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Wollen wir wirklich weiter über drei Kernkraftwerke reden?

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Wer dachte, nach der Niedersachsenwahl würde vielleicht etwas Ruhe einkehren, wird leider enttäuscht. Weder Regierung, noch Opposition zeigen die Bereitschaft, sich auf eine Krisenpolitik zu fokussieren, die mit den tatsächlichen Problemen etwas zu tun hat. Statt dessen bleibt es bei einer Debatte über drei Kernkraftwerke, die je nach Lager entweder als vollkommen verzichtbar oder als Wundermaschinen zur Lösung aller Energieprobleme eingestuft werden.

 

Warum Leute sich damit hervortun, drei mit voller Leistung produzierenden AKWs angebliche Preiseffekte zuzusprechen, die sie heute offensichtlich nicht haben, die dann ab dem Jahreswechsel aber wohl vom Himmel fallen sollen, lässt sich nicht mal diskutieren. Selbst, wenn man die entsprechenden Studien vorlegt, die nach Preissteigerungen von bis +2.000% einen Effekt von -4% (Ifo) behaupten oder die eine isolierte Wirkung der AKWs gar nicht erst anfassen (Grimm et al., obwohl gerade die in Interviews ohne jede Zahl etwas anderes sagt), bewegt sich nichts.

 

Auch Hinweise auf die einzige technisch begründete Studie, nämlich die der Netzbetreiber, führt nicht weiter. Die mit unserer Energieversorgung tatsächlich vertrauten Experten verweisen aber mehr als deutlich auf die Notwendigkeit, Kohleverstromung massiv hoch zu fahren, die Gasverstromung unbedingt sicher zu stellen und die AKWs nicht zusätzlich raus zu nehmen. Das heißt aber: Mehr CO2 ist unvermeidlich, ein Preiseffekt ist nicht möglich, sofern man nicht doch mal an Merit-Order heran geht.

 

Aber nein, wir streiten weiter über die drei AKWs, also den allerkleinsten Teil des Lösungsspektrums. Das wird gerne mit Hinweis auf die besonders dumme Energiepolitik Deutschlands getan. Wenn man dazu in die Details eines „Diskurses“ einsteigt, muss man feststellen, dass die geäußerten Absurditäten über die Energiepolitik in anderen Ländern Europas noch ausgeprägter sind. Wenn man das liest, so kommt der Eindruck auf, die übrigen Europäer seien ein Hort der sichereren Energieversorgung mit guter alter Kraftwerkstechnologie, vor allem natürlich der Kernkraft.

 

Richtig ist vielmehr, dass rein technisch in allen modernen Stromsystemen die Gaskraftwerke die entscheidende Innovation der letzten Jahrzehnte waren. Das ist aufgrund der agilen und vergleichsweise effizienten Produktion dieser Kraftwerke vollkommen richtig gewesen. Ebenso wurde in ganz Europa Gas über die Stromproduktion hinaus zu einem relevanten Energieträger für die Wärmeerzeugung, insbesondere in der industriellen Produktion. Zugleich ist das in Kombination mit der Beschaffung von 30% des Betriebsstoffs aus Russland nun zu einem Problem geworden.

 

Wenn Deutschland in der Energiepolitik einen größeren Fehler als die anderen Europäer gemacht hat, so war dies die noch größere Abhängigkeit vom Gas. Bei uns lautete die höchste Importquote aus Russland 60% und Gas ist mit einem Anteil von deutlich mehr als einem Drittel am Gesamtenergiemix in Deutschland zugleich besonders hoch gewichtet. DAS ist der Fehler gewesen!

 

Die Frage in der Krise lautet also primär, wie Gas beschafft und wie es gespart werden kann. Die Frage über die Krise hinaus lautet, welche Rolle es zukünftig spielen kann. Gerade der aktuelle Stromsektor, der bei uns so besonders gerne und dann auch noch auf drei Kernkraftwerke reduziert diskutiert wird, kann dabei keinen besonders großen Lösungsbeitrag bringen. Die Tabelle anbei zeigt nämlich in der Spalte „Power“ wo es in Europa gelingt, nun kurzfristig Gas aus der Verstromung zu verdrängen und wo das Gegenteil erforderlich wird. Hier sieht man, dass vor allem Rund um das eigentliche europäische Stromproblem in Frankreich sowie in den Alpen genau das nicht möglich ist – und das führt übrigens in Frankreich aktuell zu den höchsten Strompreisen in ganz Europa.

 

Es war nämlich auch im „Atomland“ Frankreich keineswegs anders, als überall in Europa: Auch hier sind die agilen und effizienten Gaskraftwerke im Stromsystem errichtet worden und das war – und ist – energietechnisch auch richtig so. Da der Gesamtanteil von Gas an der Verstromung jedoch überall eher gering – in Normalzeiten unter 10% – ist, kann und wird der Stromsektor keinen großen Beitrag zur Gaskrise leisten. Hier haben wir immer noch eine Preiskrise, die durch den Merit-Order Preismechanismus begründet ist. Daran können andere Kraftwerke nichts ändern, die Erneuerbaren aber ebenso wenig.

 

Unser Thema ist schon lange der Gesamtenergiemix, die hohen Anteile fossiler Stoffe und nun in der Krise fokussiert der von Gas. Das hat mit dem aktuellen Strommix aber relativ wenig zu tun. Wenn man über diese Krise redet, ist über Gasbeschaffung und Sparen, nicht über Strom zu reden. Wenn man über unseren zukünftigen Energiemix spricht, geht es um eine ganz grundsätzliche Diskussion des zukünftigen Strommixes und es wird viel schwieriger als Kernkraft oder Erneuerbare ins Schaufenster zu stellen. Da geht es um Elektrifizierung, Verteilung, Speicherung und danach um Produktion. Die Rolle von Erneuerbaren ist für die Energiemengen in Deutschland nicht ausreichend, die Rolle aktueller Kernkrafttechnologie ist in Form von zentralen Großkraftwerken keine Lösung und Gas wird trotzdem weiter gebraucht. Wenn sich strukturell nichts ändert, wird Europa zudem aus der Kohleverstromung nicht raus kommen, das ist ökologisch ohnehin das größte Problem – will aber keiner wirklich so sagen.

 

Wir diskutieren also an der Problemlage sowohl bezüglich der Krise als auch der anzustrebenden zukünftigen Energiepolitik komplett vorbei, in allen Lagern. Dabei werden „Fakten“ bemüht, die, wenn es nicht so wichtig wäre, schon fast Comedy sind.

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