Nachvollziehbar. Man sehe sich doch mal die Pfarrhäuser in den Berner Gemeinden an. Die meisten von ihnen sind Herrschaftshäuser mit grossen Landgütern, einige machen gar den Anschein, Schlösser zu sein.»

 

«Da triffst du den Nagel auf den Kopf. Im Alten Bern war der Pfarrer eine sehr wichtige Person im Dienste der Gnädigen Herren. Er war der mächtigste Mann in der Gemeinde.»

 

 

Beutler, Peter. Der Bundesbrief (German Edition) (S.283-284). emons. Kindle-Version.

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