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Quo vadis China?

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Das chinesische Statistikamt hat erst heute, bewusst nach der Krönungszeremonie Xis, die jüngsten Wirtschaftsdaten veröffentlicht. Für eine im weltweiten Handel und Finanzwesen integrierte Volkswirtschaft ist so eine politische Verzögerung der Veröffentlichung zentraler Daten bereits ein bemerkenswerter Vorgang. Der Inhalt der Daten ist es ebenfalls und die könnten, wenn man die Strategie Chinas der letzten Jahrzehnte zugrunde legt, sogar ein gutes Signal beinhalten – wäre da nicht diese Zeremonie mit allen Begleiterscheinungen.

 

Die Daten sprechen eine klare Sprache: Auf den ersten Blick wurde die Verlangsamung der Wirtschaft, die Xis überraschender Kurs seit Anfang 2021 auslöste, zwar gestoppt, aber strukturell sieht es überhaupt nicht gut aus. Während nämlich die Industrieproduktion als einzige Stütze weiter gewachsen ist, kommen die Daten der inländischen Wirtschaft nicht in Gang. Konsum, Investitionen, Verbrauchervertrauen, Verschuldung, die wichtige Immobilienwirtschaft, Arbeitslosigkeit: Durchweg keine guten Daten. Folge: Die Exporte sind weiter gewachsen, jedoch langsamer als zuvor und die Importe stagnieren.

 

Mit anderen Worten: Die Binnenkonjunktur läuft nicht, die Abhängigkeit vom Welthandel nimmt zu, aber auch diese Lebensader läuft langsamer. Wenn man nun beachtet, dass weite Teile der Bevölkerung immer noch in Armut lebt, das Land eine Mixtur aus hoch entwickelter Industriegesellschaft und Schwellenland ist, die Versorgung der Gesamtbevölkerung aber weiterhin von dem mehrjährigen stabilen Wachstumskurs abhängt, müsste man nun erwarten, dass Xi nach seiner Wahl wieder realpolitisch agiert.

 

Als Xi sich im letzten Jahr überraschend mit seinen „Oligarchen“ anlegte und damit einige der führenden Dynamiken der chinesischen Wirtschaft geradezu abwürgte, vermuteten viele einen Zusammenhang mit seiner beabsichtigten Wiederwahl, die der ursprünglichen politischen Doktrin der Partei zufolge bekanntlich nicht vorgesehen war. Wollte er nur den Hardlinern in der Partei zeigen, dass er der richtige zur Zementierung von deren Macht ist? Demonstrierte er nur deswegen eine beliebig rücksichtslose Fortsetzung der Covid-Politik, parallel zur hartnäckigen Weigerung, ausländische Impfstoffe anzunehmen? Stimmte er nur deswegen plötzlich immer nationalistischere Ziele bezüglich der globalen Rolle Chinas an, die als Folge den Taiwan-Konflikt eskalieren mussten?

 

Je länger diese Politik dauerte und je mehr Schäden Xi dabei in Kauf nahm, desto mehr Zweifel kamen an der rein innenpolitischen und temporären Motivation auf. Nun sind parallel im Rahmen seiner Wiederwahl und eben dieser Wirtschaftsdaten die Widersprüche auf ein Maximum angewachsen. Die rigorose Entfernung von Widersachern in seinem Umfeld, so sein Vorgänger Hu Jintao sowie insbesondere der zuletzt immer wieder als wirtschaftspolitischer Realist agierende Ministerpräsident Li Keqiang, also die bisherige Nummer zwei, zeigten am letzten Wochenende nicht nur, dass Xi eine Machtfülle erreicht hat, die zuletzt wohl tatsächlich nur Mao gelungen war. Zugleich entfernte er eben jene, die zumindest etwas Hoffnung auf eine Rückkehr zu einer ausgewogeneren Politik machten. Die neue Nummer zwei, der gestern als neuer Ministerpräsident präsentierte Li Qiang, ist hingegen nur als Verantwortlicher für die unfassbaren Lockdowns in Shanghai bisher nennenswerter in Erscheinung getreten.

 

Parallel zu dieser Demonstration von Macht und den damit verbundenen Personalmaßnahmen erscheinen mit absichtlicher Verzögerung nach diesem Wochenende also Wirtschaftsdaten, die eigentlich deutlich machen, dass die personell nun bestätigte Politik der jüngeren Vergangenheit das Land nicht nur von seinem jahrelangen Erfolgsweg abbringt, sondern geradewegs in eine ernste strukturelle Krise zu führen droht. Die Signale an den Kapitalmärkten spiegeln diese Entwicklung mehr als deutlich. Nachdem die Bewertung der chinesischen Unternehmen sich wegen der anfangs erfolgreichen Corona-Strategie bis Ende 2020 viel besser entwickelte als an den westlichen Börsen, ging es danach mit Xis politischer Wandlung fast nur noch abwärts. Heute brechen die Kurse nach den Daten förmlich ein, das Corona-Tief von 2020 ist weit unterschritten und seit Monaten können selbst sehr erfolgreiche chinesische Unternehmen keine guten Bewertungen an den Börsen mehr erreichen.

 

Das große Problem an solchen intern machtpolitisch zentrierten Systemen ist leider, dass sie sehr schnell dysfunktional werden. In den letzten Jahrzehnten war China strategisch exzellent unterwegs und man könnte auf diese Entwicklung nun eine kluge Reaktion erwarten, die vor allem eine Öffnung zu internationalen Handelspartnern sowie eine Beilegung geopolitischer Konflikte zum Ziel haben müsste. Wie das System Xi nun aber tatsächlich reagiert, ist leider vollkommen fraglich. Es besteht die Hoffnung, dass die über Jahrzehnte sehr kluge strategische Ausrichtung nicht komplett verloren ist, es kann aber inzwischen nicht mehr ausgeschlossen werden, dass wir nun ein System mehr sehen, das letztlich seinen eigenen Untergang einleitet und dabei einfach keinen Ausgang mehr findet. Das ist beim System Putin erkennbar, es ist aber kein Privileg von Autokratien, die britischen Tories zeigen eine demokratische Version desselben Spiels.

 

Leider erzeugen solche dysfunktionalen Untergangsszenarien immer Kollateralschäden. Im Falle Chinas wären die weit höher als in den anderen genannten Beispielen. Bleibt also zu hoffen, dass die vielen klugen Leute hinter den Kulissen dieser chinesischen Führungsriege nicht auch alle entfernt wurden, sondern nun wieder genauso wirken können, wie bisher. Die Macht dafür hat Xi erhalten, wie er sie nutzen wird, ist eine Frage, die geopolitisch und gesamtökonomisch leider entscheidender ist, als alles, was insbesondere Europa politisch kurzfristig gestalten kann.

 

Ein Grund mehr, Europa geopolitisch und ökonomisch resilienter aufzustellen. Auch, wenn das teuer wird, mühsam ist und nur langfristig gelingen kann. Die Europäer agieren seit dem zweiten Weltkrieg primär kurzfristig opportunistisch, diese Strategie ist gescheitert. Insgesamt stellt Europa immer noch den größten Wirtschaftsraum und es kann nicht sein, dass dessen Entwicklung seit Jahrzehnten davon bestimmt wird, welche Politik in Washington, Peking oder jetzt gar Moskau gemacht wird.

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